soll Hermann von dir denken? Erst besorgt er dir einen Termin, und du erscheinst dann nicht. Außerdem halte ich eine Untersuchung für unumgänglich. Du bist nie zur Vorsorgeuntersuchung gegangen. Das wird heute alles in einem Zug gemacht.“
„Du bist ja auch nicht hingegangen.“
„Das ist doch etwas ganz ...“ Er schwieg und fügte fast etwas kleinlaut hinzu: „Ja, du hast recht. Wir sind beide ziemlich leichtsinnig. Für nächste Woche lasse ich mir einen Termin geben.“
„Warum lässt du dich nicht heute untersuchen?“
„Bei dem Gynäkologen? Das Gesicht möchte ich sehen!“ Die Vorstellung erheiterte ihn.
Eva-Maria teilte seine Belustigung nicht. „Sie haben auch eine Männerabteilung.“
„Kann ich mir denken. Aber ich habe keinen Termin, und ohne Anmeldung wird das nicht gehen. In der nächsten Woche, bestimmt.“
„Dann ruf jetzt an!“ Wenn sie so energisch sprach, dann meinte sie auch, was sie sagte. Und Ausflüchte und Vertröstungen nützten gar nichts.
Er fühlte sich fast eine Spur genötigt. Aber wenn er sich schon gegen eine einfache Vorsorgeuntersuchung sträubte, wie viel mehr Grund hatte sie dann mit ihren akuten Beschwerden und dieser höllischen Seelenangst?
Dazu noch eine Selbstdiagnose auf Krebs!
„Aber nicht in Bonn!“, sagte er brummig.
„Das spielt keine Rolle. Hauptsache, du gehst hin.“ Ihre Augen dirigierten ihn förmlich zum Telefon.
Er rief den Hausarzt an. Um diese Tageszeit war der Mann natürlich noch nicht in der Praxis. Aber die Sprechstundenhilfe war da etwas mürrisch, etwas unausgeschlafen.
Als sie den Namen Becker hörte, wurde sie hörbar freundlicher. Privatpatienten wie die Beckers genossen besondere Aufmerksamkeit. Walter bekam einen Abendtermin für den Dienstag der kommenden Woche.
Er trug die Uhrzeit in den Terminkalender ein und spürte warme Atemzüge im Nacken.
Eva-Maria war hinter ihn getreten und schaute ihm beim Schreiben zu.
„Zufrieden, mein Schatz?“ Er wandte sich halb um und blickte auf kurze Distanz in ihre wunderschönen blaugrauen Augen.
„Ja.“ Es hörte sich halb trotzig und halb zaghaft an, vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass sie es so einfach schon längst hätte haben können. Ein Anruf, ein Termin, die Untersuchung! Dann wäre ihr wohl erspart geblieben, was jetzt diese Beklemmungen hervorrief und ihr fast das Herz abdrückte.
„Heute Abend sieht die Welt für dich auch wieder zufriedenstellend aus, wirklich“, sprach er ihr Mut zu. „Hast du Schmerzen?“
„Nicht mehr als sonst. Hoffentlich bleibt es so.“
„Hoffentlich nicht. Es muss besser werden. Wie heißt der Arzt eigentlich? Hat ihn Hermann empfohlen?“
„Winter.“
„Winter? Winter?“ Er grübelte. Den Namen hatte er schon gehört, aber er wusste nicht, in welchem Zusammenhang das war. Vielleicht hatte Hermann mal bei einem Besuch diesen Namen im Gespräch erwähnt.
„Edith hat sich von ihm ihre Operation machen lassen“, gab sie ihm eine Erinnerungshilfe.
Jetzt entsann er sich. Edith war eine Bekannte, hatte früher in Bonn gearbeitet. Aus dieser Zeit kannte sie wohl diesen Winter und die Klinik, und darum war sie hingegangen, statt sich hier ins städtische Krankenhaus zu legen.
