Andrea Ross

Operation Terra 2.0


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weiter räkelte sich Kalmes stöhnend im Sand, drehte sich um und schlief weiter. Die Glückliche.

      Für ein paar Minuten herrschte Funkstille. Man hörte nur noch das Rauschen der Wellen. Aus der Ferne trug der Wind Lachen und Straßengeräusche herüber. Der Gepäckträger eines passierenden Fahrrades klapperte.

      »Na gut! Also, was willst du wissen? Die angesagten Clubs habe ich alle durchprobiert«, brüstete sich der Junge.

      »Nein danke, was immer so ein Club bietet! Es ist einfach so, dass ich lange Zeit außerhalb dieser Zivilisation verbracht habe. Ich kenne mich im Stadtleben nicht mehr aus. Also müsstest du mir bitte ein paar grundlegende Dinge erklären. Wie ich an eine Wohnung und an Arbeit komme, wie der normale Alltag hier abläuft, wie man sich richtig kleidet und so weiter. Meine Freundin da drüben und ich sind sonst vollkommen aufgeschmissen.«

      »Die ist deine Freundin? Ich hätte sie eher für deine Mutter gehalten. Sie hat doch bestimmt zwanzig Jährchen mehr auf dem Buckel als du. Na, soll jeder halten wie er denkt. Ich bin übrigens Aaron«, grinste er.

      »Freut mich. Solaras, ich stamme aus Nazareth. Und meine Begleiterin heißt Kalmes.«

      »Und wo habt ihr bis jetzt gelebt, wenn ihr noch nicht einmal eine Wohnung habt? Auf dem Mond?«, scherzte Aaron.

      »Fast richtig. Aber dazu möchte ich lieber keine genaueren Angaben liefern, es tut ohnehin nichts zur Sache. Also, hilfst du uns nun oder nicht?«

      »Verstehe … ihr habt euch anscheinend in einer abgelegenen Gegend versteckt gehalten. Na schön, ich stelle keine neugierigen Fragen. Darüber will ich ohnehin lieber keine Details wissen. Aber wenn es so ist, bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich habe allerdings einen Kumpel, der eine Zeit lang auf der Straße gelebt und in seinem jungen Leben auch sonst so einiges durchgemacht hat. Habt ihr überhaupt gültige Papiere?«

      »Wir besitzen nur das, was wir auf den Körpern tragen.«

      ›Und ein paar tiberianische Gewänder sowie einen Holographen, der noch im geklauten Raumgleiter liegt‹, dachte Solaras insgeheim.

      »Himmel … ja, dann braucht ihr unbedingt Levis Hilfe. Ich kann ihn bitten, morgen Abend mit hierher zu kommen, wenn ihr wollt. Ihr dürft euch nur nicht gleich erschrecken. Er sieht ein wenig … unkonventionell aus.«

      »Kein Problem«, beeilte sich Solaras zu beteuern.

      *

      Am folgenden Nachmittag saßen Solaras und Kalmes schon gegen 15 Uhr am Strand, um Levi nur ja nicht zu verpassen. Was hätten sie auch sonst unternehmen sollen? Die Häuserschluchten erzeugten bei ihnen immer noch Furcht, das Geld war aufgebraucht und die eingekauften Lebensmittel vollständig verzehrt.

      »Was machen wir, wenn dieser Levi nicht auftaucht?«, jammerte Kalmes voller Sorge. Ihrem verletzten Bein ging es mittlerweile noch schlechter. Sie rieb sich mit verzerrtem Gesicht die deutlich sichtbare Schwellung am Unterschenkel.

      »Hab Vertrauen«, flüsterte Solaras zärtlich.

      Sie schmiegte sich rücklings in seine Arme, lauschte den Geräuschen der quirligen Stadt und sah ein paar Kindern beim Ballspiel zu. Zäh zogen sich die Stunden hin, bis endlich die Sonne hinter den Hochhäusern versank.

      Kurz darauf kamen sie. Aaron trug einen Beutel mit sich, während Levi etwas auf seinem Kopf zu balancieren schien. Erst beim Näherkommen gewahrte Solaras, dass es sich bei dem Kopfputz lediglich um eine seltsam geformte, kunterbunte Kappe und eine reichlich verfilzte Haartracht handelte. Nach einer kurzen Begrüßung mit Vorstellungsrunde sagte er mitleidig: »Du hättest dein Haar besser täglich durchkämmen und regelmäßig waschen sollen. Sieh, ich trage meines auch lang, es ist aber glatt und sieht nicht so stumpf aus.«

      »Levi blickte seinen Kumpel fragend an, schüttelte den Kopf und grinste dann breit. »Jetzt behaupte bloß, du hast noch nie im Leben Rastalocken gesehen? Mann, du musst echt in einem Erdloch gehaust haben!«

