wie sie Hermann vorschwebte.
Ganz ruhig, sagte er sich. Ich komme wie immer nach Hause, nicht schneller, nicht langsamer.
Dennoch kam es ihm wie eine kleine Ewigkeit vor, bis er sich durch die Stadt gekämpft hatte und in seine Straße einbog.
Zum wiederholten Mal fragte er sich, warum Eva nicht ans Telefon gegangen war. Aus Furcht, sie würde sich verraten?
Zumindest war sie jetzt da, das Küchenfenster war gekippt. Wenn sie das Haus verließ, schloss sie zuvor sorgfältig die Fenster.
Vor der Garage lag Tinas Fahrrad und blockierte die Einfahrt.
Er räumte das Hindernis beiseite und ließ das Tor hochschwingen.
Das dumpfe Rollen war immer im Haus zu hören und für Tina und Eva-Maria das Signal für sein Kommen. Er setzte den Wagen hinein und fand, dass die Garage mal wieder dringend aufgeräumt gehörte.
Später, nahm er sich vor. Am Wochenende vielleicht. Oder am darauffolgenden.
Seine beiden Damen standen in der Haustür, als er herauskam und etwas linkisch den Strauß hielt.
Blitzte nicht Argwohn in Eva-Marias Augen auf? War da nicht Misstrauen und Unsicherheit in ihren Blicken?
Meine Schuld!, schoss es ihm durch den Kopf. Wann habe ich ihr auch in den letzten Jahren ohne besonderen Anlass Blumen mitgebracht? Doch nie oder fast nie! Ich kann’s an einer Hand abzählen. Zum Geburtstag ja. Den Hochzeitstag hätte ich vergessen, wenn mich die treue Olga nicht daran erinnert hätte!
Er verspürte fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen und lächelte angestrengt.
Klein Tina machte kugelrunde Augen und starrte fasziniert auf den Strauß unter dem Cellophanpapier.
„Ist das eine hübsche Schleife“, beurteilte sie. „Darf ich die haben?“
Die Verkäuferin hatte das Papier oben mit einer rosa Zierkordel zugebunden und die Enden kunstvoll wie Kringellocken gedreht.
Er war fast etwas gekränkt, dass die alberne Schleife mehr Anklang fand als der Strauß. Aber dann lachte er. Gar zu begehrlich blickten Tinas Augen.
Außerdem konnten Kinder so gut wie alles gebrauchen. Es lag dann zwar hinterher irgendwo herum und wurde vielleicht noch ein oder zweimal zum Spielen hervorgekramt, wichtig war aber im ersten Augenblick das Gefühl, es zu besitzen, zu haben.
„Blumen? Für mich?“, fragte Eva-Maria zögernd, während sie den Strauß entgegennahm.
Sekundenlang war nur das Knistern des Cellophans zu hören.
Er sah ihr an, wie angestrengt sie überlegte, ob sie nicht einen wichtigen Familientag reinweg vergessen hatte. Schlagartig kehrte der Argwohn in ihre Augen zurück.
Sie denkt nach, ob ich etwas weiß, etwas ahne!
„Natürlich für dich, mein Schatz!“ Er lachte so unbekümmert, wie er konnte, und küsste sie. Es war ihm herzlich gleichgültig, dass der Nachbar herüberblickte, der gerade seinen Rasenmäher in den Vorgarten schob.
„Tag, Walter!“ Er merkte, dass sie sich seiner zärtlichen Begrüßung entzog. „Ich weiß wirklich nicht ...“
„Kannst du auch nicht wissen“, sagte er schnell. „Ich bin in guter Stimmung, und ich hoffe, dass ich deinen Geschmack getroffen habe.“
Sie suchte in seinem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen, die ihr den Grund für die Blumen und seine Fröhlichkeit verrieten.
„Er ist wunderschön, doch, Walter. Herzlichen Dank! Dann hat es heute also keinen Ärger für dich gegeben?“
„Massenhaft, aber der Kentenich ärgert sich noch viel mehr, und das freut mich.“ Während sie hineingingen, hob er den Aktenkoffer: „Kommt mir vor, als sei er einen Zentner leichter. Olga durfte seinen Einsparungsplan in den Papierkorb werfen.“
„Das gibt Ärger. Kentenich ist nachtragend.“
„Natürlich. Hoffentlich platzt er. Wenn er noch ein Jahr in der Firma regiert, sind wir auf den Hund gekommen. Begreift einfach gewisse Entwicklungen nicht. Hat keine Ahnung, welchen Trend der Markt vorzeichnet. Na ja, entweder schießt er sich selber ab oder er hat die Firma auf dem Gewissen. Ich hoffe, der erste Fall tritt ein.“
Er stellte den schwarzen Koffer an die Seite, hängte die Jacke an die Garderobe und band die Krawatte ab.
