das mit 24 Jahren“, sagte Bount. „Sie können einem wirklich leidtun.“
Der Mann im weißen Kittel tauchte auf. „Ich erstatte jetzt Dr. Stiller Bericht, komme aber sofort wieder zurück, um beim Eintreffen des Notarztwagens zugegen zu sein. Bis gleich!“
Er verließ das Office.
Bount betrat den Wohnraum, stirnrunzelnd. „Rufen Sie Dr. Stiller an“, bat er. „Fragen Sie ihn, warum er diesen Williams geschickt, hat.“
„Dr. Williams macht doch einen sehr tüchtigen, kompetenten Eindruck ...“
„Ich finde, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Ich kann mich nicht erinnern, bei einem Fall wie diesem jemals eine kürzere, schlampigere Untersuchung miterlebt zu haben“, sagte Bount.
„Dass die Ärmste tot ist, haben selbst Sie festgestellt, und das ohne Instrumente! Was hätte er denn noch machen sollen?“, fragte June.
„Rufen Sie Dr. Stiller an“, drängte Bount und griff nach der Handtasche der Toten. Er öffnete sie. Seine Augen weiteten sich. Die Tasche war leer. Selbst das Pillendöschen war daraus verschwunden.
Bount warf die Tasche aus der Hand und sprintete zur Tür. Als er den Korridor erreichte, sah er an seinem Ende zwei Männer im Gespräch. Der Mann im weißen Kittel war bereits verschwunden.
Er raste zum Lift und drückte auf den Knopf. Er verfolgte die elektrischen Anzeigen und biss sich ungeduldig auf die Unterlippe. Endlich hielt einer der Fahrstühle. Bount fuhr ins Erdgeschoss.
Er hastete durch die Mall zur Straße, ohne den Mann zu sehen, den er suchte. Er stürmte in die Tiefgarage des Buildings. Ein paar Wagen kamen ihm auf der Rampe entgegen, aber in keinem von ihnen saß der angebliche Dr. Williams. Bount machte kehrt, er fuhr mit dem Lift nach oben und betrat sein Office.
„Es gibt gar keinen Assistenten von Dr. Stiller“, empfing ihn June aufgeregt.
„Ich weiß. Wo ist Dr. Stiller?“
„Ich habe mit seiner Assistentin gesprochen. Er ist sofort nach meinem Anruf mit seiner Instrumententasche losgegangen und bis jetzt nicht zurückgekehrt.“
Bount setzte sich. „Ich wette, er ist noch im Haus.“ Bount sprang auf und rannte erneut aus dem Office. Er folgte einer logischen Eingebung. Wenn man Dr. Stiller seiner Instrumententasche beraubt hatte (Bount kannte diese Tasche, sie trug die Initialen des Arztes und hatte sich in den Händen des angeblichen Dr. Williams befunden) war anzunehmen, dass man dies im Lift getan hatte, auf dem Wege vom neunten zum vierzehnten Stockwerk.
Hier oben gab es eigentlich nur einen Ort, wo man den Arzt vorübergehend festsetzen konnte: die öffentliche Toilette. Jede andere Lösung hätte eine Eskalation der Gewalt bedeutet, ein Eindringen in andere Office Räume.
Bount stieß die Tür zu dem großen, weißgekachelten Raum auf. Er war leer. Nur eine der Boxen war besetzt. „Dr. Stiller?“, rief Bount halblaut.
„Sind Sie das, Reiniger?“, ertönte es prompt aus dem Innern der Box.
„Sie können herauskommen“, sagte Bount.
Stiller tauchte auf, schaute sich um und stieß die Luft aus. „Der Kerl hat mich geblufft. Wahrscheinlich ist er in dem Moment gegangen, als sich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Was hat das zu bedeuten, Reiniger?“
„Keine Ahnung. Ich werde herausfinden müssen, warum die Burschen meiner Klientin gefolgt sind. Einiges spricht dafür, dass es ihre Mörder waren. Diese Gangster müssen damit gerechnet haben, dass Mrs. Miller in meinem Office stirbt. Aber sie wollten sicher sein, dass das Gift wirkt – und dass kein Arzt ihnen ins Handwerk pfuscht.“
„Sie glauben, diese Männer wussten, dass ich der einzige Arzt im Gebäude bin und dass Sie sich an mich wenden würden?“, fragte Dr. Stiller.
