schon einmal gesehen“, stellte er fest. „In Samarkand in einer kleinen Werkstatt, in der Menschen aus dem fernen Reich der Mitte arbeiteten...“
„Ich weiß nicht, was das jetzt für eine Rolle spielt, werter Arnulf!“, gab Bruder Markus etwas irritiert zurück. „Was soll ich tun? Man erwartet eine Antwort von mir!“
„Dann schreibt, dass ich zurückgekehrt bin und mich zunächst von den Strapazen der Reise erholen musste. Man möge mir den zu überbringende Brief zukommen lassen und ich werde ihn dem Kaiser des Westens übergeben.“
„Dann werde ich ein Scheiben mit diesem Inhalt aufsetzen.“
„Wisst ihr, wo hier in Konstantinopel solches Papier hergestellt wird? Papier mit einem Zeichen aus Licht?“
„Ich habe davon gehört“, sagte Bruder Markus. „Es soll irgendwo zwischen Konstantin-Forum und und Hippodrom eine Werkstatt geben, die von einer Frau mit geschlitzten Augen geführt wird und in der so etwas gefertigt wird.“
„Li...“, murmelte Arnulf.
„Was habt Ihr gesagt?“
„Nichts...“
Für Bruder Markus schien dieser Name nichts weiter als eine sinnlose Silbe zu sein. Wie viele Frauen mit geschlitzten Augen, die sich auf die Kunst, Papier mit Wasserzeichen herzustellen verstanden, mochte es in der westlichen Hälfte der Welt schon geben? Nein, dachte Arnulf von Ellingen, das konnte kein Zufall sein. Ihm stand das Gesicht der jungen Han-Frau mit ihren feingeschnittenen Antlitz, dem stillen, aber hintergründig wirkenden Lächeln und den langen, dichten blauschwarzen Haaren vor Augen. Aus irgendeinem Grund war ihm das Antlitz dieser Frau seit ihrer Begegnung in Samarkand nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Die Erinnerung an jenen Moment wurde wieder lebendig als sie in der Nacht vor ihm stand und vor Thorkild Eisenbringer zu warnen versuchte. Vielleicht hätte ich diese Warnung ernster nehmen sollen, ging es ihm durch den Kopf. Aber es war müßig, jetzt darüber nachzusinnen.
Die Worte von Bruder Markus hörte er wie aus weiter Ferne.
„Ich war nie ein Freund des Papiers“, sagte er. „Es ist im Allgemeinen wenig haltbar und sieht nicht edel genug aus, um heilige Worte zu tragen und Bücher, die daraus gefertigt werden, gehen auseinander, weil die Fäden das Material durchschneiden...“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es wundert mich nicht, dass es sich bis jetzt als bevorzugtes Schreibmaterial nicht durchsetzen konnte – aber dieses Schriftstück, da habt Ihr recht, ist von einer besonderen Qualität, wie ich zugeben muss!“
„Wisst Ihr irgendetwas Genaueres über die Lage dieser Werkstatt, von der Ihr spracht?“, fragte Arnulf.
„Nein. Aber Bruder Darenius, der unsere Einkäufe auf den Märkten besorgt, wird es genauer wissen!“
––––––––
Arnulf drängte sich durch die engen Straßen zwischen Hippodrom und Konstantin-Forum, dessen Säule zu Ehren jenes römischen Kaisers, der der Stadt ihren Namen gegeben und als erster christlicher Kaiser angesehen wurde, zu den unübersehbaren Wahrzeichen des neuen Roms gehörten.
Den Weg zu jener Papiermacherwerkstatt, die die Blätter mit den Wasserzeichen herstellte, hatte sich Arnulf sehr genau beschreiben lassen. Er drängelte sich zwischen den fliegenden Händlern und Bettlern hindurch und erreichte schließlich ein zweistöckiges Haus.
Arnulf klopfte an die Tür.
Eine weibliche Stimme antwortete auf Griechisch.
Wenige Augenblicke später wurde geöffnet. Arnulf blickte in ein Paar mandelförmiger dunkler Augen. Das schwarze, glatte Haar war in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst. Sie trug ein Kleid aus einem samtenen, dunkelblauen Stoff, der am Kragen mit goldfarbenen Stickereien besetzt war. In ihrer Kleidung unterschied sie sich in keiner Weise von den Frauen vieler Kaufleute und Handwerker, denen man einen gewissen Wohlstand durchaus ansehen konnte.
Um den Hals trug sie eine Silberkette mit einem Kreuz.
