Alfred Bekker

Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021


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      „Sie werden nicht unsicher.“

      „Bedenkt, dass wir belagert werden!“

      Ragnar lachte schallend. „Die Stadt ist völlig unabhängig und wird ohnehin zum größten Teil von der See her versorgt. Und abgesehen davon haben diese bulgarischen Barbaren nur einen günstigen Zeitpunkt gewählt, um mal wieder aus ihren Bergen hevorzukommen, solange sich ein Großteil der kaiserlichen Truppen im Osten befindet. Sobald diese Kräfte hier her verlegt worden sind, wird man die Angreifer wieder in die Berge jagen und dann werden die Bulgaren Hinterhalte legen...“ Ragnar schüttelte den Kopf. „Es ist immer dasselbe und wenn du mich fragst, dann hätte der Kaiser dem Bulgarenreich in seiner Nachbarschaft schon längst ein Ende machen sollen!“

      „Ich verstehe nichts von diesen Dingen“, sagte Li. „Ich habe nur erfahren, dass jeder Krieg viel Unglück über die einfachen Menschen bringt.“

      „Manchmal muss man aber auch einen Krieg führen, um dieses Unglück zu verhindern“, fand Ragnar. „Ich habe früher in der Garde gegen die Bulgaren gekämpft und weiß, wie hinterhältig sie sind... Das ist ihre Taktik. Sie versuchen die Verteidiger der Stadt herauszulocken und machen sie dann nieder. Aber eine wirkliche Gefahr sind sie nur, wenn Verräter ihnen die Tore öffnen sollten, solange die Truppen aus dem Osten noch nicht zurück sind.“

      Ragnar sah Li auf eine Weise an, die ihr unangenehm war. Als Christos den Raum betrat, schickte Ragnar ihn mit ein paar barschen Worten hinaus und schloss die Tür.

      „Was erlaubt Ihr Euch?“, fragte Li.

      „Was erlaubst du dir?“, fragte Ragnar.

      „Wovon sprecht Ihr?“

      „Tut nicht so, als würdest du das nicht wissen. Konstantinopel mag die größte Stadt der Welt sein – aber manchmal ist sie so klein wie ein Dorf! Wie kannst du glauben, dass man es nicht bemerken würde, dass du mit einem Ritter des Sachsenkaisers durch die Straßen läufst!“

      „Was?“

      „Er heißt glaube ich Arnulf von Ellingen. Jedenfalls sagte mir das jemand am Hof.“

      Li schluckte und auf ihrer ansonsten stets glatten Stirn erschien jetzt oberhalb der Nasenwurzel eine Zornesfalte. „Es ist nichts Anstößiges daran“, erklärte sie.

      „Li...“

      „Für Euch heiße ich nicht mehr so!“, wies Li ihn zurecht. „Für Euch bin ich Evangelia!“

      „Du fertigst Papier mit dem Zeichen des Kaisers. Das ist eine Vertrauensstellung. Und es könnte sein, dass man bei Hof zu der Ansicht kommt, dass jemand wie du keine allzu enge Verbindung zu jemandem wie diesem Arnulf von Ellingen haben sollte.“ Ragnar zuckte mit den Schultern. „Du wirst sicher klug genug sein, unseren Erfolg nicht aufs Spiel zu setzen.“

      Li schlug das Herz bis zum Hals. Ragnar wollte sich schon zum gehen wenden. Aber so einfach wollte sie ihn nicht gehen lassen, nachdem er sie auf diese Weise abgekanzelt hatte. So dankbar sie ihm auch für die Hilfe war, die er ihr beim Aufbau ihrer Werkstatt gegeben hatte – das gab ihm noch lange nicht das Recht, auf diese Weise über sie zu verfügen und sie zurechtzuweisen. Die Zeiten, da sie unfrei war, gehörten der Vergangenheit an. „Wartet!“, sagte sie mit einer großen Klarheit und inneren Kraft. „Ich werde die Rücksicht, die Ihr von mir erwartet, nicht geben können. Wenn irgendein untergeordneter Logothet am Hof dann der Meinung ist, dass das Schreibmaterial des Hofes besser von anderswo bezogen werden soll, so kann ich es nicht ändern, wenn es ich es auch noch so sehr bedauern würde!“

      Ragnar drehte sich noch einmal um. „Dass muss ja ein wirklich beeindruckender Kerl sein, wenn dir dafür alles andere gleichgültig ist“, stellte er fest, bevor er ging.