„So sieht es aus. Die beiden haben nur logisch kombiniert und dabei ins Schwarze getroffen. Wie sah der Mann aus, der Sie hier einsperrte?“
„Er war der Handlanger eines gutaussehenden Schwarzhaarigen, der meinen Kittel und meine Instrumententasche übernahm – offenbar der Anführer des Unternehmens. Haben Sie ihn kennengelernt?“
„Ja. Ich möchte nur wissen, wie Ihr Mann aussah. Lassen Sie uns in mein Office gehen. In wenigen Minuten wird die Mordkommission eintreffen.“
Sie verließen die Toilette und schritten den Korridor hinab. Dr. Stiller lieferte eine kurze, präzise Beschreibung des Boxertyps. „Eine Visage wie seine muss doch aufzuspüren sein“, schloss er. „Ich wurde sie unter tausend anderen erkennen!“
Als sie das Office betraten, klingelte das Telefon. June nahm den Anruf entgegen. „Für Dr. Stiller“, sagte sie und streckte dem Arzt den Hörer entgegen. Gleichzeitig betätigte sie den Knopf, der das angeschlossene Bandgerät in Betrieb setzte. „Ich glaube, das ist unser Mann – der Schwarzhaarige!“, flüsterte sie Bount ins Ohr.
„Dr. Stiller“, meldete sich der Arzt.
„Hallo, mein Freund. Ich dachte mir, dass Sie in Reinigers Office zu erreichen sind. Ein schlauer Bursche, dieser Schnüffler. Sie sollten aber nicht so weit gehen, ihn zu unterstützen. Sie haben eine wundervolle Praxis, Doktor. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn sie plötzlich von einer Bombe verwüstet würde ...“
„He, wer sind Sie? Was soll dieser Unsinn?“, rief der Arzt erregt in die Sprechmuschel.
„Sie wissen, wer ich bin. Ich bin Ihr Stellvertreter. Das heißt, ich war es. Ihre Instrumententasche habe ich in eine Mülltonne geworfen, zusammen mit dem Kittel. Sie werden den Verlust dieser Dinge verschmerzen können, aber nicht den Ihrer Praxis. Ihre Versicherung mag für Einbruchsschäden geradestehen, aber sehen Sie mal nach, was in dem Kleingedruckten der Police über Terror und Bombenanschläge steht. Das ist für die höhere Gewalt, dafür würden Sie keinen müden Dollar kriegen. Also seien Sie klug und erstatten Sie keine Anzeige. Falls die Polizei eine Beschreibung meines Freundes haben möchte, werfen Sie am besten das Handtuch. Das Gleiche gilt für eventuelle Gegenüberstellungen. Um Reiniger kümmern wir uns schon. Das wär's fürs erste. Seien Sie clever, Doktor. Alles andere wäre beruflicher Selbstmord, und an dem kann Ihnen unmöglich gelegen sein.“
Es klickte in der Leitung, der Teilnehmer hatte aufgelegt. „Dieses Dreckstück“, zerquetschte Dr. Stiller zwischen seinen Zähnen. Er berichtete, was der Gangster gesagt hatte. Bount nickte. „Wir haben uns erlaubt, einen Mitschnitt zu machen.“
„Was soll ich jetzt tun?“
„Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“ Dr. Stiller schob die Unterlippe nach vorn, er sah bekümmert aus. „Wären Sie mir böse, wenn ich kniffe?“, fragte er.
„Keine Spur, Doktor“, sagte Bount. „Leider ist nicht auszuschließen, dass der Anrufer es verdammt ernst meinte. Weder die Polizei noch ich können garantieren, dass Ihre Praxis nach einer Aussage heil bleibt. Verzichten Sie also meinetwegen auf Anzeige und Beschreibung, es genügt ja, dass ich den Burschen kenne.“
„Der Anrufer drohte, dass man sich um Sie kümmern würde ...
„Das kenne ich“, winkte Bount gelassen ab. „Mit solchen Mätzchen lebe ich.“
Im Vorzimmer wurde ein Geräusch laut. June eilte davon. Sie kehrte sofort zurück. „Captain Rogers mit seinen Leuten“, meldete sie.
Bount legte die Beine hoch und hielt die Augen halbgeschlossen. Das leise, monotone Summen der Klimaanlage war von einschläfernder Wirkung, aber Bount war weit davon entfernt, dieser Versuchung zu erliegen.
Toby war mit seinen Leuten vor einer halben Stunde abgezogen, die Tote befand sich längst im Leichenschauhaus, und irgendwann im Laufe des Tages würde die Polizei vermutlich herausgefunden haben, wer sich hinter dem mutmaßlichen Decknamen Mary Miller verbarg.
Eine schöne junge Frau war hergekommen, weil sie keine Lust verspürt hatte, eines gewaltsamen Todes zu