saß hinter einem reich verzierten Tisch und unterzeichnete gerade ein Dokument. Dann steckte er den Federkiel in den goldenen Halter und ließ Li zunächst einige Augenblicke warten, bis er sich insgesamt drei Dokumente, die er wohl soeben nacheinander signiert hatte, noch einmal durchgelesen hatte.
Li wartete geduldig. Ihr war klar, dass sie hier, in diesen Mauern, nur eine unbedeutende Rolle spielte. Sie war eine Handwerkerin mit einem Talent, das in diesem Teil der Welt selten bis unbekannt war – und sie besaß in Ragnar dem Weitgereisten einen Förderer, der die schweren Türen dieses Palastes zu öffnen gewusst hatte. Achte den Diener, der sich unentbehrlich zu machen vermag – denn man wird ihn bald den Herrn nennen, so hatte Li eine der Weisheiten in Erinnerung, die ihr Vater bei irgendeiner Gelegenheit einmal zitiert hatte, wobei ihr entfallen war, von welchem der ehrenwerten Weisheitslehrer sie nun stammte. Aber ihr vergessen war wohl der Tatsache geschuldet, dass ihr dieser Satz damals, als sie noch in Xi Xia gelebt hatten, über die Maßen absurd vorgekommen war.
Doch inzwischen hatte sie die tiefe Wahrheit, die in ihm lag, längst erfasst. Ragnar der Weitgereiste war ein Beispiel für seine Richtigkeit. Als ein einfacher Wächter und Gardekrieger hatte er durch seinen Dienst bis heute einen vergleichsweise leichten Zugang zu höchsten Stellen des Palastes erhalten, wie ihn sich viele von Geburt an höher Gestellte sicherlich auch gewünscht hätten. Li hatte sich vorgenommen, zumindest in dieser Hinsicht von der Klugheit des Normannen nicht nur zu profitieren, sondern auch zu lernen.
Endlich blickte Petros Makarios auf.
„Seid gegrüßt, erhabener Herr“, sagte Li und hielt den Kopf gesenkt. Petros Makarios blickte kurz zu Christos hinüber. Dass Li bei solchen Gelegenheiten von einem Blinden begleitet wurde, daran hatte er sich gewöhnt.
Er machte ihr ein Zeichen, womit er ihr bedeutete, näherzutreten. Christos folgte ihr. Es war erstaunlich, wie gut sich der Blinde trotz der Tatsache, dass er wirklich gar nichts zu sehen vermochte, die Orientierung behielt. Niemand, der in seine Augen sah, konnte daran zweifeln, wirklich einen Blinden vor sich zu haben. Aber wenn man beobachtete, wie er neben Li herlief und sich anscheinend nur am Klang ihrer Schritte orientierte, dann konnte man durchaus auch auf andere Gedanken kommen.
Mit einer erstaunlichen Sicherheit vermochte er auch Entfernungen abzuschätzen. Li hatte es nie erlebt, dass der Blinde einmal irgendwo ungeschickt angestoßen wäre, weil er sich verschätzt hatte.
Sie traten beide vor. Christos stellte seine Bündel auf den großen Tisch, an dem der Logothet saß, dessen genaue Lage er exakt abgeschätzt zu haben schien.
„Ich hoffe, dass die Qualität der Bögen seine kaiserliche Majestät zufriedenstellt“, sagte Li.
„Davon gehe ich aus“, erwiderte Petros Makarios.
Li legte nun auch das Bündel mit der Wasserzeichen-Form auf den Tisch.
„Und dies zur sicheren Verwahrung...“
Petros Makarios nahm das Bündel und sah sich an, was es enthielt. Dann rief er zwei Diener herbei, die sowohl die Bündel mit den Papierbögen, als auch die Wasserzeichen-Form forttrugen. Sie verschwanden beide durch eine Tür, die wohl zu einem Nebenraum führte.
Li hatte keine Ahnung, wo die Form aufbewahrt wurde. Auch wenn sie es war, die sie geschaffen hatte, so bekam sie dieses kunstvoll verbogene Stück Metall immer nur dann ausgehändigt, wenn neue Blätter geliefert werden sollten, in die das erhabene Zeichen des göttlichen Kaisers eingearbeitet werden sollten.
Aber die Abstände, in denen das geschah, waren in letzter Zeit immer kürzer geworden. Offenbar hatte man sich bei Hof an die Qualität gewöhnt, in der Li ihre Papierbögen lieferte.
