Andrea Ross

Operation Terra 2.0


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Bilder flimmerten in brillanter Qualität über die Tapete. Ein bärtiger Araber mit Turban und Maschinengewehr hauchte soeben schlotternd und sabbernd sein Leben aus. Fast meinte man, der Islamist würde inmitten des Wohnzimmers verenden, so täuschend echt wirkten die dreidimensionalen Aufnahmen.

      Unvermittelt erschien eine überdimensional große Tablettenpackung auf der Bildfläche. Eine schmale, top manikürte Frauenhand reichte sie quasi aus der Tapete.

      »Die lang ersehnte Rettung für Epileptiker – garantiert ohne lästige Nebenwirkungen. Gleiter fliegen, zum Mars reisen, an Maschinen arbeiten, pure Lebensqualität genießen … mit diesem innovativen Medikament wird das künftig kein Problem mehr sein«, versprach eine säuselnde weibliche Stimme.

      *

      Sechs Monate später flimmerte eine Werbung der besonderen Art über die oft und gern genutzte Wundertapete. Sie wurde von der Bundesregierung in Kooperation mit der Europäischen Union und der ESA ausgestrahlt, entsprechend plakativ in Szene gesetzt.

      Man sah eine attraktive Frau mittleren Alters, die lächelnd in einem kleinen Gemüsegarten stand. Im Hintergrund leuchtete ein Wohnmodul aus weiß glänzendem Kunststoff, das sich kontrastreich gegen den blauvioletten Himmel abhob. In einiger Entfernung erkannte man schroffe rötliche Bergkämme.

      »Wollen Sie der Enge der Großstadt entkommen, Stress und Hektik entsagen, Ihrem Leben eine vollkommen andere Ausrichtung geben? Wir bieten Ihnen ein einfaches, aber zufriedenes Leben in dieser faszinierend neuen Welt. Kontaktieren Sie uns! Sollten sich mehr als tausend geeignete Bewerber aus Europa und den USA für das Siedlungsprojekt bei uns melden, entscheidet das Los«, verkündete der adrette junge Sprecher, während die Kamera langsam durch das Modell der im Schachbrettmuster angelegten Siedlung schwenkte. In Wirklichkeit waren die weißen Plastikmodule wohl noch im Bau. Mailadresse und Telefonnummer der für Europa zuständigen Sondierungsbehörde wurden eingeblendet.

      Philipp Emmerson notierte beides. Was für eine angenehme

      Vorstellung … keine Kläranlage, keine unangenehmen Mieter mehr, die er zufriedenstellen müsste. Swetlana und er könnten endlich in einem eigenen Haus wohnen, bräuchten sich nur noch um das Gärtchen und ein paar Wartungsarbeiten kümmern. Ade Überbevölkerung, ade eiskalter Kapitalismus. Auf dem Mars wurden einem die benötigten Waren kostenfrei zur Verfügung gestellt, Nahrung konnte man zum Teil selbst anbauen. Der Rest wurde halbjährlich mit Raumfrachtern angeliefert. Ein reguliertes Leben wie im Sozialismus, der in diesem Fall jedoch wohl kaum von macht- und geldgierigen Funktionären korrumpiert wäre. Natürlich … es handelte sich um ein Pilotprojekt zur Marsbesiedlung, das nicht völlig frei von unwägbaren Gefahren sein würde – aber lebte man denn in diesen Tagen auf der Erde sicher und komfortabel? Nein, beileibe nicht.

      Swetlana, die neben ihm saß, erahnte seine Gedanken. »Du denkst ernsthaft darüber nach, nicht wahr? Man muss natürlich im Hinterkopf behalten, dass es ein One WayTicket wäre. Bist du einmal oben, kommst du nie mehr zurück zur Erde. So lauten die Bedingungen. Auch müssten wir uns zuvor umfangreichen Psychotests und körperlichen Untersuchungen unterziehen. Sie nehmen für dieses Siedlungsprojekt nur absolut gesunde Menschen, was ja auch Sinn macht. Sie begründen schließlich eine neue Zivilisation.«

      »Schon klar. Aber stelle dir doch vor, welch ein Abenteuer das wäre! Man kann auf dem Mars inzwischen ganz normal atmen, die kosmische Strahlung ist akzeptabel. Man benötigt nur handelsübliche Cremes mit Lichtschutzfaktor. Der Planet ist inzwischen sehr wasserreich, es gibt bizarre, unerforschte Landschaften zu entdecken. Also mich reizt der Gedanke sehr, dass wir beide demnächst als Pioniere dorthin ziehen könnten. Und dort wäre es wahrscheinlich sogar möglich, ein Kind in die Welt zu setzen, einen kleinen Marsmenschen«, lockte Philipp, nicht ohne Hintergedanken.

      Seine Frau war sofort Feuer und Flamme. Wie oft hatte sie ihren Kinderwunsch aufgeschoben, weil die finanzielle Situation zu prekär gewesen war. Ihre biologische Uhr tickte.