Arnulf sah sie einen Augenblick lang nur an und sie erwiderte diesen Blick mit der gleichen freudigen Verwunderung.
„Arnulf!“, stieß sie hervor – und der Ritter stellte dabei fest, dass sich an ihrer ganz eigentümlichen Art und Weise, seinen Namen auszusprechen, seit ihrer Begegnung in Samarkand nichts geändert hatte.
„Seid gegrüßt – Li!“, erwiderte Arnulf freundlich.
„Es freut mich, dass Euch offenbar nichts geschehen ist“, sagte sie. „Es muss Schicksal sein, dass unsere Wege sich wieder kreuzen, wo doch eigentlich nichts dafür sprach, dass wir uns je wieder begegnen würden. Aber tretet ein und sagt mir, was Euch zu mir führt.“
„Die Kunst Eures Handwerks“, sagte Arnulf. „Was habt Ihr denn gedacht? Eine Nachricht des kaiserlichen Logotheten erreichte die Gesandtschaft meines eigenen Kaisers, der im Regnum Teutonicorum regiert...“
„Saxland“, sagte Li. „So nennen es die Nordmänner. Ihr redet mit mir wie mit einer Dame. Daran muss ich mich erst gewöhnen...“
„Und Ihr scheint Euer Latein so perfektioniert zu haben, dass ich mir schon beinahe wie ein Barbar vorkomme.“
Ein verhaltenes Lächeln erschien in Lis Zügen. „Tretet ein“, sagte sie. „Und schließt die Tür hinter Euch, damit die Zugluft mir nicht die fertigen Blätter durcheinanderwirbelt! Ich muss fast alle Arbeiten allein machen, weil die örtlichen Gilden es mir nicht erlauben, Lehrlinge und Gesellen zu beschäftigen. So bin ich darauf angewiesen, mir hin und wieder von ein paar Tagelöhnern helfen zu lassen, was aber möglichst niemand merken sollte...“
Arnulf sah sich um. Am Fenster stand ein Tisch. Darauf waren Drahtstücke zu sehen, die auf eigenartig erscheinender Weise gebogen worden waren. Außerdem lag da ein Stapel mit frischen Blättern. Die eigentliche Werkstatt bestand aus einem einzigen Raum. Eine Drehpresse stand darin. Arnulf hatte ähnliche Mechanismen schon gesehen, die dem Auspressen von Früchten dienten. Aber diese Presse war so umgebaut worden, dass mit ihrer Hilfe das Wasser aus dem gerade geschöpfte Papier entfernt und in Lagen aus saugfähigem Filz gesogen wurde. Gerade fertig gewordene Blätter hingen wie Kleidungsstücke von einer Wäscheleine herab und es gab einen Bottich, der offenbar als Schöpfbecken diente. Auf einer Ablage befanden sich verschiedene Arten von Sieben, die von ihrer Größe und Beschaffenheit her sehr unterschiedlich waren. Aus einem Nachbarraum waren stampfende Geräusche und hin und wieder ein paar Worte auf Griechisch zu hören.
Arnulf warf einen Blick durch die Tür und sah mehrere Männer mit hölzernen Stampfern Lumpen zu Brei zu zerstampfen. Ein weiterer Mann schüttete Wasser aus einem Holzeimer hinzu. Einer der Männer rief etwas auf Griechisch und Li antwortete ihm. Arnulf verstand nicht, was gesagt wurde. Er begriff nur, dass es sich um irgendeine Anweisung handeln musste. Sie ging kurz in den zweiten Raum und sah, was die Tagelöhner bisher geschafft hatten.
Wie sehr hat sie sich verändert!, dachte Arnulf. Eine verschüchterte Gefangene, die gezwungen dazu war, für ihre Herren zu arbeiten, hatte sich – offenbar Dank ihres Talents – selbst in kleinem Rahmen zu einer Herrin gewandelt, die darauf achtete, dass Anweisungen exakt so ausgeführt wurden, wie sie es für nötig hielt. Der Klang ihrer Stimme war dabei trotzdem stets freundlich und weich – aber gleichzeitig sprach sie auch mit großer Bestimmtheit und Klarheit. Da er ihre Worte nicht verstand, wirkte für ihn dies jetzt besonders auffällig.
„Habt Ihr das Land der Eisenberge gefunden?“, fragte Li dann an Arnulf gewandt.
„Ja, das habe ich – und wir wurden von Thorkild Eisenbringer überfallen, wobei mein Knappe starb.“
„Das tut mir Leid.“
„Eure Warnung hätte ich mir mehr zu Herzen nehmen sollen.