um seine Ankunft zu melden, kam Sophia Christine nicht wie sonst, ihn zu grüßen.
Es war schon Frühling. Grüne Seidenfahnen wehten über Baum und Sträucher. Die Schwalben tanzten in der silberklaren Luft, die Erde strömte erfrischten Atem aus und Herr Anthoine de Charreard vergaß ganz die grünen Loireufer, so stark war das Gefühl: »Hier bist du zu Hause.«
Aber seine Frau kam nicht. Und in den Augen der Dienstleute las er sorgenvolles Teilnehmen.
Da fragte er nicht, er suchte und fand Sophia Christine im Prunkgemach des Hauses. Vor ihr auf dem Tisch standen zwei silberne Becher, lag bescheidener Schmuck und ein paar Gevattergulden. Alles in allem kein Reichtum, ein dürftiges Silberschätzlein, und die Stirne der jungen Frau war sorgenvoll gekraust. Doch brach die helle Freude hervor, als sie den Heimgekehrten erblickte. »Ist meine liebe Hausfrau eine Schatzsucherin geworden?« fragte der Gutsherr heiter, »was soll die Aufhäufung unseres Silberschatzes?«
Es waren keine Kinderaugen mehr, Sorgenaugen waren es, die den Mann anschauten. »Wir müssen das verkaufen,« flüsterte Sophia Christine. Sie legte flink noch einen goldenen Ring dazu, den sie von ihrer Mutter hatte. »Wir reichen nicht mit dem Brotgetreide bis zur Ernte und –« Es war eigentlich viel, was im Hause fehlte. Zu viel für das armselige Schätzlein. Doch diesmal wußte der Herr de Charreard besseren Rat. Er hatte des Herzogs Erlaubnis erhalten, auf das Gut zweihundert Taler aufzunehmen. Freilich das Geld mußte verzinst werden, immerhin, der Rabenvater hatte gesagt, es würde ein gutes Jahr werden, alle Zeichen dafür wären vorhanden. Da kamen die Eheleute wohl aus der Not heraus. Der Geheime Rat Ries hatte versprochen, sich nach einem umzutun, der wohl das Geld geben würde. Er hatte gemeint, der Amtsschosse der Leuchtenburg, die bei dem Städtchen Kahla lag, Herr Heinrich Rudolph, würde es leihen können und es auch gerne tun.
Das war freilich Trost. Und frohgemut packte Frau Sophia Christine ihr Silberschätzlein wieder zusammen, und als ihr Mann wehmütig sagte: »Arme Frau,« da rief sie: »Reich, nenn mich doch reich.«
4. Kapitel.
Es wurde ein rechtes Frühlingsbüblein, das seinen Einzug in einer Mainacht auf Pösen hielt.
»Mein Sohn,« sagte Herr de Charreard stolz. »Ein Charreard!«
»Mein Kind,« sagte die junge Mutter, denn ihr war es gleich, ob Bube oder Mädel da neben ihr lag als schönstes Gottgeschenk.
Drei Tage hatte Sophia Christine eine ungestörte Freude an dem kleinen schreienden, zappelnden Menschenwesen, dann schritt die Sorge in das Haus. Diesmal trug sie die Gestalt eines herzoglichen Reitknechtes und stand in einem feierlichen, äußerst huldvollen Schreiben. Herzog Bernhard meldete sich mit seiner Gemahlin und einigen wenigen Herren und Damen des Hofes zur Taufe auf Pösen an. Seine Gemahlin habe den Wunsch, den »kleinen Franzosen« selbst aus der Taufe zu heben. Sonntag Rogate würden die hochfürstlichen Taufgäste eintreffen. ›Sie verhofften,‹ hieß es in dem Schreiben, ›ihrem Treugeliebten Ehemaligen Hofmeister, dem Herrn Kammerjunker, Herrn Anthoine de Charreard und seiner viellieben Ehefrau Sophia Christine, geborene Riesin, eine sonderliche Freude zu bereiten.‹
Ach du lieber Himmel, fürstliche Taufgäste und alle Vorratskammern leer!
Die zweihundert Taler sollten erst Johanni gezahlt werden. Bis dahin hatten einige Bauern in dem Flecken Magdala sich zur Hergabe von Brotgetreide bereit erklärt. Aber mit Brot allein waren fürstliche Gäste nicht zufrieden.
»Wir fischen,« sagte Herr Anthoine, der bedrückt am Bett seines Weibes saß. »Die Forellen sind jetzt gut. Und schlachten unsere jungen Hühnchen.« Über Sophie Christines blasse Wangen liefen Tränen. Ihre jungen Kückelchen, ihren Stolz, mußte sie hergeben. Oh, welche Hoffnungen hatte die junge Frau an die kleine Schar geknüpft, sie hatte sie schon alle als dicke gewichtige, aufgeplusterte goldgelbe Hennen gesehen, die jeden Tag das Nest voll Eier legten. Gute Hausfreundinnen sollten es werden. Aber Forellen und junge Hühner, Salat aus dem Garten und Brot genügten nicht für einen Taufschmaus, da mußte Kuchen gebacken werden, dazu gehörten Eier, Butter, alles, was so knapp wie nur möglich auf Pösen war.