      »Hunger?«, fragte Aaron und langte in seine Jutetasche. »Ich habe zu Hause den Kühlschrank geplündert und ein Abendessen mitgebracht. Keine Ahnung, ob ihr Wert darauf legt, aber die Wurst ist koscher. Meine Mutter achtet beim Einkaufen peinlich genau darauf.«

      Koscher oder nicht, Solaras und Kalmes stürzten sich mit Begeisterung darauf und verputzten die leckeren Sandwichs in Windeseile. Levi drehte sich derweil eine krumme Zigarette, die für die beiden Tiberianer penetrant nach einer unbekannten Kräutermischung roch. Genüsslich zog er sie unter seiner Nase durch, sah sich prüfend links und rechts über die Schulter und zückte ein Feuerzeug.

      »Also, wollen mal sehen, ob ich euch weiterhelfen kann. Es wird schwierig werden. Ihr braucht eine Unterkunft, doch die kriegt ihr nicht ohne Geld. Und Geld wiederum gibt es nicht ohne Arbeit. Welche ihr auch nicht in Aussicht habt. Richtig?«

      Die Außerirdischen nickten einhellig.

      »So wie euch geht es in den Städten vielen Leuten. Bis vor kurzem habe auch ich auf der Straße gelebt, weil ich … sagen wir mal, einen Knick in meiner Biografie gehabt hatte. Momentan schufte ich auf dem Bau, bewohne ein kleines Zimmer zur Untermiete. Was kannst du denn, hast du einen Beruf gelernt, bevor du auf Tauchstation gegangen bist?«

      »Natürlich. Ich bin Zimmermann … und Raketenwissenschaftler. Kalmes hat als Dozentin gearbeitet.«

      »Zimmermann und Raketenwissenschaftler? Ha! Alter – du musst ja ein bewegtes Leben gehabt haben!«

      »Wieso nennst du mich alt?«, wunderte sich Solaras.

      »Ach, nur eine Redewendung. Vergiss es einfach. Hast du Papiere? Also Referenzen von früheren Arbeitgebern, Zeugnisse, Diplome oder sowas? Wir könnten zunächst auf Internetplattformen nach passenden Jobs suchen.«

      »Nein. Keine Papiere.«

      Levi kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Scheiße, dann wird es echt schwierig. Somit braucht ihr als erstes Ausweise. Ihr müsst eure Identität nachweisen können. Wollt ihr Freaks eigentlich hierbleiben oder in absehbarer Zeit weiterziehen?«

      »Das kommt ganz darauf an. Falls man irgendwo leichter und angenehmer leben kann, sind wir offen für alles.«

      »Dann solltet ihr als Flüchtlinge nach Deutschland gehen. Das liegt nordwestlich von hier, falls du das nicht weißt. Ich habe gehört, dass man dort selbst fürs Nichtstun Geld und ärztliche Versorgung bekommt, dazu einen Sprachkurs. Du musst dich nur übers Nachbarland Jordanien bis nach Syrien durchschlagen, dich dort an der türkischen Grenze registrieren lassen – und ab geht’s ins Paradies«, meinte Levi mit einer ausladenden Handbewegung. Er drückte seinen Zigarettenstummel vor sich in den Sand.

      »Als Flüchtling? Aber wovor würden wir denn flüchten?«, fragte Solaras erstaunt.

      Levi drehte sich zu Aaron um. »Da hast du ja einen schönen Vogel angeschleppt. Es kann auf dieser Welt doch keinen Menschen geben, der noch nichts vom IS gehört hat, verflixt noch mal!« Er wandte sich stirnrunzelnd an Aaron. »Ich sage dir, wenn der von irgendwem gesucht wird und wir werden deswegen als Unterstützer mit ihm in Verbindung gebracht …!«

      »IS? Ist das ein Kürzel, und wenn ja, wofür steht es?«, unterbrach Kalmes seinen Redeschwall.

      Levi seufzte. »Ihr seid sowas von ahnungslos, ihr Nasen. Das ist die Terrormiliz Islamischer Staat, die weite Teile Syriens, des Irak und der Kurdengebiete kontrolliert. Eine wüste Horde von Idioten, die den Islam als Deckmantel für ihre Machtgelüste benutzen und im Namen Allahs wahllos sogenannte Ungläubige töten. Sie leben ihre Gewaltfantasien aus und verdrehen besonders jungen Leuten die Gehirne, versteht ihr?«

      Solaras und Kalmes zuckten synchron mit den Achseln, blickten entsetzt drein.

      »Ihr müsst vor der türkischen Grenze eure Pässe wegwerfen

      – nämlich diejenigen, welche ich euch noch besorgen muss – und behaupten, ihr wärt Syrer und wollt nach Deutschland, und zwar ausschließlich dorthin. Dann wird es klappen.«

      »Und wie ist dieses Deutschland