A. F. Morland

Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren


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ich kenne den Hund, und vor allem kenne ich dich, Tochter. So, und jetzt bist du brav und machst keinen Ärger.“ Er gab ihr einen Kuss und ging hinunter, bevor sie eine endlose Debatte anzetteln konnte.

      Als sie das Haus abgeschlossen und noch nicht einmal die Grundstücksecke erreicht hatten, erklang aus Tinas Zimmer herausfordernd das papierene Quäken des geblasenen Kammes.

      „Hoffentlich ist das Cellophan bald alle“, meinte er seufzend.

      „Deine Tochter“, erklärte Eva-Maria.

      „Bin ich tatsächlich so anstrengend?“

      „Manchmal schon.“ Sie hakte sich bei ihm ein, und langsam wanderten sie die Straße entlang, bis die Häuser endeten und unbebautes Feld begann.

      10

      In der Stadt schlug eine Kirchturmuhr. Dünn zitterte der Klang heran und übertönte das dumpfe Rumoren des Verkehrs aus dem Zentrum.

      Auf einem beliebten Aussichtspunkt, wo die Stadt Ruhebänke aufgestellt hatte, wandte sich Eva-Maria um und blickte auf das Häusermeer zurück.

      „Wer weiß, wie es in zehn Jahren hier aussehen wird?“ Sie seufzte.

      „Nichts einfacher als das. Wir gehen heraus und sehen uns den Spaß an, mein Mädchen.“

      „Du schon.“

      Mit Schrecken merkte er, dass sie schon wieder von ihrem dubiosen Verdacht anfing.

      „Zusammen mit dir“, versetzte er ziemlich verbissen. „Tina ist dann achtzehn, und da brauchen wir nicht mehr auf sie zu zählen.“

      Sie nahmen auf einer Bank Platz und schauten auf die Stadt. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie sich ausgedehnt, war lauter geworden, hatte vier Hochhäuser bekommen und einen neuen Bahnhof. Den Platz hatten sie entdeckt, lange bevor sie das Haus kauften.

      Hier oben hatten sie Pläne geschmiedet, die nicht zu verwirklichen waren, und Schlösser errichtet, die ungebaut blieben.

      Drüben auf dem Berg stand das Krankenhaus. In den meisten Zimmern brannte schon Licht.

      „Weißt du noch, das erste Mal?“, sagte Eva-Maria leise.

      Er wusste es. Das war ihr erster Krankenhausaufenthalt. Eine geplatzte Zyste am rechten Eileiter. Die Operation in buchstäblich letzter Minute. Höllenqualen hatte er ausgestanden – seelische Höllenqualen, dass er sie verlieren würde.

      Der nächste Aufenthalt kam, als sich Tina ankündigte. Drei Wochen zu früh. Neugierig auf die unbekannte Welt draußen. Neugierig wie alle weiblichen Wesen.

      Und immer hatte es sich dort drüben in diesem weißen Krankenhaus über den grünen Parkbäumen abgespielt, die jetzt wie dunkle, düstere Zusammenballungen aussahen.

      Eva-Maria und Walter waren sich im Denken sehr ähnlich. Darum erstaunte es ihn nicht, als sie dort an diesem Krankenhaus anknüpfte: „Zweimal bin ich herausgekommen, das dritte Mal schaffe ich es nicht.“ Sie suchte seine Hand und schob die ihre hinein, als wollte sie ihre Seele, ihr Ich an einem wohligen Ort bergen.

      Sie steht vor einer unübersteigbaren Wand, dachte Walter beklommen. Sie sieht keinen Ausweg! Wie kann ich ihr bloß helfen? Gutes Zureden hilft nicht. Dann vielleicht mit Ironie?

      „Du redest gerade, als sei da schon ein Bett für dich reserviert. Mal ganz ernsthaft, Eva du bist in Panik. Du siehst Dinge, die niemand wissen kann. Morgen lässt du dich untersuchen. Es widerspricht jeder Logik, ein medizinisches Ergebnis vorwegzunehmen. Du hast dich verrannt und steckst in einer Sackgasse. Woher willst du wissen, dass du ins Krankenhaus kommst?“

      „Ich spüre es.“ Sie kuschelte sich an ihn. Sie zitterte.

      „Ah, das berühmte Gespür, das die Frauen haben und das den Männern fehlt“, entgegnete er etwas grob. „Darauf gebe ich nichts.“

      „Versprichst du mir etwas?“ Flehend schaute sie ihn von unten herauf an.

