Andrea Ross

Operation Terra 2.0


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und Molina zückten sterile Plastikbehälter. Die beiden schickten sich mit schwerfälligen Bewegungen an, Proben zu nehmen. Vom dunkelgrau schimmernden Fußboden, der erkalteten Lava, der Wandverkleidung sowie einer unförmig mit der Wand verbackenen Masse, die vor dem mutmaßlichen Vulkanausbruch wahrscheinlich als Beleuchtungskörper erkennbar gewesen war.

      Plötzlich stutzte LaSalle, hielt abrupt in seiner Bewegung inne. »Ich … ich bin nicht ganz sicher … aber ich glaube fast, ich bin gerade auf die Überreste eines Skeletts getreten!«

      *

      In jener Nacht schlief Thomas Maier tief und fest. Vor dem Einschlummern war ihm nämlich ein tröstlicher Gedanke gekommen:

      Wenn die für irgendeine Art der Nutzung ausgebauten Lavaröhren von intelligenten Wesen stammten – was zweifellos der Fall war – dann mussten deren Ingenieure bei der Konstruktion zwangsläufig auch an Fluchttunnel mit alternativen Ausgängen gedacht haben. Sie hatten schließlich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Gefahr von möglichen Vulkanausbrüchen gewusst.

      Es war somit nur eine Frage der Zeit, wann man auf das nächste Portal stoßen würde, musste einfach das Areal rund um Olympus Mons konsequent absuchen … wobei es sich da allerdings um etliche Quadratkilometer handelte, denn der mächtige Marsvulkan wies nicht nur die stattliche Höhe von rund zweiundzwanzig Kilometern auf, sondern auch einen Durchmesser von sechshundert Kilometern. Gemessen daran wirkten die irdischen Schildvulkane – etwa diejenigen auf Hawaii – wie lächerlich kleine Ameisenhügel.

      Maiers letzte Gedanken vor dem endgültigen Wegdämmern ins Traumland galten der Frage, was sich angesichts der gewaltigen Abmessungen wohl in den Lavaröhren verbergen mochte. Man hätte dort locker eine Großstadt mit Hunderttausenden von Bewohnern unterbringen können! Hoffentlich waren nicht alle Gänge verschüttet …

      Farbenfrohe Bilder von futuristischen, unterirdischen Stadtarealen geleiteten den euphorischen Astrophysiker behutsam in die unkontrollierbaren Tiefen seines Unterbewusstseins, wo er endlich die nötige Erholung fand.

       Terra, 14. Oktober 2016 nach Christus, Freitag

      

      Solaras sah nervös durchs Fenster nach draußen. Überall Lichtpunkte … wo waren nur die vielen freien Flächen abgeblieben, die es vor über 2.000 Jahren hier gegeben hatte? Er versuchte sich grob zu orientieren, doch das war ohne passende Software für das Navigationssystem nahezu unmöglich. Sicher, die Landmasse, auf die sie aus luftiger Höhe zusteuerten, hatte er identifizieren können. Die Form der SinaiHalbinsel war schließlich unverkennbar. Sie befanden sich jetzt nördlich davon, irgendwo in der Nähe der Mittelmeerküste.

      Aber nun, da sie sich dem Erdboden näherten, war ihm der genaue Landungsort unbekannt.

      »Wo sind wir? Könnten wir nicht in der Nähe von Nazareth oder Jerusalem aufsetzen?«, fragte Kalmes, die sich offenbar der Problematik nicht bewusst zu sein schien.

      »Dort unten sind mittlerweile jede Menge große Städte. Woher soll ich denn wissen, welche davon Jerusalem sein könnte? Nein … wir brauchen ohnehin ein dünner besiedeltes Gebiet abseits stark befahrener Pisten.«

      »Hast du denn für den Holographen kein terrestrisches Kartenmaterial von Tiberia mitgenommen?«

      »Leider nicht, und wie hätte ich das auch fertigbringen sollen? Es war schon schwierig genug, trotz Ardens Starrsinn an das Gerät zu kommen«, erwiderte Solaras kurz angebunden. Er wollte nur noch drei Dinge – endlich landen, den Gleiter tarnen und sich ausruhen. Um Kalmes zu schonen, war er die meiste Zeit über am Steuer gesessen. Das rächte sich nun. Er wähnte sich am Ende seiner Kräfte.

      Das kleine, linsenförmige Raumfahrzeug näherte sich mit aktivierten Tarnschilden dem Boden. Solaras steuerte eine freie Fläche an, die neben einer Siedlung lag. Die Gegend war relativ flach, doch dann entdeckte er eine Bodenmulde, die von den landestypischen Steppenpflanzen bewachsen war.

