Damit beginnt die Entstehung eines hohen alpinotypen Gebirges als topographisch herausragende Oberflächenform (Kap. 11).
Ein solches Kollisions-Orogen hat etwas von einem Januskopf: eine Innensicht und eine Außensicht, verschieden, aber zusammengehörig. Der eigentliche geologische Prozess der Gebirgsbildung oder Orogenese ist die Kollision der kontinentalen Plattenteile, bei der Teile der Erdkruste über- und untereinander geschoben, gestapelt, verformt und umgewandelt werden. Diese Prozesse laufen in der Tiefe ab und müssen sich nicht unmittelbar in der Bildung eines hohen Gebirges bemerkbar machen. Im landläufigen Sinn wird unter einem Gebirge hingegen der topographische, also der Oberflächen-Ausdruck in Form einer hohen Bergkette verstanden. Gebirgsbildung in diesem Sinn ist die Heraushebung von Gesteinsmassen zu einem Hochgebirge. Der geologische Gebirgsbildungsprozess in der Erdkruste bedingt zwar die topographische Heraushebung eines Gebirges, diese Kopplung ist aber komplex und nicht immer direkt. Oft erfolgt die Heraushebung mit erheblicher Verzögerung von vielen Millionen Jahren auf die Gebirgsbildung in der Tiefe.
Die Alpen entstanden durch die Kollision der Adriatischen Platte, die am Nordrand Afrikas einen vorragenden Sporn bildete, mit Europa (Abb. 13.7). Dabei wurde Europa entlang einer nach Süden abtauchenden Subduktionszone unter die Adriatische Platte geschoben. Der Himalaya entstand durch die Kollision von Indien, das sich als eigene Platte von Afrika löste, mit Zentralasien. Hier tauchte die Subduktionszone aber nach Norden ab, somit wurde Indien unter Asien geschoben. In beiden Fällen erfolgte die Kollision in der frühen Tertiärzeit vor rund 40 – 50 Millionen Jahren. Die Hebung zu einem Hochgebirge begann jeweils etliche Millionen Jahre später.
Erfolgt Subduktionstätigkeit über einen langen geologischen Zeitraum, wie dies am Aktiven Kontinentrand der Anden der Fall ist, dann ist die Produktion von subduktionsgebundenen Magmatiten entsprechend groß. Dadurch erfährt ein bestehender Kontinent einen deutlichen Zuwachs und ebenfalls Krustenverdickung, die zum Aufstieg eines Gebirges führt (andinotypes Gebirge; Kap. 11).
Subduktion in plattentektonisch komplexen Gebieten kann zur Bildung mehrerer Inselbögen führen, wie dies heute im westlichen Pazifik der Fall ist. Bei Kollision der Inselbögen entstehen Gebirge und neue Kontinente (Inselbogentyp der Gebirgsbildung).
In Regionen mit lang anhaltender Subduktion bildete sich im Lauf der Erdgeschichte neue kontinentale Kruste. Heute wird rund ein Drittel der Erdoberfläche von kontinentalen Krustenarealen eingenommen. Der Zuwachs an kontinentaler Kruste erfolgte in der geologischen Vergangenheit nicht gleichmäßig. Er war im Präkambrium, und zwar vor allem im späten Archaikum vor rund zweieinhalb bis drei Milliarden Jahren, besonders groß (Kap. 10).
2. Plattenbewegungen und ihre geometrischen Beziehungen
Im vorangegangenen Kapitel wurden die drei Arten von Plattengrenzen vorgestellt: konstruktive (Mittelozeanische Rücken), konservative (Transformstörungen) und destruktive (Subduktionszonen). Es wurde auch festgestellt, dass jede Bewegung einer Platte auf der Erdoberfläche, die hier der Einfachheit halber zu einer Kugeloberfläche idealisiert wird, als Rotation um eine Achse, die durch den Erdmittelpunkt gelegt ist, ausgedrückt wird. Jede Plattenbewegung oder Relativbewegung zwischen zwei Platten kann daher mit der Lage des Rotationspols auf der Erdoberfläche und der Winkelgeschwindigkeit der Bewegung angegeben werden.
Dieses Kapitel begibt sich teilweise auf das Gebiet der Geometrie, um Plattenbewegungen verständlich zu machen. Über die Gleichungen mit Winkelfunktionen kann aber auch hinweggelesen werden.