Im Spiegel sah er ihr Gesicht mit dem zweifelnden Ausdruck.
„Hast du noch mal Schmerzen gehabt?“, fragte er. „Du warst bei Scharnitz, oder?“
„Ich geh’ doch nicht zu ihm. Wie kommst du bloß darauf?“
„Heute Morgen habe ich angerufen, du bist aber nicht an den Apparat gegangen. Da habe ich halt gedacht, dass ...“ Sein Blick fiel ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand der Diabetrachter, eingerahmt von Schere, Bildtaschen, Diastreifen und Rähmchen.
„Das muss ich überhört haben. Vielleicht war ich in der Küche. Es tut mir leid, Walter. Es – es ist meine Schuld. Du hast gesagt, dass du anrufst, aber ich hab’s total vergessen.“
Sie schwindelte, er spürte es. Sie schwindelte rührend unbeholfen.
Wahrscheinlich hat sie davor die medizinischen Fachbücher aus dem Regal gewälzt, überlegte er, und dann im Zustand völliger Niedergeschlagenheit Hermann angerufen. Als ich es klingeln ließ, hat sie einfach nicht abgenommen. Aus Angst, ich könnte etwas merken, könnte ihrer Stimme anhören, dass einiges mehr als nur die Schmerzattacken ihr Kummer bereiten. Sie wusste ungefähr die Zeit, wann ich anrufen würde!
Sollte er nun einfach über die Sache hinweggehen?
Sie musste das als seltsam, geradezu unnatürlich empfinden, denn er machte sich immer große Sorgen, wenn in seiner kleinen Familie ein Krankheitsfall auftrat. Sie würde hellhörig werden, wenn er nicht fragte. Und misstrauisch war sie schon.
„Aber Hermann hast du doch angerufen?“
„Ja.“ Sie sagte es dünn, geradezu kläglich. Ihm entging nicht, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Mit einer heftigen Bewegung wandte sie sich ab, als schäme sie sich vor ihm und vor Tina.
„Na, na, was ist denn?“ Ganz behutsam fasste er sie an den Schultern, drehte sie zu sich herum und nahm sie in die Arme. Er spürte, dass sie zitterte. „Was hat er gemeint?“
Der Blumenstrauß war im Wege, die Umhüllung knisterte.
„Och, immer schmust ihr“, maulte Tina. „Krieg’ ich jetzt die Schleife oder nicht?“
„Später, nicht vor dem Kind“, mahnte Eva-Maria ihren Mann leise. Sie nahm sich sehr zusammen.
Walter gab sie frei.
Sie holte eine Vase aus dem Wohnzimmerschrank und trug sie mit den Blumen in die Küche.
Ich denke nicht, dass ich mich verraten habe, überlegte er. Misstrauisch ist sie nicht mehr, aber in einer erbärmlichen Verfassung. Da hat Hermann nicht übertrieben!
Er ging ins kleine Esszimmer. Wie jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkam, hatten ihm seine Mädchen, wie er sie nannte, die Thermoskanne voll Kaffee bereitgestellt. Eva-Maria machte den Kaffee, Tina kümmerte sich ums Geschirr und trug immer Tasse, Untertasse und Löffel heran, alles schön einzeln. Die Zuckerdose nicht zu vergessen. Gelegentlich war dann auch eine dezente Zuckerspur zwischen Küche und Esszimmer gestreut.
Er hörte Tina in der Küche plappern. Sie konnte es kaum erwarten, die rosa Schleife zu bekommen. Das Cellophanpapier knisterte.
„Nicht wegwerfen!“, rief die Kleine ganz aufgebracht. „Das kann ich auch gebrauchen.“
„Bitte, Tina!“ Evas Stimme klang vorwurfsvoll. „Und nachher liegt es vor dem Haus. Ist das Fahrrad weggeräumt?“
„Hat