Mascha Dabić

Dolmetschen in der Psychotherapie


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von Wiedergutmachung ist nicht möglich. Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die toten Familienangehörigen und Freunde sind unwiederbringlich verloren, die körperlichen Verstümmelung (sic!) und Narben bleiben sichtbar. Das Grauen der Folter wurde ein überdimensionaler Bestandteil der Lebensgeschichte. Ziel der psychologischen und psychotherapeutischen Intervention kann es aber sein, die Zeitdimensionen wieder richtig zu stellen: Die Folter muss nicht mehr jede Nacht in Albträumen und tagsüber in ständig wiederkehrenden Erinnerungen wieder erlebt und erlitten werden. (Preitler 2006: 165)

      Eine Therapie gilt dann als abgeschlossen, wenn es den KlientInnen gelungen ist, verlorene Menschen und Lebensbezüge zu betrauern, neue Beziehungen aufzubauen und Strategien für ein Leben im neuen Land praktisch umzusetzen. Allerdings können Retraumatisierungen immer wieder auftreten, sodass KlientInnen beim Abschied immer das Angebot erhalten, auch später noch Kontakt aufzunehmen, sollte eine Krisenintervention oder eine nochmalige Kurztherapie notwendig sein.

      3.3.2 Dynamiken in den Einrichtungen für Kriegs- und Foltertraumatisierte

      Der Arzt, Psychotherapeut und Mitbegründer und Leiter des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin Christian Pross hat eine umfassende Analyse von Dynamiken und Belastungen, denen MitarbeiterInnen von Einrichtungen für kriegstraumatisierte Menschen ausgesetzt sind, vorgelegt (Pross 2009). Er untersuchte an Hand von Interviews Strukturen, kommunikative Muster, Handlungsabläufe, Lebenszyklen und Phänomene wie Burn-Out und Zerwürfnisse innerhalb des Teams und kam zu der Erkenntnis, dass in Arbeitsstellen, in denen traumatisierte Menschen behandelt werden, häufig destruktive Dynamiken auftreten, wie etwa Konflikte, Ausschließung einzelner MitarbeiterInnen oder Mobbing, hohe Fluktuation usw. Als Ursachen führt Pross unter anderem folgende Faktoren an: hoher Identifikationsdruck im Spannungsfeld der Extreme von Opfer und Täter, Einteilung der Welt in Gut und Böse, Überidentifikation mit den Opfern, Größenfantasien, Grenzüberschreitungen, mangelnde Distanz zu sich selbst, das Unvermögen, das eigene destruktive Handeln zu reflektieren, etc. (2009: 270). Konflikte und Kämpfe in Teams führen in die Reinszenierung des Traumas, und ohne Reflexion und (Selbst-)Korrektur agieren MitarbeiterInnen eigene Verletzungen aus bzw. wiederholen unbewusst die pathologischen Verhaltensmuster ihrer PatientInnen.

      Da der Arbeitsauftrag der DolmetscherInnen in solchen Zentren sehr klar definiert ist, nämlich zu bestimmten, im Voraus ausgemachten Zeiten zu dolmetschen, sind DolmetscherInnen von solchen destruktiven Dynamiken tendenziell weniger betroffen. In der Regel sind DolmetscherInnen nicht angehalten, die Repräsentation der Einrichtung nach außen aktiv mitzugestalten, SponsorInnen zu gewinnen oder die Positionierung der Einrichtung innerhalb des Netzwerks staatlicher und nichtstaatlicher Akteure im Asylbereich zu verhandeln. Die Verantwortung der DolmetscherInnen gegenüber der Einrichtung beschränkt sich in der Regel auf die möglichst korrekt, zuverlässig und kontinuierlich ausgeübte Dolmetschtätigkeit; damit geht ein relativ beschränkter Gestaltungsraum einher, zugleich sind DolmetscherInnen den Konflikten innerhalb des Teams weniger ausgesetzt und müssen nicht inhaltlich Stellung beziehen.

      Dennoch sind manche Aspekte, mit denen Pross sich differenziert auseinandersetzt, für DolmetscherInnen ebenfalls relevant und sollen daher im vorliegenden Kapitel Erwähnung finden.

      3.3.2.1 Vom Idealismus bis zur Erschöpfung

      Pross liefert eine ausführliche Beschreibung von Entstehungs- und Entwicklungsprozessen von Non-Profit-Organisationen und der sich daraus ergebenden Implikationen für die MitarbeiterInnen: Gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen verfolgen in der Regel eine Aufgabe, die meist grenzenlos ist; die Erfüllung der gesteckten Ziele einer NGO würde zugleich die Existenz dieser Organisation obsolet machen (2009: 41ff.).

