Andrea Ross

Operation Terra 2.0


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wie man den Wahnsinnsfund mittlerweile getauft hatte. Während sich die Astronauten im Rover auf dem Rückweg zum Marsfly befanden, diskutierte sich die Belegschaft von Marscontrol die Köpfe heiß.

      »Ich werde Wochen benötigen, bis ich das Gesehene glauben kann«, mutmaßte Wendler kopfschüttelnd. Die umstehenden Kollegen nickten ausnahmslos. »Wenn die Welt das zu sehen bekommt, werden die Verschwörungstheoretiker wieder behaupten, wir hätten alles nur inszeniert. Es ist ja auch schier unglaublich! Aber wo nimmt dieser Megakomplex eigentlich die Unmengen an Energie her, und weshalb funktioniert das System heute noch einwandfrei?«

      »Ersteres kann ich zumindest theoretisch beantworten«, ließ sich ein Mitarbeiter namens Sirko Bobeček vernehmen. »Das Power Plant ganz in der Nähe ist noch funktionsfähig, jede Wette. Was dermaßen viel radioaktive Strahlung absondert, könnte auch in Betrieb sein.«

      »Ach ja, du Schlaumeier? Dann müsste aber regelmäßig eine Schar Aliens hier aufkreuzen, um die Brennstäbe zu wechseln«, echauffierte sich Wendler und verschränkte die Arme. Er hasste unqualifizierte Kommentare.

      »Nicht zwangsläufig«, mischte sich Maier ein. »Ihr habt doch in den letzten Tagen einen Vorgeschmack bekommen, wie weit die Technik dieser Spezies fortgeschritten ist. Ich denke, wir haben es hier mit einem Atomkraftwerk zu tun. Nur dass es die verbrauchten Brennstäbe womöglich vollautomatisch recycelt und wieder in Betrieb nimmt, insgesamt viel sparsamer arbeitet. Was weiß ich? Vielleicht ist dies auch auf der Erde die Zukunft. Anstatt der ewig währenden Endlagersuche zu frönen, könnte man den Atommüll einfach aufbereiten und wiederverwerten.«

      »Himmel, das will ich doch nicht hoffen!«, warf Campbell ein. »Das würde ja bedeuten, dass auf der Erde niemand mehr aus der gefährlichen Atomkraft aussteigen möchte. Ihr seht ja, selbst hier hat es ein Strahlungsleck gegeben, wenn auch erst nach ungleich längerer Betriebsdauer.

      Seid ihr euch überhaupt bewusst, welch hohe Verantwortung wir tragen? Ich darf hiermit nochmals an eure Verschwiegenheitserklärung erinnern. Nichts darf nach draußen dringen – es sei denn, über unsere Pressestelle! Und da werden wir klug zu selektieren wissen.«

      Gegen Abend erzählte Thomas Maier seiner Lebensgefährtin Sheila mit leuchtenden Augen, was sie verpasst hatte. Die wollte ihren Ohren kaum trauen. »Dann hat die Sonde damals also doch ein Marsgesicht entdeckt«, sinnierte sie. »Es ist nur durch stetige Erosion ein wenig unkenntlich geworden.«

      »Und wieso sollte die fremde Zivilisation sich die viele Arbeit machen und erst eine monströse Halle aus dem Fels schneiden, um sich oben drüber dann auch noch bildhauerisch zu betätigen? In diesen Dimensionen?«

      Sheila grinste breit. »Männer! Null Fantasie, echt! Darf ich dich freundlich an Mount Rushmore erinnern? Einen praktischen Nutzen hat auch diese Formation nicht. Hier geht es um monumentale Symbole für die Ewigkeit. Außerdem könnte es im Fall des Marsgesichts möglich sein, dass es sich zur Zeit der Besiedlung des Planeten um eine Landemarke gehandelt hat. So erkennt man aus der Luft schon von weitem, wo die Halle liegt.«

      »Touché«, brummte Maier.

      

       Tiberia, KINZeit: 13.5.15.15.4, Mittwoch

      

      Auf dem Refugium der Untersektion Raumfahrt herrschte hektische Betriebsamkeit. Mehrere Arbeiter suchten auf dem Gelände und in den Frachtlisten der vor eini gen Tagen gestarteten Deep Red Planet nach einem blauen UniblockBehälter, den die Untersektion Transport als fehlend gemeldet hatte. Wieder und wieder überprüften die Männer die Kennnummern der Faltbehälter, doch das Ergebnis war stets dasselbe: das Ding fehlte schlicht und einfach! Ein absolutes Novum für diese bestens durchorganisierte Gesellschaft.