Die Relativbewegung zwischen zwei Platten verläuft immer parallel zu Transformstörungen. Dies ist für die weiteren Betrachtungen von besonderer Bedeutung. In der Natur gibt es zwar Abweichungen davon, indem die Bewegung an bestimmten Abschnitten von Transformstörungen eine einengende oder zerrende Komponente aufweist (Kap. 8), doch kann dies bei den theoretischen Überlegungen hier vernachlässigt werden. Bei divergierenden Platten kann die Bewegung schräg zur Plattengrenze verlaufen, hat aber die Tendenz, sich gemäß der größten Stabilität der Spreizungsachse senkrecht zu ihr einzustellen. Bei konvergierenden Platten ist eine solche Tendenz nicht ausgeprägt, die Subduktion verläuft oft schräg zum Plattenrand.
Nützliche Transformstörungen
Transformstörungen sind für die Bestimmung von Plattenbewegungen von großem Nutzen. Sind Transformstörungen exakt ausgerichtet, stellen sie reine Seitenverschiebungen dar und stehen zum gemeinsamen Rotationspol der beiden Platten, die von der Störung getrennt werden, in geometrischer Beziehung: Sie bilden Kleinkreise um diesen Pol. Kleinkreise entstehen durch den Schnitt der Oberfläche der Erdkugel mit Ebenen, die nicht durch den Kugelmittelpunkt gehen. Sie sind kleiner als Großkreise, die durch den Schnitt der Oberfläche mit einer Ebene entstehen, die durch den Mittelpunkt gelegt ist (größtmögliche Kreise auf einer Kugeloberfläche). Am geographischen Gradnetz sind z. B. alle Längenkreise und der Äquator Großkreise, alle anderen Breitenkreise Kleinkreise (Abb. 2.1). So wie sich die Breitenkreise konzentrisch um den geographischen Pol anordnen, sind die Transformstörungen zwischen zwei Platten konzentrisch um den gemeinsamen Rotationspol angeordnet. Zieht man senkrecht zu den Transformstörungen Großkreise, so schneiden sich diese im gemeinsamen Rotationspol – genauso wie sich die Längenkreise der Erde im geographischen Pol, d. h. im Rotationspol der Erde, treffen. Auf diese Weise können die Rotationspole zwischen zwei Platten konstruiert werden (Abb. 2.2).
Eine Kontrolle erhält man durch die Mercatorprojektion der Erdoberfläche. Bei der Mercatorprojektion liegen die Pole im Unendlichen, die Polregionen können daher nicht dargestellt werden. Das Gradnetz ist orthogonal, d. h., Längen- und Breitenkreise verlaufen geradlinig und stehen senkrecht zueinander. Nimmt man den gemeinsamen Rotationspol zweier Platten als Pol einer Mercatorprojektion, dann müssen alle Transformstörungen, die die beiden Platten trennen, parallel zum Äquator dieser Projektion ausgerichtet sein (Abb. 2.3). Unregelmäßigkeiten bewirken kleine Abweichungen von der idealen Ausrichtung der Transformstörungen. Mittelozeanische Rücken liegen in dieser Darstellung genau senkrecht zu den Transformstörungen, wenn die Ausbreitung des Ozeanbodens senkrecht zu den Spreizungsachsen erfolgt.
Abb. 2.1: Einige mögliche Großkreise (rot) und Kleinkreise (grün) auf einer Kugeloberfläche.
Abb. 2.2: Konstruktion des gemeinsamen Rotationspols zweier divergierender Platten [Morgan 1968]. a) Prinzip der Konstruktion: Die Normalen (gelbe Linien) zu den Transformstörungen, die konzentrischen Kleinkreisen um den Rotationspol folgen, treffen sich im Rotationspol. b) Bestimmung des gemeinsamen Rotationspols der Südamerikanischen und der Afrikanischen Platte mit Hilfe der Transformstörungen am Mittelatlantischen Rücken zwischen Brasilien und Westafrika.
Die Rotationspole der Platten beiderseits des Mittelatlantischen und des Ostpazifischen Rückens liegen in der Nähe der geographischen Pole [LePichon 1968]. Beide Rücken nehmen weitgehend eine Nord-Süd-Lage, ihre Transformstörungen eine Ost-West-Lage ein. Die bevorzugte Nord-Süd-Orientierung der Mittelozeanischen Rücken spiegelt möglicherweise eine langfristige Beziehung zwischen Plattendrift und Erdrotation wider.