      Bei der Gründung einer NGO herrschen meist noch direkte, informelle, familienartige Kommunikationsstrukturen, und die Aktivitäten sind von Idealismus, Optimismus und Pioniergeist getragen. Findet im weiteren Verlauf ein Wachstum der Organisation statt, bilden sich zwangsläufig (mehr oder weniger flache) hierarchische Strukturen, Abgrenzung von Kompetenzen und standardisierte Abläufe heraus, was der strategischen Planung und der Effizienz zuträglich ist, jedoch auf Kosten der anfänglichen idealistischen Stimmung gehen kann. Außerdem kann es zu einer Schieflage zwischen bezahlten und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen kommen. Dazu kommt, dass die Bezahlung im NGO-Sektor verglichen mit anderen beruflichen Feldern ohnehin schlecht ist, was dazu führen kann, dass die schlecht bezahlten und die gar nicht bezahlten MitarbeiterInnen gewissermaßen um die „Opferrolle (…) konkurrieren“ (2009: 44). Wenn es zu Spannungen im Team kommt, kann die anfängliche Aufbruchstimmung rasch einer Ernüchterung weichen, was zu Erschöpfungssymptomen bei den MitarbeiterInnen führen kann, sowie zu einer hohen Fluktuation und Spaltungen.

      Schließlich können bei den MitarbeiterInnen u.a. folgende Stress- und Überlastungssymptome auftreten: Überarbeitung und Workaholismus, da das Schützen der eigenen Ressourcen und Grenzen angesichts des Elends der Flüchtlinge als „Verrat“ erlebt wird; Erschöpfung und Unlust, daraus folgende familiäre Spannungen und Trennungen; Depressionen und körperliche Erkrankungen (psychosomatische Krankheiten und Infekte aufgrund verminderter Abwehrkräfte); Alpträume; Sucht (Nikotin, Kaffee und Alkohol, sowie Essstörungen); Schlafstörungen; Gereiztheit. Gerade aus Sicht der DolmetscherInnen verdient ein weiteres Symptom besondere Beachtung, nämlich die Erschütterung des Weltbilds durch die Zeugenschaft, also durch das Anhören der Erzählungen der KlientInnen, deren Menschenrechte verletzt wurden: Das Gefühl von Sicherheit, der Glaube an das Gute im Menschen, das Grundvertrauen in die Menschheit kann nachhaltig gestört werden; eine weitere Enttäuschung kann mit der Erkenntnis einhergehen, dass die NGOs trotz ihrer hehren Ziele nicht vor Grabenkämpfen und Konflikten gefeit sind (2009: 125ff.).

      3.3.2.2 Ressourcen der MitarbeiterInnen

      Um die traumatischen Inhalte, die in der Arbeit zur Sprache kommen, zu bewältigen, greifen MitarbeiterInnen von einschlägigen Einrichtungen zu unterschiedlichen Methoden, besser gesagt, sie entwickeln unterschiedliche Strategien, um Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu bekommen (Pross 2009: 136ff.). Es handelt sich dabei unter anderem um folgende:

       Familie, Kinder, näheres Umfeld: Diese Ressource wurde von den Befragten am häufigsten genannt.1

       Realistische Ziele: Es ist nicht hilfreich, mit der eigenen Arbeit allzu hohe und hehre Ziele zu verknüpfen, wie etwa „die Folter aus der Welt zu schaffen“.

       Dokumentieren, Forschen, Publizieren, Lehren: Das Reflektieren des eigenen Tuns verschafft Abstand zur Arbeit und hilft, sich von der Materie zu distanzieren.2 Die heilsame Kraft der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Gegenstand wurde bereits im Zusammenhang mit Freuds Ausführungen thematisiert (s. 2.6.1).

       Ausgleich durch kulturelle Aktivitäten, wie Literatur, Kunst, Musik, Tanzen, Theater etc.

       Austausch unter Kollegen: Diesbezüglich besteht bei DolmetscherInnen noch Aufholbedarf gegenüber den PsychotherapeutInnen, die bereits in ihrer Ausbildung und auch später in der Praxis ausreichend Gelegenheit bekommen, sich mit KollegInnen laufend über ihre Gefühle und Gedanken auszutauschen.

       Politisches Engagement und Öffentlichkeitsarbeit, um das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden.

       Humor: Witze (sogar auch zynische Bemerkungen3) im Team können ein Ventil für die MitarbeiterInnen darstellen und die Atmosphäre im Arbeitsalltag maßgeblich positiv beeinflussen.

       Sport, Natur: als Ausgleich

       Auszeiten, Sabbatjahr, Ausstieg

       Sinngebung, tradierte Lebensweisheiten: Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und durch die eigene Arbeit einen Beitrag zu leisten, kann dabei helfen, trotz aller Schwierigkeiten mehr Befriedigung aus der Arbeit zu beziehen.

      3.3.2.3 Narzissmus als Antrieb?

      Bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen bewegt man sich „auf einem Minenfeld mit den Abgründen menschlichen Seins“ (Pross 2009: 23). Was treibt Menschen dazu, in solchen Arbeitsfeldern