      „Das ist unfair! Du treibst mich in die Enge und willst von mir eine Blankozustimmung. Sag erst mal, was du dir ausgedacht hast.“

      „Ja oder nein?“

      „Ja!“, knurrte er nach einer Pause. „Aber mit Vorbehalt. Du darfst nichts Unbilliges von mir verlangen. Ich beanspruche Rücktrittsrecht.“

      „Es ist nicht unbillig.“

      „Sagst du! Was ist es?“

      „Du musst wieder heiraten!“ Jetzt war es heraus, und sie fühlte sich irgendwie erleichtert.

      Er saß ganz erschrocken. Lieber Himmel, ihre Gedanken waren ja schon reichlich abstrakt! Womit sie sich alles befasste! Ein hanebüchener Unsinn war das.

      „Wieder heiraten?“, sagte er und raffte sich zu mühsamer Heiterkeit auf. „Ich bin verheiratet – mit dir, und ich habe nicht die Absicht, diesen Zustand zu ändern. Außerdem, Bigamie ist verboten, und zwei Schwiegermütter und einen Kentenich halte ich nicht aus. Außerdem hat mal ein Spötter behauptet, Bigamie sei der Versuch, ein Übel zu verkleinern, indem man es verdoppelt. Aber der kann dich nicht gekannt haben.“ Behutsam legte er den linken Arm um sie und zog sie noch mehr an sich.

      „Du musst wieder heiraten, Walter danach. Auch wegen Tina. Sie braucht jemand, an den sie sich anlehnen kann.“ Ihre Stimme war fast nicht zu verstehen.

      „Ich mache von meinem Rücktrittsrecht augenblicklich Gebrauch. Und jetzt lass dir bitte von mir ins Gewissen reden! Du lässt dich hängen, noch bevor irgendeine Untersuchung vorgenommen ist. Du gibst dich auf, ohne zu wissen, was dir fehlt. Gespür, pah! Tina braucht dich und keine Ersatzmutter, ich brauche dich und du redest, als sei mit einem Schlag alles zu Ende. Wenn es dir hilft, dann nimm zur Kenntnis, dass du eine hervorragende Mutter bist und eine verteufelt gute Ehefrau und dass es dafür keinen Ersatz gibt. Halt dir das immer vor Augen und resigniere nicht einfach. Ich habe dich vielleicht nicht immer spüren lassen, wie glücklich ich mit dir bin. Aber es ist so. Man tut sich oft schwer mit Worten, wenn sie Gefühle ausdrücken sollen.“ Er verstummte, als er merkte, dass die Erregung mit ihm durchging und dass er heftig und laut sprach. Dann fügte er ruhiger hinzu: „Daran solltest du denken, nicht an ein hirnverbranntes Buch. Tina und ich, wir sind für dich da, und du für uns. Lohnt es sich dafür nicht, einen inneren Aufstand gegen alle düsteren Gedanken zu machen?“

      „Ich möchte schon, aber ich kann nicht. Ich habe nicht die Kraft, Walter.“

      „Das sagst du? Wenn jemand die Kraft hat, dann du. Und nicht können, das lasse ich nicht gelten. Du kannst es. Du musst nur wollen, ganz fest. Ich helfe dir dabei. Haben wir nicht immer alles gemeinsam gemacht?“

      Sie gab keine Antwort, aber sie presste sich noch fester an ihn.

      Stumm saßen sie auf der Bank und blickten auf die Stadt, deren Konturen in der sinkenden Dunkelheit zerflossen, um langsam neue Formen in Gestalt des Lichtermeeres anzunehmen.

      Nur der Augenblick des Übergangs ist düster, dachte Walter. Dann wird es wieder hell! Ein gutes Omen. Ob Eva es auch so empfindet?

      Aus den zehn Minuten wurde eine Stunde. Schließlich noch eine, bevor sie aufstand.

      Aus der Ebene kroch Nebel heran und verschluckte die Lichter am Rande der Stadt.

      11

      Unruhige Gedanken peinigten ihn.

      Mit ihrer Schwarzmalerei konnte sie einem wirklich Angst machen.

      Es war ihm unerklärlich, wie sie zu diesen Depressionen kam. Dieses unselige Medizinbuch allein konnte es nicht sein.

      Vielleicht befand sie sich gerade in einem seelischen Tief, und da kam unglücklicherweise die Krankheit hinzu, die sie mit Schmerzanfällen attackierte. Die Selbstdiagnose auf Krebs besorgte den Rest.

      So