man bereits für zwei Kinder vorgesorgt hatte. Es gab ein relativ großes Zimmer, in dem zwei Betten frei schwingend von der Decke hingen, die sich rundum mit Plexiglas gegen Herausfallen absichern ließen. Man erreichte sie bequem über eine kunterbunte, elektrisch betriebene Aufzugkapsel an der Wand. Mehrfach probierte die künftige Mutter aus, wie man die Betten mittels einer Fernbedienung an die Kapsel andockte, so dass Kinder gefahrlos in ihre hängenden Betten umsteigen konnten. Dank dieser intelligenten Lösung blieb am Boden genügend Platz zum Spielen und Toben.
»Dann kann der erste kleine Marsmensch ja bald kommen«. Swetlana schmiegte sich glücklich in Philipps Arme.
*
Schon am folgenden Tag mussten die Emmersons feststellen, wie festgefügt und überreguliert in der Marsexklave Phönix 1 der Tagesablauf war. Es gab Schulungen in Gartenbau und Haushaltsführung, dazu einen Kurs mit albernen Rollenspielen über Konfliktbewältigung, Kommunikation und den allgemeinen zwischenmenschlichen Umgang; Teilnahme war Pflicht. Man musste feste Tageszeiten für die Gartenarbeit einhalten und durfte seine Behausung ansonsten nur nachts verlassen. Dabei hatten die Leute jedoch innerhalb des mit einer zwei Meter fünfzig hohen Mauer befriedeten Siedlungsgebietes zu bleiben.
Das Freizeitangebot umfasste ein 5D-Kino, ein hochmodernes Schwimmbad und diverse Tanzveranstaltungen, die jedoch nicht täglich stattfanden. Die Organisation wirkte reichlich chaotisch, hatte sich noch nicht eingependelt.
»Freiheit habe ich mir ein wenig anders vorgestellt«, lamentierte Philipp nach zwei Wochen Stubenhockerei. »Ich möchte gerne die umliegende Gegend erkunden und meinen Tagesablauf selber bestimmen. Die können uns doch nicht ewig an der kurzen Leine halten! Wenn das so weiter geht, bekomme ich einen Lagerkoller.«
Am Ende der dritten Woche suchte er die Verwaltung auf, um nach Sondererlaubnissen zu fragen. Mittlerweile fehlten nur noch zwei Raumfrachter, also insgesamt zweihundert Personen. Da hätte es nach seiner Ansicht doch möglich sein sollen, allmählich so etwas wie Alltagsnormalität in der Siedlung aufkommen zu lassen.
Aber weit gefehlt. Die unattraktive Dame im Verwaltungsbüro erklärte ihm, dass auf der Erde noch Verhandlungen im Gange seien, wie eventuell anwesenden Außerirdischen zu begegnen wäre. Es gebe Hinweise darauf, dass sich weitere, nicht von der Erde stammende Marsianer auf dem Planeten aufhielten. Bis das vollends geklärt sei, solle man sich ruhig und unauffällig verhalten und die Urbanisation aus Sicherheitsgründen keinesfalls verlassen.
»Das kann lange dauern«, seufzte die dürre Brünette mit dem Nasenhöcker. »Sobald mehrere Nationalitäten an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, ist eine Einigung schwer zu erzielen. Soll man sich den Fremden zu erkennen geben, wie soll man zu kommunizieren versuchen, könnten die Anderen uns womöglich feindlich gesinnt sein, wie verteidigen wir im Ernstfall unser Territorium … über solche und andere Dinge redet man sich die Köpfe heiß.
Momentan liegen die USA mit den Osteuropäern im Clinch. In nächster Zeit besteht wohl keine Chance auf eine einheitliche Gangart, tut mir leid. Ich muss Sie also bitten, sich strikt an die bestehenden Regeln zu halten.«
»Super! Und ich habe geglaubt, es gäbe hier die Möglichkeit zu einem echten Neubeginn. Dabei ist alles beim Alten. Wir haben gleich die unangenehmsten Kulturgüter der Erde hier installiert, wie es scheint«, schimpfte Philipp. Er war desillusioniert und musste sich eingestehen, dass er und seine Frau wildromantischen Vorstellungen über ein schönes Leben auf dem Mars aufgesessen waren, die mit der Realität wenig gemein hatten.
»Schlimmer noch«, erwiderte die dürre Krähe sarkastisch.