Woher in aller Welt dies nehmen?
Sophia Christine dachte wieder an den kleinen Schatz und Herr de Charreard dachte auch daran, und er sagte aus seinen sorgenden Gedanken heraus: »Es geht nicht anders.« Er wollte noch etwas von Standespflicht hinzufügen, da tat sich die Tür auf und die ganze weibliche Dienerschaft lugte herein und alle sagten sie wie aus einem Munde: »Itze sind sie da!«
»Wer denn?« Sophie Christine dachte erschrocken, der Herzog Bernhard mitsamt Gemahlin und Hofstaat wäre eingetroffen; der Besuch, ihre leeren Vorratskammern, das noch unverkaufte Silberschätzlein, alles strudelte ihr im Kopf durcheinander und sie sagte hilflos: »Aber sie wollten doch erst am Sonntag Rogate kommen.«
»Nee, so lange warten die niche!« Die alte Röse drängte sich vor, sie sah ordentlich ein bißchen gekränkt drein. »Nee, heute sind's die Buchschen, de Schorbschen kommen erst morgen, es muß alles rechte gehen.«
Und die Bäuerinnen von Bucha, alle, die Kinder hatten oder zu denen einmal ein Kind Mutter gesagt hatte, kamen herein. Voran die alte Rabenmutter, die das größte Mutterleid zu tragen hatte, und jede Bäuerin trug einen weiß verdeckten Henkelkorb. Aus dem einen krähte, aus dem andern gackerte es, denn jede brachte eine Gabe dar. Die alte Rabenmutter sprach den Glückwunsch, sprach ihn in einem singenden leiernden Ton, denn so erheischte es Anstand und Sitte. Und verschnörkelt und feierlich waren Satz und Rede.
Herr Anthoine de Charreard war zuerst in den Hintergrund des Zimmers vor den andrängenden Frauen geflüchtet, doch die alte Röse, die sonst eine demütige Ehrfurcht vor dem schönen feinen Mann bezeigte, gab ihm diesmal einen sanften Rippenstoß. Sie tat es freilich in tiefster Demut, aber das Stößlein sagte dem Herrn doch, daß augenblicklich sein Platz neben dem Bett seiner Frau war, und er merkte, die anderen Frauen waren der gleichen Meinung.
Die Rabenmutter begann ihr Sprüchlein noch einmal vorzutragen. Die Frauen standen alle mit gefalteten Händen und dann beugten sie alle die Knie zur Verneigung vor dem Bett der jungen Frau.
Es war wie im Dornröschenmärlein, in dem die guten Feen alle kommen, nur fehlte hier die böse Fee; es waren lauter gute Wünsche und Gaben, die die Buchschen dem kleinen Anthoine darbrachten. Nahrhafte Gaben. Einen Hahn, zwei Hennen, ein paar junge Küchlein, Eier, Butter, eine Speckseite, es fehlte nicht an Wurst und Käse, auch nicht an einem Säcklein Mehl. Und unter den Frauen war eine, die brachte zwei Eier. Sophia Christine aber wußte, die Frau hatte nur ein Huhn und von den wenigen Eiern, die ihr das schwärzliche Huhn legte, hatte sie die beiden abgespart. Sauber lagen sie in frisches Grün gebettet da, und ein wenig ängstlich sah die Alte auf die liebliche Hausfrau, fand sie die Gabe nicht zu schlecht?
Da tat Sophia Christine etwas, das gegen Sitte und Herkommen verstieß. Sie hielt keine feierliche Danksagung, sie faßte zuerst die Hand der Rabenmutter und dann Hand um Hand, der Alten aber mit den beiden Eiern strich sie noch einmal linde über die welke Hand. Dabei liefen ihr die Tränen über das Gesichtchen, und es war schon gut, daß ihr Anthoine es etwas besser verstand, eine feierliche Dankrede zu halten. Er redete höflich und herzlich zugleich, stand würdevoll und vornehm vor den Frauen. Denen tat es wohl, Händedrücke und Tränen waren gut, die schwungvollen, feierlichen Worte aber gehörten dazu; da Röse wußte, daß ein Würzebier auch dazu gehörte, hatte sie vorgesorgt. So verlief denn der Besuch recht in den vorgeschriebenen Formen und die »Buchschen« verließen zufrieden mit leeren Handkörben das Haus und versicherten, morgen würden die Schorbschen kommen.
Dann wird unsere Speisekammer voll werden, dachte der Hausherr. Ein heimliches Lachen kam ihn an. Er hatte sich noch nie so um eine leere Vorratskammer gesorgt, und als er gefreit hatte, da hatte er gemeint, in ein recht wohlhäbiges Leben hineinzugeraten. Er hatte das auch manchmal gesagt, hatte etwas übermütig der Herzogin Marie gegenüber betont, er wäre des Hoflebens und des Dienstes bei ihr satt und wolle nun ein freies Herrenleben führen.