Mascha Dabić

Dolmetschen in der Psychotherapie


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, so ist Trauma keineswegs ein neumodisches Phänomen, sondern reicht in die Antike zurück (Smolenski 2006: 7f.).

      Smolenski bietet einen Überblick über die historische Entwicklung der Traumatherapie und erwähnt u.a. entsprechende Schilderungen bei Homer über Achilles, die auf eine psychotraumatische Symptomatik hinweisen. Im 20. Jahrhundert waren es insbesondere die beiden Weltkriege, die zu massenhaften Traumatisierungen führten. Nach dem 2. Weltkrieg war das Sprechen über die traumatischen Erlebnisse deutscher Soldaten und der Zivilbevölkerung jedoch zunächst noch tabuisiert, und erst als die zahlreich auftretenden posttraumatische Belastungsstörungen bei Rückkehrern aus dem Vietnam-Krieg auch medial Beachtung fanden, gab es neue Entwicklungsimpulse für die Traumabehandlung. Die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung fand 1980 Eingang in das „Diagnostic and statistical manual of mental disorders“, und 1992 wurde dieses Krankheitsbild in die ICD-10 („International classification of diseases, injuries and causes of death“) der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgenommen (vgl. Smolenski 2006: 15).

      Darin wird Trauma folgendermaßen definiert:

      (…) ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (z. B. Naturkatastrophe oder menschlich verursachtes schweres Unheil – man-made disaster – Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen). (ICD-Code, Stand 25.5.2017)

      Die Rede ist also von einem Ereignis, bei dem die natürlichen Schutzmechanismen versagen, weil es keine Möglichkeit gibt, sich den äußeren (gewaltsamen) Einwirkungen zu entziehen. Der Mensch erlebt Hilflosigkeit und Ohnmacht, mitunter auch Scham, in einem extremen Ausmaß. Wie es in der Definition heißt, würden diese Ereignisse „bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen“, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die KlientInnen nicht im eigentlichen Sinne „krank“ sind, jedenfalls nicht notwendigerweise, sondern von krankmachenden Ereignissen und Erlebnissen so schwer gezeichnet sind, dass die Symptome über das Ereignis hinaus sich immer wieder bemerkbar machen können. Dabei ist von Menschen verursachtes Unheil psychisch schwerer zu bewältigen als Naturkatastrophen, weil sich im ersten Fall stets Fragen von Schuld, Unrecht, Gerechtigkeit oder Rache stellen, ebenso wie die tendenziell mit Selbstvorwürfen behaftete Frage, ob es möglich gewesen wäre, das traumatische Ereignis zu vermeiden (wenn man sich rechtzeitig zur Flucht entschlossen hätte, wenn man dies oder jenes getan oder unterlassen hätte).

      Zobel empfiehlt bei der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung mit einem Zahlenstrahl zu arbeiten, also einer Skala, um das Ausmaß der Belastung besser einschätzen zu können, bzw. die Auswirkungen des Traumas im Hier und Jetzt. Um vage Aussagen zu vermeiden (wie „ein bisschen“, „kaum“ oder „sehr viel“), empfiehlt Zobel, die Frage folgendermaßen zu formulieren: „Wenn Sie heute an dieses Ereignis denken, wie belastend empfinden Sie es auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 0 bedeutet ’keine Belastung, neutral‘ und 10 ‚die für Sie maximal vorstellbare Belastung‘?“ (2006: 33). Zobel betont, dass es aus der Sicht des Psychologen wichtig ist, nicht nur auf den Inhalt des erzählten Ereignisses zu achten, sondern auch darauf, wie erzählt wird: Kann der Patient den Ablauf schildern, ohne dass es zu Affekten kommt? Kann der Patient Anfang, Verlauf und Ende schlüssig berichten? Erscheint das Erlebnis und die Art, wie der Patient es schildert, kongruent? Gibt es Hinweise darauf, dass er Patient aufkommende Emotionen unterdrückt? (2006: 34). Es ist notwendig, dass DolmetscherInnen in der Psychotherapie diesen Anspruch an die Gesprächsqualität nachvollziehen können: Es zählt nicht nur das, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird.

      3.1.1 Trauma oder belastendes Lebensereignis?

      Huber legt Wert auf eine Unterscheidung zwischen einem Trauma und einem belastenden Lebensereignis (2005: 37ff.): Auch wenn innere Konflikte großen Stress bedeuten können, ist ein Trauma davon zu unterscheiden, nämlich dahingehend, dass es sich bei traumatisierenden Erlebnisse um „tatsächliche, extrem stressreiche äußere Ereignisse“ handelt (Huber 2005: 38). Die Überflutung mit „aversiven Reizen“ überfordert sämtliche Bewältigungsmechanismen des Opfers und verändert das Leben für immer. „Von jetzt an wird es nie mehr so sein wie zuvor“ (2005: 41) – diesen Aspekt gilt es zu verstehen, um begreifen zu können, warum die Traumatisierung eine Zäsur im Leben des Opfers (bzw. des Überlebenden) darstellt und warum Traumatherapien oft mehrere Jahre in Anspruch nehmen und weshalb selbst nach Abschluss einer Therapie, die man als „gelungen“ bezeichnen kann, nicht davon auszugehen ist, dass die Wirkkräfte des Traumas für immer gebannt sind.