Der Logothet holte aus einem Fach, das in den Tisch eingelassen war, einen Leinenbeutel voller Münzen hervor, den er Li hinüberschob. „Deine Arbeit ist gut und es gibt bereits Stimmen, die sich wünschen, dass du noch mehr liefern könntest.“
„Herr, ich arbeite schon bis zum Rand der Erschöpfung. Um mehr liefern zu können, müsste ich Lehrlinge ausbilden und sie zu ebensolchen Meistern meines Handwerks machen, wie ich es selber bin.“
„Wer hindert dich?“
„Das Gildengericht.“
„Warum hast du keine höheren Instanzen angerufen? Unsere Stadt ist in der ganzen Welt berühmt für sein ausgefeiltes Recht, das auf dem großartigen Codex Justinianus gründet und jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen soll, sodass es Gott ein Wohlgefallen ist.“
„Man sagte mir, dass ein solches Ansinnen bis jetzt keine großen Erfolgsaussichten habe.“
„Wer hat dir dies gesagt?“
„Ragnar der Weitgereiste, der am Hof wohlbekannt für seine Verdienste ist, seit er dem Kaiser persönlich das Leben rettete.“
Ein kaltes Lächeln spielte um den dünnlippigen Mund des Logotheten. „Ja, ja, davon spricht er viel. Und andere, die dabei waren und diese Ereignisse in sehr verschiedener Weise schildern, ebenfalls... Wie auch immer, ich werde mich deiner Sache annehmen und sehen, ob und was für dich tun kann, Evangelia.“
„Ich danke Euch, Herr.“
Dass er sie mit ihrem Namen angesprochen hatte, konnte Li durchaus als Auszeichnung ansehen – und das war ihr auch durchaus bewusst. Offenbar hatte sich Ragnars Überlegung als zutreffend erwiesen. Der Zeitpunkt war gekommen, dass zumindest von einigen am Hof die Herstellung von Papier als unverzichtbar angesehen wurde. Gut so, dachte Li. Dann konnte der Tag ja wohl nicht mehr weit sein, da ihr auch in dieser Sache endlich Gerechtigkeit widerfahren würde und sie über das engstirnige Gildengericht triumphieren konnte.
„Du kannst jetzt gehen“, sagte Petros Makarios, ohne Li noch einmal anzusehen. „Ich werde dich durch einen Boten wissen lassen, wann wir deine Dienste wieder brauchen.“
„Sehr wohl, Herr.“
Die Wächter, die Li und Christos zuvor hereingeführt hatten, begleiteten sie nun auch wieder hinaus. Wie bedauerlich, dass du all dies nicht mehr miterleben kannst, Vater!, dachte sie, während sie mit Christos an der Seite und flankiert von den Wächtern auf einem anderen Weg aus dem Palast hinausgeführt wurde, als sie ihn betreten hatte. Oder kannst du all das vielleicht doch aus dem Reich der Toten heraus sehen?, fragte sie sie sich. Dass ich Papier für das Wohl eines Kaisers schöpfe?
Alles schien sich zurzeit in eine Richtung zu entwickeln, die ihr gefiel. Sie konnte durch das Talent, das ihr gegeben war, ihr Auskommen finden und war dabei freier als sie es je zuvor in ihrem Leben gewesen war. Allerdings blieb es ihr immer Anlass zu höchster Wachsamkeit, was ihrem Vater einst in Bian, der glorreichen Hauptstadt des Himmelssohnes widerfahren war. Das Glück, das auf dem Wohlwollen mächtiger Männer ruhte, konnte sich im Handumdrehen in sein Gegenteil verkehren, wenn der Stern dieser Männer plötzlich fiel. Doch an diese Möglichkeit mochte Li im Augenblick lieber nicht denken.
Eher dachte sie daran, dass es in ihrem Leben trotz der überaus glücklichen Wendung, die ihr Schicksal genommen hatte, seit sie den Boden des Neuen Romas betreten hatte, ihr Glück noch einen entscheidenden Mangel hatte. Einen Mangel, dessen sie sich aufs Neue und stärker als je zuvor bewusst geworden war, als Arnulf von Ellingen plötzlich vor der Tür ihrer Werkstatt gestanden hatte.
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Als sie den Palast verlassen hatten, gingen sie durch die erleuchteten Hauptstraßen am Hippodrom vorbei. Der gewaltige langgezogene Bau wirkte wie eine kleine Stadt für sich. In den Gängen unter den Rundbögen an seiner Peripherie waren tagsüber fliegende Händler zu finden. Jetzt verkrochen sich dort die Bettler und bereiteten sich ein Nachtlager. Eigentlich war das verboten. Aber all diese dunklen Ecken hätte selbst eine doppelt so starke Waräger-Garde nicht so genau bewachen können.
„Ich