      »Das ist ideal! Wenn wir das Tarnnetz überziehen, die Ränder mit ein bisschen Erdreich ausgleichen und ein paar Pflanzen oben drauf setzen, sollte unser Vehikel vor neugierigen Blicken verborgen sein. Es sieht nicht aus, als ob dieser Bereich des Landstrichs landwirtschaftlich genutzt wird. Ich hoffe nur, dass wir auf der richtigen Seite des riesigen Grenzzauns aufsetzen. Da sieh mal – keine Ahnung, wer oder was dort eingesperrt ist!«

      »Ein Grenzzaun? Hier scheint sich aber einiges verändert zu haben. Nun gut, wir waren zuletzt vor zweitausend Jahren hier. Ich habe ein wenig Angst, Solaras. Freilich, wir haben von Tiberia aus die Entwicklungen auf Terra zumindest im Groben mitbekommen, aber leider nicht, wie sich die Gesellschaft an sich verändert hat.

      Ich bin nicht einmal sicher, in welchem Jahr wir gelandet sind. Befinden wir uns im zweiundzwanzigsten Jahrhundert oder schreibt man hier doch noch das einundzwanzigste wie auf dem Mars? Keine Ahnung, welche Auswirkungen der Zeittunnel auf diese Ecke des Sonnensystems zeitigt.

      Wie auch immer, das heutige Terra wird uns fremd sein. Hat sich die Sprache gewandelt, wie sind die Sitten und Gebräuche und so weiter … wir können uns da kaum Fehler erlauben, müssen uns von Anfang an integrieren. Sonst fallen wir als Fremdkörper auf«, sinnierte Kalmes bedrückt.

      Der Gleiter setzte sanft auf. »Ein Schritt nach dem anderen. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Tarnung, dann ruhen wir uns aus. Im Morgengrauen kleiden wir uns in die gute alte terrestrische Tracht und wandern zu der Siedlung hinüber, die wir von oben gesehen haben. Dann entscheiden wir das Weitere«, gähnte Solaras.

      Gegen 1.30 Uhr morgens fielen die beiden Tiberianer nach getaner Arbeit in einen tiefen Schlaf, zum letzten Mal in den engen Kojen des Raumgleiters. Eine Riesenportion Glück hatte sie davon abgehalten, weiter südlich zu landen.

      *

      m Morgengrauen machten sich Kalmes und Solaras auf den staubigen, steinigen Weg zu der Ansammlung von kleinen Häusern, die sie am Vorabend aus der Luft entdeckt hatten.

      »Schau mal, die toll gepflegten Plantagen. Und außerhalb des eigentlichen Dorfes befindet sich eine Art Lager, wo sich jede Menge Leute tummeln. Ob das fliegende Händler sind?«, dachte Kalmes laut nach.

      »Wir fragen einfach. Geld besitzen wir sowieso noch keines, einen implantierten Chip ebenfalls nicht, wie sie hier im zweiundzwanzigsten Jahrhundert jeder Einwohner besitzt – oder besitzen wird. Wir werden unsere Dienste anbieten müssen, um einen Schlafplatz zu erhalten. Hoffentlich funktioniert das noch auf dieselbe Weise wie früher. Ich denke, wir sollten für ein paar Tage hier bleiben, um uns grob zu orientieren. Danach können wir in nördlicher Richtung weiterziehen.«

      Zehn Minuten später erreichten sie das mutmaßliche Lager. Einige Erwachsene kamen auf das altersmäßig ungleiche Paar zu gelaufen. Einer schälte sich aus der Gruppe.

      »Schalom, ihr Wanderer. David ist mein Name. Ich nehme an, ihr sucht eine Auszeit aus dem Alltag im Büro, so wie die meisten anderen hier? Super, ihr habt euch ja bereits in einfache Gewänder gehüllt. Ein bisschen Verkleidung gehört eben auch zum totalen Aussteigen, nicht wahr?«

      Der schwarzhaarige Hüne mit der tiefen Stimme grinste, klopfte Solaras auf eine Schulter. Dann führte er ihn und seine ältere Begleiterin ins Dorf. Er hielt die beiden für Arbeitskollegen. Es kam häufiger vor, dass ganze Gruppen hier auftauchten, die die Nase voll von miefigen Stadtbüros hatten und vorübergehend am Puls von Mutter Natur leben wollten.

      »Wir müssen euch zuerst registrieren, damit ihr hinterher auch euer Taschengeld bekommt. Es ist nicht viel, aber darum geht es bei uns schließlich keinem. Wir leben, essen und arbeiten hier in Jad Mordechai zusammen. Apropos – habt ihr euch denn gar kein Zelt mitgebracht? Die Wohnhäuser dort drüben sind nämlich nur für die fest ansässigen Familien gedacht.«

      Solaras war etwas verunsichert, verneinte. Immerhin, der Fremde hatte von Geld gesprochen, und das konnten sie wahrlich gut gebrauchen. Und es legte den Schluss nahe, dass man hier auf Terra doch das einundzwanzigste Jahrhundert schrieb. Diese Erkenntnis würde einiges vereinfachen.