Andrea Ross

Operation Terra 2.0


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Ich aktiviere jetzt die Übertragung. Ihr bekommt einen Asteroideneinschlag zu sehen. Bitte nicht erschrecken, die Bilder sind ziemlich eindrucksvoll. Macht euch zu jeder Zeit bewusst, dass dies alles bloß künstliche Trugbilder sind«, erläuterte der Tiberianer. Er vollführte ein paar elegante Gesten über dem Gerät.

      Was nun folgte, ließ den beiden Terranern augenblicklich den Atem stocken. Flapsige Bemerkungen über schwule Bewegungen blieben ihnen im Halse stecken. Samtige Schwärze erfüllte den gesamten Raum, und in dieser manifestierten sich binnen Sekunden diverse Himmelskörper. Aaron wich unwillkürlich zurück, als ein faustgroßer Asteroid in Richtung seiner Magen gegend flog. Am Rande der Übertragung liefen senkrecht türkisfarbene Zahlenreihen die Wände hinunter, vermutlich Koordinaten oder sonstige Berechnungen.

      Der unregelmäßig geformte Brocken aus Stein und Eis steuerte direkt auf eine wohlbekannte blaue Murmel zu, zog einen Schweif aus pulverisiertem Trockeneis hinter sich her. Gestochen scharf war jeder noch so kleine Partikel zu erkennen.

      »Alter …!«, hauchte Levi.

      Wenige Augenblicke später rauschte der finstere Asteroid mit furchterregenden Geräuschen in die Erdatmosphäre, erzeugte dort ein Feuerspektakel. Monströse Feuerlohen umfingen die Betrachter. Die Illusion war so perfekt, dass sie brachiale Hitze zu spüren glaubten. Aaron hyperventilierte vor Schreck.

      Der kantige Asteroid schlug mit einem dumpfen Knall auf einer Landmasse ein, die von oben wie ein Waldgebiet ausgesehen hatte. Ein kapitaler Krater entstand, massenhaft Material wurde hoch geschleudert. Die umstehenden Bäume bogen sich zu Boden, verdampften einfach. Wieder glaubten Aaron und Levi, Gesteinsbrocken ausweichen zu müssen. Dann kam hörund sichtbar die Druckwelle, gefolgt von einem Furcht erregenden Feuerregen. Die Übertragung änderte die Perspektive. Nun glaubte man, auf einem öden, brennenden Planeten zu stehen, auf dem es heiße Asche regnete.

      »Aufhören … bitte! Ich ertrage das nicht länger«, jammerte Aaron und hob abwechselnd seine Füße an, um dem qualmenden Erdboden zu entkommen. Ein dunkler, sich ausbreitender Fleck entstand am Hosenstall seiner Jeans. Er hatte sich vor Erregung in die Hosen gepinkelt.

      Solaras bemerkte, welch fatale Wirkung seine kleine Vorführung erzeugte, vollführte wieder ein paar Gesten und schaltete damit den Holographen ab.

      Die totale Stille, die jetzt im Raum entstand, war fast greifbar. Schließlich fand Levi seine Sprache wieder.

      »Du hast es gerade nötig, über uns herzuziehen, weil wir Spielfilme lieben! Und was, bitteschön, war das da? Das ist die Mutter aller 3 DSimulationen. Dermaßen realistische Effekte kriegen unsere FXExperten gar nicht hin. Mensch, anstatt als Zimmermannsgehilfe zu arbeiten, solltest du nach Hollywood gehen. Die würden deine Technik mit Kusshand nehmen!«

      »Nun beruhigt euch wieder. Das war übrigens nicht zur Unterhaltung gedacht, sondern vielmehr zur Warnung. Unsere Wissenschaftler wollen nämlich errechnet haben, dass sich in einigen hundert Jahren wirklich ein Asteroid der Erde alias Terra nähert. Er soll hinter der Sonne hervor kommen, wo ihn eure Teleskope nicht entdecken können – oder eben erst, wenn es für Gegenmaßnahmen längst zu spät ist.

      Ich muss allerdings gestehen, dass wir beide diese Behauptungen für falsch halten. Auch auf Tiberia gibt es neuerdings eitle Machtspiele, die zu Lügen und Betrug verführen. Es würde zu weit gehen, euch die Zusammenhänge jetzt genauer zu erklären.

      Wir haben diesen Holographen samt Aufzeichnung mitgebracht, weil wir hofften, die terrestrischen Machthaber damit beeindrucken zu können. Ob echte Gefahr oder nicht, wir wollten uns mit der Warnung vor einer möglichen Apokalypse Respekt und ein Bleiberecht auf Terra erkaufen. So, nun wisst ihr Bescheid«, referierte Kalmes augenzwinkernd.

      Aaron glitt kommentarlos aus der Tür, um die Toilette aufzusuchen. Levi setzte sich auf die Kante seines Bettes, warf seine Rastalocken hinter die Schulter zurück.