      Ereignisse, die mit tödlichen Bedrohungen einhergehen, lösen einen von zwei Reflexen aus: fight or flight. Ob Menschen eher mit Fluchtversuchen oder Kampfbereitschaft reagieren, scheint situations- und personenspezifisch ausgeprägt zu sein. Huber äußert die Vermutung, dass Frauen tendenziell eher zur automatischen Fluchtreaktion neigen, während Männer eher auf aggressives Verhalten zurückgreifen (2005: 43).

      Traumatisierend ist ein Ereignis dann, wenn die oben genannten Reaktionsmöglichkeiten Kampf oder Flucht1 nicht mehr gegeben sind und die überwältigende Einwirkung von außen hingenommen werden muss. Die Fachausdrücke dazu lauten freeze und fragment (ebda.): Freeze meint eine Lähmungsreaktion und eine Entfremdung vom Geschehen. Mit Fragment ist gemeint, dass die Erfahrung zersplittert wird und dass es keine zusammenhängende Erinnerung mehr an das äußere Ereignis gibt.

      Ein solches Ereignis bzw. eine länger andauernde traumatisierende Situation oder eine Kette von Ereignissen und Situationen können zur Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen.

      3.2 Posttraumatische Belastungsstörung

      3.2.1 Definition und Symptome

      Für DolmetscherInnen, die mit kriegs- und fluchttraumatisierten1 Menschen arbeiten, ist es von Vorteil, sich zumindest in groben Zügen mit den psychotherapeutischen Konzepten im Hinblick auf die Posttraumatische Belastungsstörung vertraut zu machen, zum einen, um ein umfassenderes Verständnis von der Problematik der KlientInnen zu erlangen, und zum anderen, um die Fragen und Interventionen der PsychotherapeutIn besser nachvollziehen (und also präziser in der anderen Sprache wiedergeben) zu können.

      Auf körperlicher Ebene macht sich eine Posttraumatische Belastungsstörung durch massive Schlafstörungen bemerkbar – daher drehen sich psychotherapeutische Gespräche häufig um dieses Thema, und es wird gemeinsam mit der KlientIn versucht, sämtliche Möglichkeiten auszuloten, die Schlafprobleme in den Griff zu bekommen und auf diese Weise dem Organismus zu der dringend notwendigen Regeneration zu verhelfen. Einige Symptome, die vermutlich auf eine manifeste Depression hindeuten, können für DolmetscherInnen von konkreter Relevanz sein, nämlich dann, wenn die KlientInnen so antriebs- und teilnahmslos sind, dass der depressive Gesamtzustand sich auf ihre Sprechfähigkeit auswirkt: Es kommt vor, dass KlientInnen auf Grund ihrer schlechten psychischen Verfassung sehr leise sprechen und dadurch kaum verständlich sind, wodurch die Gefahr steigt, dass es zu Missverständnissen kommt. In solchen Fällen ist es wichtig, die PsychotherapeutIn auf diese Problematik hinzuweisen, und nicht etwa zu versuchen, auf eigene Faust zu erraten, was gesagt wurde. Eine deutschsprachige PsychotherapeutIn ist möglicherweise nicht in der Lage selbst abzuschätzen, wie stark die Sprechfähigkeit der depressiven KlientIn in Mitleidenschaft gezogen wurde, und ist in diesem Fall auf die Expertise der DolmetscherIn angewiesen. Mehrmaliges Nachfragen mag aus der Sicht der DolmetscherIn unangenehm sein, ist jedoch dem Impuls, den Inhalt auf gut Glück zu erraten und zu ergänzen jedenfalls vorzuziehen.

      Es ist die Aufgabe der PsychotherapeutIn, sich ein möglichst genaues Bild vom psychischen Zustand der KlientIn zu machen. Dazu gehört die oben erwähnte körperliche Ebene (Schlaf, Nahrungsaufnahme, Energiehaushalt, Gesundheitszustand), aber auch die Frage nach der Konzentrationsfähigkeit und dem Umgang mit belastenden Erinnerungen: Können diese kontrolliert werden, oder ist die KlientIn ihren Erinnerungen mitunter hilflos ausgeliefert? Um über alle diese Aspekte so umfassend wie möglich informiert zu sein, muss die PsychotherapeutIn in der Regel viele Fragen