      ––––––––

      Beinahe jeden Tag hatten Li und Arnulf sich gesehen und sie hatte jeden einzelnen Moment genossen. Er hörte ihr sogar zu, wenn sie von dem Leben berichtete, das sie in Xi Xia im Haus ihres Vaters geführt hatte – ein Leben, das Arnulf gewiss sehr fremdartig erscheinen musste, da schon ihr selbst so manches davon richtig unwirklich vorkam, wenn sie heute daran dachte. Es war einfach so vieles seitdem geschehen.

      Die Tatsache, dass die Stadt belagert wurde, änderte nichts an der Durchführung der Wagenrennen im Hippodrom. Ja, es schien sogar so, als wollte der Kaiser damit ganz bewusst demonstrieren, wie wenig die Stadt in Wahrheit in Gefahr war. Wenn erst einmal die Truppen aus dem Osten zurückgekehrt waren, dann würden die Bulgaren das Gebiet, das sie zum wiederholten Mal so leicht an sich gerissen hatten, nicht halten können.

      Li und Arnulf konnten den Lärm des Publikums aus dem Hippodrom immer wieder aufbranden hören, während sie durch die vergleichsweise leeren Straßen zwischen dem Konstantin-Forum und dem Hippodrom gingen und schließlich die Werkstatt erreichten.

      Arnulf hatte ihr geholfen, ein Lumpenbündel zu tragen, das sie auf dem Forum Tauri erworben hatte. Der Stoff dieser Lumpen war noch recht gut erhalten und wenig zerschlissen. Deswegen hatte sie sofort zugegriffen.

      Li schloss die Werkstatt auf und sie traten ein.

      „Ist niemand hier?“, wunderte sich Arnulf, denn er hörte aus dem Nachbarraum nicht das vertraute Geräusch der Stampfer.

      „Jeder Bettler geht zu den Spielen im Hippodrom, da konnte ich dies den Tagelöhnern, die für mich arbeiten, nicht verwehren.“

      Arnulf schmunzelte, als er die Lumpen in eine Ecke abstellte und Li die Tür schloss. „Was ist mit Christos?“

      „Auch er sieht sich die Rennen an.“

      „Aber er dürfte wenig davon haben.“

      „Er spürt die Dramatik des Rennens genauso wie jeder andere, nur dass er dabei auf seine Ohren angewiesen ist!“

      Er sah sie an und Li schluckte unwillkürlich. Denn in seinen grünen Augen sah sie dieselbe Sehnsucht, die sie selbst empfand und die sie sich bisher verboten hatte, offen auszudrücken. Sie öffnete die Lippen und wollte etwas sagen, aber so beredt sie inzwischen in mancherlei Sprache auch geworden war, so wenig war sie in diesem Moment doch in der Lage, nur ein einziges Wort herauszubringen.

      Er stand jetzt dicht vor, dichter als es sich in der Öffentlichkeit geziemt hätte und vor allem dicht genug, dass die erregende, sie bis innerste aufwühlende Aura, die ihn umgab, so übermächtig war, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte.

      „Bleibt noch etwas, Arnulf!“, sagte sie schließlich und ihre Hand berührte das Revers seines Lederwamses. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, es klopfte so heftig, dass sie glaubte, es müsste jeden Augenblick zerspringen. Abwarten, beobachten und die Gelegenheiten nutzen, die einem zugespielt wurden – das entsprach eigentlich ihrer Art. Aus den Gegebenheiten das Bestmögliche machen, ohne sich über Umstände zu beklagen, an denen doch nichts zu ändern war, so hatte es sie ihr Vater immer gelehrt und war selbst das vollkommene Vorbild darin gewesen. Aber in diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, anders handeln zu müssen. Denn wenn sie jetzt ihrem Gefühl nicht nachgab und ihr Glück einfach davongleiten ließ, würde sie sich das später nie verzeihen können. Sie dachte an den Moment, als sie Arnulf und seine Begleiter in der Dunkelheit der Gassen von Samarkand hatte entschwinden sehen. Nein!, dachte sie entschieden. So nicht noch einmal! „Ich lese in Euren Augen, dass Ihr mir auf dieselbe Weise zugetan seid wie ich Euch... Ganz egal, was dagegen sprechen mag – es zählt jetzt nicht“, murmelte sie und stellte dabei fest, dass sie den letzten Satz in der Sprache des Han-Volkes gesagt hatte. Aber Arnulf schien sie trotzdem verstanden zu haben.

      Sie spürte seine Hände an ihre Schultern und im nächsten Moment berührten sich ihrer beider Lippen. Zuerst sehr vorsichtig tastend, dann voll aufkeimender Leidenschaft. Sie fühlte, wie seine starken Arme sich um sie schlossen,