den Sattel schwang.
„Du brauchst mir gar nicht zu danken“, erwiderte Jarmila. „Ich habe das alles nämlich nicht für dich getan – sondern um meinetwillen.“
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Ragnars Männer warteten, wie Jarmila es gesagt hatte, an den Mauern des Davidsturms. Offenbar hatte Jarmila verhindern wollen, dass irgendjemand sah, wie sie zusammen mit den Normannen die Stadt verließ.
Bruder Anastasius hatte sich bei der Gruppe eingefunden. Allerdings ritt er auf einem Esel. „Gerade so, wie es sich für jemanden geziemt, der es dem Beispiel unseres Herrn gleichtun will“, sagte er dazu.
„Ich möchte keine Zeit mehr verlieren“, erklärte Ragnar der Weitgereiste. „Der üble Atem der Pestilenz scheint hier aus allen Erdspalten hervorzuquellen, sodass man sich auf Dauer wohl nicht davor schützen kann!“
Einmal noch, als sie bereits die Stadttore ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatten, zügelte Li ihr Pferd und drehte sich um. Sie sah zur Kuppel des Felsendoms und hörte den Muezzin die Gläubigen zum Gebet rufen.
Sie dachte an ihren Vater, an Gao, an ihr vergangenes Leben, an Samarkand und an die Steppen von Xi Xia. Sie dachte auch an einen Ritter aus einem Land, in dem es Menschen mit grünen Augen gab. All diese Erinnerungen mischten sich und erschienen ihr auf seltsame Weise unwirtlich und fern. Sie hielt die Tränen zurück. Nein, jetzt war keine Zeit dazu sich oder das Schicksal zu bedauern oder einen Gott dafür zu verfluchen, dass er ihr nicht geholfen hatte.
Bruder Anastasius lenkte seinen Esel neben ihr Pferd.
Er deutete zu einer Gruppe von Menschen, die sich auf die Stadt zu bewegten. Schon an den grauen Bußgewändern und den blauen Gürteln war zu erkennen, dass es sich wohl um christliche Pilger handeln musste. Der Wind trug ihre Gesänge an Lis Ohr.
„Präge dir gut ein, was du jetzt siehst!“, sagte Bruder Anastasius. „Es gibt Menschen, die bereit sind, tausende von Meilen zurückzulegen, nur um einmal jener Stadt ansichtig zu werden, in der du gelebt hast!“
„Ich habe dort alles verloren, was mir etwas bedeutete“, sagte Li. Aber sie war in Gedanken gewesen und hatte deswegen die Sprache des Han-Volkes benutzt, sodass der Mönch sie nicht verstehen konnte.
Fünfzehntes Kapitel: Konstantinopel
Arnulf von Ellingen stand an der Kaimauer im Hafen von Chrysopolis und blickte über die Meerenge nach Konstantinopel. Die Kuppel der Hagia Sophia war das unumstößliche Beweis dafür, dass er es wirklich geschafft hatte! Er atmete tief durch. Fast ein ganzes Jahr hatte er gebraucht, um sich aus den Bergen von Tukharistan aus bis hier her durchzuschlagen. Ein Krieg zwischen unterschiedlichen muslimischen Fürstenfamilien, die nominell zwar alle dem Kalifen in Bagdad unterstellt waren, aber in Wahrheit längst ihre eigenen Reiche regierten und um die Vorherrschaft kämpften, war mit dafür verantwortlich, das seine Reise so lange gedauert hatte.
Abgerissen wie ein Bettler stand er jetzt da. Seine Kleidung starrte vor Dreck, der Umhang hatte Löcher und der einzig wirklich wertvolle Besitz, über den er im Moment verfügte, war das Schwert aus unzerbrechlichem Stahl, das er bei seiner Flucht aus Thorkilds Lager erbeutet hatte. Und auf dem langen Irrweg durch die Kysylkum und die Länder am kaspischen Meer bis zum Norden des Zweistromlandes und den kleinasiatischen Bergen, hatte diese Klinge ihm mehr als einmal gute Dienste erwiesen und ihm Freiheit und Leben erhalten.
Wie oft hatte er sich vorgestellt, endlich wieder die bekannten Gebäude dieser größten Stadt der Christenheit vor sich zu sehen. Das Hippodrom erhob sich ebenso über das Häusermeer wie der kaiserliche Palast und die alte Akropolis, wo sich der innerste Kern der Stadt befand, an dem einst die Griechen den Keim dieses Imperiums gelegt hatten.
„Wie willst du die Überfahrt bezahlen, Fremder?“, fragte der Kapitän des kleine Fährschiffs, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Reisende über die Meerengen von Bosporus, Marmara-Meer und Goldenem Horn zu bringen. Der Kapitän war ein Grieche, aber sprach Arnulf auf Latein an, nachdem er gemerkt hatte, dass sein Gegenüber kein Griechisch verstand. Auch wenn das Griechisch in den Straßen zweifellos vorherrschte, so konnten doch sehr viele Bewohner auch Latein, das immer noch eine offizielle Amtssprache im Reich war. Die Bewohner des Imperiums nannten sich schließlich selbst Rhomäer – Römer. Das erste Rom, die Stadt des Papstes, hatte allerdings kaum einer der Rhomäer je gesehen.
Wie aus weiter Ferne hörte er die Worte des Kapitäns, der Gorgios hieß und von dem man Arnulf gesagt hatte, er sei der Preiswerteste unter den Schiffern von Chrysopolis.
Gut achthundert Schritt trennten ihn jetzt noch von dem Boden der Stadt, die man nicht umsonst die Große nannte. Aber wenn er hier in Chrysopolis kein Schiff fand, dass ihn übersetzen ließ, dann musste er eben die drei oder vier Meilen nach Süden nach Chalcedon wandern, von wo ebenfalls tagtäglich Dutzende von mehr oder minder großen Barkassen das Marmara-Meer befuhren.
„Na, was ist?“, fragte Gorgios.
„Ich kann dir meine Sporen geben“, sagte Arnulf. Ein Pferd besaß er im Moment ohnehin nicht. Also war das kein besonderer Verlust. Und seinen sächsischen Ritterhelm hatte er bereits bei anderer Gelegenheit in ein paar Münzen getauscht.
„Ich würde lieber dein Schwert nehmen“, meinte er.
„Die Sporen sind schon viel mehr wert, als du normalerweise für eine Überfahrt verlangen könntest“, erwiderte Arnulf. „Alles andere wäre unchristlicher Wucher!“
Gorgios lachte. „Einen Versuch war es jedenfalls wert. Lass mal deine Sporen sehen!“
Arnulf schnallte den rechten Sporen ab und gab ihn Gorgios. Der Grieche sah ihn sich von allen Seiten an und kratzte sich dann an seinem leicht gelockten Haupthaar. „Die haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Aber ich will mal nicht so sein!“
„Du weißt genau, dass es nicht dein Schaden ist!“
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Wenig später stand Arnulf an der Reling des schwankenden Fährschiffs. Der Wind blähte die Segel. Vor Chrysopolis ragte der Leanderturm aus dem Wasser, auf dem Nachts ein Leuchtfeuer brannte, um den Schiffen auch bei Dunkelheit Orientierung