      »Klarer Fall, das Wahnsinnsmaterial muss unbedingt veröffentlicht werden«, sinnierte er laut vor sich hin. »Wir stellen es auf You Tube ein, kriegen eine Unmenge an Klicks und scheffeln Kohle bis zum Abwinken.«

      »Es geht nicht darum, sich mit Brennmaterial zu bereichern, oder was immer du damit sagen willst«, tadelte Solaras und verstaute den Holographen wieder behutsam im Beutel. »Und anstatt schon wieder an Geld zu denken, sollten wir jetzt allmählich auf deinem Gerät nach Arbeitsplätzen sehen.«

       Terra, 9. Januar 2017 nach Christus, Montag

      

      Frustriert hatte Solaras einsehen müssen, dass sich der Beruf eines Zimmermanns in den vergangenen zweitausend Jahren ganz schön verändert hatte. Zwar hatte die Jobplattform im Internet eine Arbeitsstelle als Zimmermannsgehilfe für ihn ausgespuckt und er hatte sich dort auch beworben – doch beim Probearbeiten war er mit den modernen Gerätschaften nicht auf Anhieb klar gekommen. Er kannte aus seiner Zeit als Jesus von Nazareth ja nur Handsägen und hatte sich daher mit den elektrischen Pendants ungeschickt angestellt. Um ein Haar hätte es am zweiten Tag durch seine Schuld einen Unfall mit einem Tacker gegeben.

      Seinem Vorarbeiter war nicht nur deswegen der Geduldsfaden gerissen. Angeblich hatte Solaras seinen Pass verloren und neu beantragt. Seit Wochen hätte er diesen der Personalabteilung nachreichen sollen, was nie geschehen war.

      So endete die Jobsuche quasi auf der Straße. Solaras war dafür zuständig, zusammen mit zwei anderen Arbeitern im Auftrag der Stadtverwaltung Mülleimer in Parks und Einkaufsstraßen zu leeren. Kalmes fand eine Stelle als Putzhilfe in einer wohlhabenden Familie, wo sie zu ihrem Leidwesen arrogant von oben herab behandelt und unentgeltlich zu Überstunden gezwungen wurde.

      Da Levi zwei Drittel der Billiglöhne einforderte, reichte das Geld den Tiberianern nur für das Nötigste. Sie mieteten sich ein Zimmer mit Waschgelegenheit in einer heruntergekommenen Straße nahe der Zentralen Busstation, über die sie Tel Aviv vor einigen Wochen zuerst betreten hatten. Das Gebäude in Nave Sha’anan sah schon von außen alles andere als einladend aus, lag neben einer stark befahrenen Straße. Aber es bot zumindest ein Dach über dem Kopf sowie relativen Schutz, und das war es, was zählte. Man musste nur aufpassen, wer einem im Treppenhaus begegnete und die auf Putz liegenden Elektroinstallationen mit Vorsicht genießen.

      Heute sollte Solaras nach Ende seiner Schicht gegen 18 Uhr seinen und Kalmes‘ Ausweis bei einem Typen namens Yasin abholen. Levi hatte ihm den Zettel mit der Adresse in die Hand gedrückt und dazu ein rund zwanzig mal zwanzig Zentimeter messendes Päckchen, das verdächtig nach jener Kräutermischung roch, die der Junge inhalierte. Inzwischen wusste Solaras, dass es sich hierbei um die vielzitierten Drogen handeln musste, denn Levi wurde nach dem Rauchen meist seltsam träge und interesselos.

      »Du kommst keinesfalls mit«, verfügte Solaras, als Kalmes sich ihm unbedingt anschließen wollte. Er zeigte auf den Zettel.

      »Das muss in den Slums sein, von denen die Dame in der Kirche gesprochen hat. Du weißt schon, wo die Drogenabhängigen in einem provisorischen Lager hausen.«

      »Aber vier Augen sehen mehr als zwei«, beharrte die Tiberianerin mit ihrem durchdringenden Blick, den Solaras nur allzu gut kannte. Wenn sie so dreinsah, war jeder Widerspruch von vornherein zwecklos.

      Er seufzte ergeben. »Ich möchte doch nur nicht riskieren, dass dir etwas passiert.«

      »Und ich will keinesfalls tatenlos im Zimmer herum sitzen und ängstlich abwarten, ob du in einem Stück wiederkommst. Nein, mein Lieber. Wir gehen da gemeinsam durch.« Damit war die Sache entschieden.

      Sie fuhren mit dem Bus zur ArlozorovStation und fragten Passanten nach den Slums. Die meisten eilten vorbei, ohne auf die Frage zu reagieren. Eine junge Frau wies den Weg, taxierte aber Kalmes und Solaras von oben bis unten. Vermutlich hielt sie die beiden dürren Gestalten aufgrund ihrer billig aussehenden Kleider für Bewohner, die aufgrund akuten Drogenoder Alkoholkonsums nicht mehr nach Hause fanden.

      Schließlich standen sie vor einer Ansammlung von wahllos aus Plastikelementen, Wellblech und Holzlatten zusammenge schusterten Hütten, um die