      »Siehst du? Es war ein Fingerzeig des Schicksals, dass ich unbedingt diese Mediatapete haben wollte. Ansonsten hätten wir den Aufruf vermutlich nicht einmal mitbekommen. Morgen früh vereinbare ich bei der halbstaatlichen Sondierungsbehörde einen Termin zur Antragstellung für uns beide. Einverstanden?«, freute sich Swetlana.

      »Einverstanden«, nickte Philipp, während ein riesiger Schokoriegel durchs Wohnzimmer zu schweben schien. Er drehte sich um sich selbst. Mars, stand auf der metallicbraunen Umhüllung zu lesen.

      

       Tiberia, KINZeit: KINZeit: 13.5.15.16.6, Donnerstag

      

      Der Vorderste der Sektion Archiv, Geschichte und Schrift strich mit dem rechten Zeigefinger nachdenklich über das Relief einer Schreibfeder, die auf dem Deckel sei nes Kommunikators angebracht war. Er und sein heiß geliebter Schreiber Zamor taten sich regelmäßig schwer damit, die gesammelten Dokumentationen von Terra psychisch zu verarbeiten. So auch heute.

      Seit einigen Wochen waren sie dabei, die Ereignisse auf Terra seit dem Jahr des ersten bemannten Marsflugs 2023 zu sichten. Die umfangreiche Tätigkeit kostete jede Menge Zeit und Nerven. Sie war jedoch unabdingbar. Erstens konnte man aus der wechselhaften Geschichte einer parallel existierenden menschlichen Zivilisation wertvolle Lehren ziehen und zweitens erkannte man so die signifikanten Momente, in denen es ratsam erschien, auf Terra rückwirkend in das Geschehen einzugreifen.

      Regentin und Vorderste Alanna, der Arden in regelmäßigen Abständen Bericht erstatten musste, war trotz einiger Fehlschläge bei solchen Eingriffen immer noch felsenfest der Meinung, dass man ein wachsames Auge auf jene unbedarften Brüder und Schwestern haben müsse, die demnächst zu direkten Nachbarn des tiberianischen, bald wieder marsianischen Volkes werden würden. Am liebsten hätte sie im Nachhinein die ersten Schritte der Terraner auf dem Mars ungeschehen gemacht, die AuroraMission sabotiert, doch sie ahnte, dass diese Manipulation den Griff nach dem Mars höchstens aufgeschoben hätte.

      Es musste nach Lage der Dinge eines Tages zwangsläufig zur Konfrontation kommen, dann jedoch am besten kontrolliert und nach den Regeln ihres Volkes. Den degenerierten Terranern würde entweder die Vertreibung vom Mars oder ein Leben in larvierter Sklaverei blühen, das hatte sie sich insgeheim auf die Fahnen geschrieben.

      »Der Mensch neigt anscheinend dazu, alles aufzuteilen und seinen vermeintlich gerecht erworbenen Anteil eifersüchtig zu bewachen«, meinte Zamor betrübt. »Bei uns richtet sich die Aufteilung in verschiedene Sektionen wenigstens nach einem sinnvollen System. Aber bei denen? Ost und West, Arm und Reich, Christentum und Islam, Nationalisten und Freigeister … da blickt doch keiner mehr durch.«

      »Du sprichst ein wahres Wort. Da überschneiden sich Grenzen, das macht das Wirrwarr aus egoistischen Intentionen und Machtspielen unübersichtlich. Dazu kommen noch die Folgen des Klimawandels, die einerseits wegen der selbst ausgelösten Erderwärmung, andererseits wegen geheimer Wetterexperimente des Militärs auftraten. Die massiven Unwetter verwüsteten ganze Landstriche, die Küstengebiete wurden zunehmend überflutet und somit unbewohnbar. Wie kann man so blind sein? Schließlich lebte der Großteil der terrestrischen Menschen bis dato in Städten am Meer!«, echauffierte sich Arden.

      »Geheime Wetterexperimente?«, wunderte sich sein Gefährte.

      »Ja, so krank das auch klingen mag. Wer das Wetter kontrolliert, kann seinem Feind über die Auswirkungen großen Schaden zufügen. Dürren, Überflutungen, Tornados – all das wurde bedenkenlos ausgelöst, um eigene Exporte in das betroffene Land zu steigern oder den Gegner militärisch zu schwächen, je nach Interessenlage. Sie setzten hierzu unter anderem innovative Mikrowellentechnik und Silberionen ein. Heimlich natürlich, um die Bevölkerung nicht auf die Barrikaden zu treiben. Man schob einfach alle Wetterkapriolen auf die unvermeidliche Erderwärmung. Kaum zu glauben, nicht wahr?«

      »Unfassbar. Und die Leute merkten wirklich nicht, was man da mit ihnen veranstaltete?«

      »Es wurden auf dem Wetterradar unerklärliche Phänomene gesichtet, die eher wie Bildstörungen aussahen. Über manchen