»Wir hängen trotz der riesigen Entfernung an stählernen Marionettenfäden. Hätte ich das vor meiner Bewerbung geahnt, würde ich jetzt bestimmt nicht hier auf dem Mars sitzen und meinen Mitmenschen unfreiwillig auf die Nerven gehen. Ich hatte es früher so bequem auf meinem Verwaltungsposten im Europäischen Parlament.«
Mars, 12. August 2121 nach Christus, Dienstag
In Phönix 1 war nach und nach so etwas wie Alltag eingekehrt, auch wenn dieser mit den alten Gewohnheiten von der Erde wenig zu tun hatte. Bis auf weiteres galt für den Mars dasselbe Zeitsystem wie auf der Erde, weil die Siedlung als Kolonie und nicht als eigenständiges Land galt. Ein marsianisches SolJahr betrug zwar aufgrund der weiten Entfernung zur Sonne rund 668 Sol, war also annähernd doppelt so lang wie ein irdisches, aber das interessierte auf der Erde niemanden. Somit lag beispielsweise der August in dem einen Jahr im Hochsommer, im nächsten im tiefsten Winter. Manche Einwohner verwirrte das, denn die willkürlich festgelegten Monate wirbelten den natürlichen Rhythmus durcheinander.
Dabei wäre es so einfach gewesen, ein sinnvolleres Zeitsystem einzuführen. Bereits 1985 hatte der Raumfahrtingenieur und Politologe Thomas Gangale einen Marskalender entworfen und diesen nach seinem Sohn Darius Darischer Kalender benannt. Dieser Kalender teilte das SolJahr in 24 Monate auf, wobei der Jahresbeginn zugleich den Frühlingsanfang auf der nördlichen Hemisphäre des Planeten markierte. Aber nein, die Mächtigen der fernen Erde wollten offenbar vermeiden, Umrechnungen vornehmen zu müssen, wenn es um gemeinsame Termine ging. Der Mars duckte sich unter der irdischen Knute.
Als mindestens genauso gewöhnungsbedürftig empfanden die Marskolonisten die Temperaturen. Wollte man vor die Tür gehen, musste man sich meistens dick anziehen. Im Sommer kletterte das Thermometer tagsüber selten auf 20 Grad Celsius, während die Temperatur nachts auf kalte 6 bis 10 Grad sank. Richtig unangenehm waren die langen, eiskalten Winter. Temperaturen von minus 50 Grad waren da keine Seltenheit.
Swetlana grämte sich. Sie war immer noch nicht schwanger geworden, während die ersten Frauen mittlerweile ihre Babys schon zur Welt gebracht hatten, manche sogar Zwillinge. Nun nahm sie auf Anraten des Frauenarztes Hormone ein.
Philipp Emmerson hatte man gleich nach der Ankunft zur Wartung der Bewässerungsanlagen in den Gewächshäusern am südlichen Stadtrand eingeteilt, während Swetlana zusammen mit einer Schar anderer Frauen die Verwaltungsgebäude putzte. Die weitaus größere Anzahl der Kolonisten wurde für Wartung und Pflege, Versorgung und Verwaltung der Siedlung gebraucht. Es gab zudem noch einige Wissenschaftler, die Experimente durchführten und die Ergebnisse regelmäßig zur Erde schickten. Jeder Einwohner hatte genügend zu tun.
Dennoch kam häufig eine latente Unzufriedenheit auf, die vor allem daraus resultierte, dass man die Siedlung so gut wie gar nicht verlassen konnte. Die zehn Marsrover waren ausschließlich zur Erledigung offizieller Aufgaben gedacht, durften nur von einer Handvoll Personen gesteuert werden. Es gab zwar monatlich PicknickAusflüge auf benachbarte Hügel, doch die frustrierten Philipp eher. All das Geplauder und Geplapper, das neugierige Taxieren … Hin und wieder musste er einfach mal alleine sein, um in Ruhe seinen Gedanken nachzuhängen.
Wie er empfanden vielen Kolonisten. Nachbarn gingen sich gegenseitig auf die Nerven, Konflikte zwischen den Nationalitätengruppen flammten auf. Die Unmöglichkeit, sich zeitweise persönliche Freiräume zu schaffen oder woanders hin umzuziehen, generierte Nährboden für Ärger. Man steckte in einem Hamsterrad, zusammen mit stets denselben Personen, die man mehr oder weniger leiden konnte, und das ohne Aussicht auf Veränderung.
Viele vermissten im eigenen Heim die allabendliche Berieselung durch das Fernsehen und beklagten die geringe Auswahl an Konsumgütern. Die Raumfrachter brachten nur das Notwendigste mit. Zudem nervte die Notwendigkeit, bei jedem Gang ins Freie eine Atemschutzmaske aus Viskosepapier zu tragen. Die war notwendig, damit der allgegenwärtige feine Marsstaub die Lunge nicht schädigte.
Gut die Hälfte glaubte mittlerweile, dass es ein fataler Fehler gewesen sei, für immer auf den Mars umzusiedeln. Die Einsicht kam natürlich zu spät, denn sie alle hatten sich vertraglich verpflichtet; eine spätere Rückkehr zur Erde war in den Klauseln des Vertragswerks ausdrücklich ausgeschlossen.
Am heutigen Dienstag hatte Philipp die Schnauze mal wieder gestrichen voll. Seine Ehefrau lief mit einer depressiven Leichenbittermiene durch die Gegend, weil sie erneut ihre Periode bekommen hatte. Nachbar Thomas meinte momentan scheinbar, seine miese Laune an ihm auslassen zu müssen, was bei der