„Und sie ist zufrieden?“, fragte er. „Keine Beschwerden mehr und völlig schmerzfrei. Aber sie lag drei Wochen.“
„Was zählt das schon?“ Er fasste sie um die Taille und zog sie mit ins Esszimmer. „Jedenfalls scheint der Mann tüchtig zu sein. Sonst hätte Hermann bestimmt etwas gesagt. Er wird dir helfen können, ich glaube es ganz fest.“
Er zog sie am Tisch vorbei zum Fenster. „Guck dir nur die Blütenpracht im Steingarten an! Das hast du mit gutem Willen und Energie zustande gebracht. Als ich da noch rumgewerkelt habe, blühte immer nur das Gras.“
„Warum sagst du das, Walter?“
„Weil du mit halb so viel Energie deine Angst vor der Untersuchung überwinden kannst.“
„Vor der habe ich keine Angst, sondern vor dem Befund.“
Es hörte sich beinahe nach Spitzfindigkeit an.
„Das meinte ich auch“, bog er schnell ab und schaute auf die Uhr. „Wir setzen Tina an der Schule ab und fahren dann ganz gemütlich los. Die treue Olga wird jetzt schon das Nervenflattern haben. In einer Stunde platzt die Bombe.“
Auf der Treppe hörte er Tina poltern. Er ließ Eva-Maria los und ging in die Küche, um den Kakao anzurühren.
13
Die Polizei war schon wieder da. Zwei Mann in Zivil, einer in Uniform.
Schwester Karin war der Unglücksrabe, der den Besuchern in die Finger lief. Mit einem Gesichtsausdruck voller Resignation und Unbehagen brachte sie die Männer auf Station 3 b und parkte sie vor dem Ärztezimmer. Eilig verschwand sie hinter der Tür.
„Herr Doktor Winter, draußen sind Leute von der Polizei. Man will Sie sprechen.“
„Sagten sie, worum es sich handelt?“
„Nein, Herr Doktor. Nur, dass es wichtig ist.“
„Danke, ich stehe gleich zur Verfügung.“ Dr. Winter wandte sich an die Hebamme und reichte ihr zwei Krankenblätter zurück. „Hauk junior und unseren kleinen Flieger sehe ich mir nachher an. Was steht uns sonst heute bevor?“
„Wir haben noch immer nicht den Namen“, bemängelte Schwester Luise. „Vielleicht kann uns die Polizei helfen, wenn sie schon da ist. – Drei Geburten, zwei mit Wehentropf eingeleitet.“ Sie zog ihre unverwüstliche Uhr aus der Kitteltasche. „Um die Mittagszeit dürfte der Betrieb einsetzen.“
Wenn das keine präzise Auskunft ist!, dachte Dr. Winter schmunzelnd und blickte ihr nach, wie sie mit ameisenhafter Geschäftigkeit hinaus wuselte. Herr Hauk hatte sich gestern bei ihm über die Hebamme beschwert; er hatte sich den Redeschwall angehört und sich sein Teil gedacht und die Sache im Übrigen auf sich beruhen lassen. Erstens war Schwester Luise im Recht, zweitens gab es leider viel zu viele unverständige Väter, die ihren hochschwangeren Frauen die gefährlichsten Arbeiten zumuteten, und drittens waren Hebammen vom Schlag der Luise Schubert wahre Kostbarkeiten.
„Nun denn!“, murmelte er. „Hören wir nach, was unsere Freunde und Helfer bedrückt.“ Er steuerte ebenfalls der Tür zu.
„Auf ein Wort, Herr Kollege!“, hielt ihn Dr. Hermann Mittler zurück. „Heute kommt Frau Becker in Ihre Sprechstunde.“
„Ach ja, der Termin um elf. Sie haben ihn vermittelt.“
„Ich war behilflich. Frau Becker ist eine Jugendfreundin. Sie rief gestern an. Ihre seelische Verfassung lässt sich mit einem Wort beschreiben: erbarmungswürdig. Ich habe mich bemüht, sie etwas aufzumöbeln. Die Ehe ist, soweit ich beurteilen kann, intakt“, erklärte er rasch, als er die Brauen seines Oberarztes hoch wandern sah. „Frau Becker hat sich eine Ovarialinsuffizienz diagnostiziert und glaubt, dass es Krebs ist.“
„Die fachkundigen Laien!“, meinte Dr. Winter etwas unzufrieden. „Ihre Meinung?“
„Ich habe keine Untersuchung durchgeführt. Die geschilderten Symptome beunruhigen mich allerdings sehr, Herr Kollege. Die Frau tendierte weder zu Übertreibungen noch zur Labilität.“
„Für diese Hinweise bin ich Ihnen außerordentlich dankbar, Herr Mittler.“ Er starrte sekundenlang auf seine Schuhspitzen. „Sie werden Frau Becker treffen?“
„Wenn