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Für
Kazimierz Albin
Władysław Bartoszewski
Esther Bejarano
Alex Deutsch
Liliane und Raphaël Esrail
Eva Fahidi
Dorota und Noah Flug
Benjamin Fondane
Hans Frankenthal
Heinz Galinski
Rosa und Maurice Goldstein
Kurt Goldstein
Albert Grinholtz
Kurt Hacker
Paul Halter
Hannah und Roman Kent
Noah Klieger
Marischa und Adam König
Felix Kolmer
Leon Lendzion
Dagmar Lieblová
André Montagne
Berry Nahmias
Józef Odi
Alfred Oppenheimer
Angela Orosz-Richt
Edward Paczkowski
Józef Paczyński
Zofia Posmysz
Éva Rácz
Leon Schwarzbaum
Barbara »Basia« Sadowska
Kazimierz Smoleń
Justin Sonder
Marios Soussis
Erzsebet Szemes
Tadeusz Szymański
Marian Turski
Gabor Verö
Erna de Vries
Sonja Vrščaj
Elie Wiesel
und all die anderen …
»vernehmlich werden die Stimmen, die über der Tiefe sind.«
Theodor Storm
Inhalt
Durch die Knochen bis ins Herz
Ihr müsst immer tapfer sein
Schon bald nach unserer Ankunft in Amerika fing ich an, mich für Tennis zu interessieren. An jedem Platz, an dem mein Bruder und ich vorbeikamen, blieb ich stehen, drückte mich an den Drahtzaun und beobachtete durch die Maschen hindurch die Menschen auf den Spielfeldern, bewunderte ihre weiße Kleidung, die Schnelligkeit des Spiels und die in meinen Augen unübertrefflich elegante Bewegung, mit der die Spielerinnen oder die Spieler den am Boden liegenden Ball mit dem Schläger am Fuß entlang hochzogen und er in Richtung der geöffneten Hand flog, die ihn fest und selbstverständlich auffing und umschloss. Außerdem liebte ich das Geräusch, wenn der Ball auf den Schläger traf. Immer war es Leon, der drängte: Komm, wir müssen weiter, wir können hier nicht ewig herumtrödeln. Murrend hob ich dann die schwere Tasche mit den Zeitungen und Werbeprospekten an, und wir drehten weiter unsere Runde. Einmal würden auch wir auf einem solchen Platz stehen, einmal würden auch wir dazugehören.
Später, als ich längst glaubte dazuzugehören, habe ich mir sogar neben unserem Haus auf dem Land einen Tennisplatz anlegen lassen. Das schien mir der Gipfel meiner Wünsche zu sein, und ich war dankbar, dass mir nach allem Schlamassel das Schicksal so gnädig war und mich sogar mit einem eigenen Tennisplatz beschenkte. Trotzdem ging ich zum Spielen auch in die benachbarten Clubs, in zweien von ihnen war ich sogar Mitglied. All das, was ich hier erzähle, beginnt in einem von ihnen, dem Lake View Country and Tennis Club, der genau elf Minuten Fahrtzeit von unserem Landhaus entfernt liegt. Vor vielen Jahren, nachdem in der Nachbarschaft gemunkelt worden war, dass jetzt auch Juden als Mitglieder akzeptiert würden, hatte ich sofort die Mitgliedschaft beantragt. Sie sollten doch sehen, was sie davon haben. Dass ich gleich in den zwei ersten Jahren meiner Mitgliedschaft Vereinsmeister geworden bin, erfüllte mich damals und erfüllt mich bis heute mit kindischem Stolz, so als hätte ich ihre Ignoranz und ihre Vorurteile endgültig in die Flucht geschlagen.
Im Lake View spielte ich oft mit Barry, der nur wenige Straßen von meinem Büro in Manhattan entfernt sein Geschäft hatte. Er handelte mit Fliesen und Kacheln, renovierte Badezimmer und reparierte Heizungsanlagen. Im Lauf der Jahre hatte er sich selber zugekachelt, er war stockkonservativ und beurteilte das Leben ausschließlich auf Grund seiner Umsätze. Wenn man ihn fragte, wie geht’s, Barry?, hob er die Hand, zeigte vier Finger und sagte: Vier Angestellte. Was immer das heißen sollte. Aber er spielte ein verflixt gutes Tennis, so als liefe auf dem Platz der gute alte Barry herum, der Barry, den es gegeben haben musste, bevor er beschlossen hatte, sich mitsamt seinen Kacheln und Fliesen einzumauern. An einem Tag Anfang Mai hatten Barry und ich uns wieder einmal zu einem Match verabredet. Die Sonne brachte uns schon tüchtig ins Schwitzen, und als wir nach dem Spiel auf dem Weg zu den Duschen waren, die Handtücher lässig um den Hals gelegt, zeigte Barry beiläufig auf meinen Unterarm und fragte: Da, wo du warst, was gab es dort für Sportmöglichkeiten? Hast du dort mit dem Tennis angefangen?
In diesem Moment kam mir blitzartig ein Abend vor vielen Jahren in den Sinn, als Hannah, Eve, Ben und ich noch jung waren und uns regelmäßig einmal im Monat zum Dinner bei Katz‘s Delicatessen in der Lower East Side trafen. Auch das muss im Frühling oder Sommer gewesen sein, denn mein Freund Ben und ich trugen kurzärmelige Hemden und Hannah und Eve ärmellose Kleider. Bei keinem von uns hatten sie damals an Tinte für die Nummern gespart. Sie waren groß, krakelig und schwer zu übersehen. Nicht, dass es bei Katz‘s irgendwie aufgefallen wären. Dort saßen in diesen Jahren, die man ohne Übertreibung noch zu den Nachkriegsjahren rechnen konnte, viele, die auch Gezeichnete waren, aber dennoch entspann sich an diesem Abend zwischen uns vieren eine Diskussion, ob man sich die Nummer nicht doch besser entfernen lassen sollte,