      Was überdies noch fehlte, war ein Mensch. Der Wissenschaftler Solaras war nach dem KIN 13.5.15.14.19 nicht mehr an seinem Arbeitsplatz erschienen. Man hatte selbstverständlich auch in seiner privaten Behausung nach ihm gefahndet, doch die Nachbarn wussten ebenfalls von nichts. Er schien spurlos verschwunden zu sein, ebenso wie die Dozentin Kalmes. Die Frau wurde von den Verantwortlichen der Sektion Ideologie und Bildung ebenfalls verzweifelt gesucht. Und nicht nur von denen

      – ein gewisser Mediziner Gabriel war außer sich vor Sorge, seit er von ihrem Verschwinden wusste.

      Zwei KIN später entdeckte eine junge Assistentin mehrere eingetrocknete Blutstropfen auf dem Boden vor dem Gelände der Untersektion Transport, auf dem die Uniblocks stapelweise aufbewahrt wurden. Einer Eingebung folgend, entnahm sie eine Probe und jagte diese durch ein GenalytGerät. Der Abgleich mit der Datenbank, in der sämtliche Bewohner Tiberias abgespeichert waren, ergab eine hundertprozentige Übereinstimmung mit dem einzigartigen Genprofil einer gewissen Kalmes, ihres Zeichens Dozentin bei Ideologie und Bildung. Und genau die war seit Tagen als vermisst gemeldet.

      Die Informationsfäden liefen schließlich bei Regentin Alanna zusammen, die sofort zutreffend vermutete, dass sich die bei Aden Verschwundenen mit der Deep Red Planet zum Mars abgesetzt haben könnten. Eine Rückfrage bei der Marsbasis erbrachte Gewissheit – dort fehlte einer der Raumgleiter. Somit stand für Alanna felsenfest, dass zwei ungehorsame Tiberianer neuerdings auf Terra ihr Dasein fristeten.

      »Ach, sollen sie doch in diesem Elend dort jämmerlich verrecken!«, knurrte sie missmutig. »Aber wer weiß? Vielleicht können sie eines Tages für mich noch von Nutzen sein.«

      

       Terra, 01. Dezember 2016 nach Christus, Donnerstag

      

      Im Gegensatz zu Kalmes fand Solaras nicht genügend Ruhe, um wegdämmern zu können. Wie spät mochte es sein? Längst war die Sonne untergegangen, und die Lichter der Strandpromenade spiegelten sich im Wasser. Von der Innenstadt schimmerte farbiges Licht durch Lücken in der Häuserzeile, das sich auf den Wellen spiegelte. Doch anstatt sich allmählich zu leeren, schien der Strand immer voller zu werden. Flanierende Paare, ausgelassene Jugendliche und Leute, die ihre Hunde ausführten, gaben sich ein Stelldichein. Wieso hielten die sich nachts nicht in der Geborgenheit ihrer Häuser auf?

      Waren die etwa alle obdachlos, so wie sie?

      Wenige Meter entfernt ließ sich ein Junge nieder. Er mochte etwa sechzehn bis achtzehn Jahre alt sein. In seinen Händen hielt er eine viereckige Glasflasche, die er immer wieder an die Lippen setzte. Ab und zu schielte er neugierig herüber. Nach einer Viertelstunde fasste Solaras sich ein Herz, legte behutsam Kalmes‘ schlafenden Körper im Sand ab und schlenderte zu ihm hinüber. Junge Leute wissen in allen Zeitaltern am besten Bescheid, was in einer Stadt so abläuft.

      »Guten Abend. Wie geht es dir, ist alles in Ordnung?«

      »Spar dir die Ansage. Kommst du von meinen Alten, oder was? Nichts ist in Ordnung! Meine Freundin hat mich wegen eines Anderen verlassen, okay?«, blaffte er unfreundlich und wendete seinen starren Blick wieder in Richtung Wasser.

      »Das tut mir sehr leid für dich. Hättest du einen Moment Zeit für mich? Ich würde dir gerne einige Fragen stellen.«

      Der Junge verdrehte die Augen. »Also bist du ein Bulle oder einer der Typen vom Ordnungsamt, ja? Ich weiß selber, dass Feiern am Strand verboten ist. Hatten wir alles schon. Ich will einfach nur in Ruhe hier sitzen, etwas Beruhigendes trinken und meinen düsteren Gedanken nachhängen, werde also weder ein Lagerfeuer anzünden noch den Strand zumüllen. Die Pulle nehme ich nachher wieder mit. War es das?«

      Solaras dachte kurz nach. »Nein, ich bin kein … Bulle … oder was auch immer du damit meinst. Einfach nur ein verunsicherter Mann, der sich in deiner Stadt nicht auskennt. Könntest du mir also behilflich sein?«

      Der Jugendliche mit der Strubbelfrisur grinste breit. »Ah, sag das doch gleich, du willst Drogen kaufen! Ich hab aber nichts dabei, also vergiss es.«

      »Drogen? Was hat hier nur jeder immerzu mit Drogen?