– Faktoren (vgl. Antonovsky 1996; s. Kap. I.1).
Die Mind-Body-Medizin knüpft an der allgemeinen Idee der Selbstwirksamkeit und ihrer gezielten Förderung (Trainierbarkeit) u.a. im Rahmen einer ressourcenorientierten Integrativen Medizin an (Dobos et al. 2006). Das Individuum und seine individuellen Kompetenzen stehen dabei im Mittelpunkt. Auf der Ebene der Beschreibung ihrer Mechanismen und Wirkfaktoren wird häufig auch von der Auto- oder Selbstregulation bzw. einer „Selbstregulations-Medizin“ gesprochen (Esch 2014). Den konzeptionellen Rahmen bildet der bereits beschriebene dreibeinige Stuhl (s. Abb. 1). Als Mind-Body-medizinische Methoden sind Interventionsstrategien etabliert, die dem sog. „BERN-Prinzip“ folgen – dieses sind Maßnahmen, die entweder auf das Verhalten (B – Behavior), insbesondere das kognitive Denkverhalten (Handlungsbewusstsein), und/oder die Bewegungs- (E – Exercise) bzw. Entspannungspotenziale (R – Relaxation) und/oder eine gesunde Ernährung (N – Nutrition) abzielen (vgl. Esch u. Esch 2015). BERN ist kein definiertes Programm, sondern beschreibt als Akronym den Bezugs- und Handlungsrahmen, das „Framework“, der verschiedenen Mind-Body-Interventionen. Wichtiger Bestandteil dieses multifaktoriellen Ansatzes sind auch soziale Unterstützung (i.d.R. als Teil der Verhaltenssäule aufgefasst) sowie Spiritualität, Glaube und Meditations- bzw. Achtsamkeitstechniken (i.d.R. als Teil der Entspannungssäule). Damit reiht sich die Mind-Body-Medizin in allgemeine Prinzipien der Gesundheitsförderung ein.
Umgesetzt in der Praxis wird die Mind-Body-Medizin (wie auch individuelle Maßnahmen der Gesundheitsförderung) typischerweise im Rahmen der Primärprävention oder komplementär in der Behandlung von konkreten Erkrankungen, hier jedoch zumeist nicht aus der „Hand“ der behandelnden Ärzte, sondern durch speziell ausgebildete „Experten der Gesundheitsförderung“ (vgl. Werdecker u. Esch 2019). Aus diesem Grund wird hierfür auch vom „Zweitürenmodell“ gesprochen – der Idealvorstellung, dass Patienten bei konkreten Beratungsanlässen etwa in der Primärversorgung in eine (ambulante) Einrichtung gehen, um dort hinter zwei Türen jeweils zum einen auf den Arzt für das pathogenetisch ausgerichtete Behandlungsmanagement zu treffen, zum anderen auf den Therapeuten für Gesundheitsförderung bzw. Mind-Body-Trainer/-Instruktor, Ordnungstherapeuten (den Experten für Gesundheitsförderung und Salutogenese), für die gezielte Aktivierung der Selbstheilungs- und Gesundheitspotenziale. In den letzten Jahren hat sich die Evidenzlage für dieses Vorgehen bzw. den Einsatz der Mind-Body-Medizin in Prävention und Gesundheitsförderung – insbesondere in der Primärversorgung – sowie in der Therapie verschiedener Erkrankungen stark verdichtet (vgl. Esch 2020). Zusätzlich haben neuere Erkenntnisse potenzieller Mechanismen und Wirkfaktoren (s. Abb. 2; Esch u. von Bernus 2019) einen großen Vorschub für die zunehmende Verbreitung und Akzeptanz der Mind-Body-Medizin im Gesundheitswesen vieler Länder geleistet.
2.8 Selbstheilung in der aktuellen Wissenschaft – Altes Wissen „reloaded“
Forschungsarbeiten zu den molekularen und autoregulativen Grundlagen von Mind-Body- und Komplementärmedizin (vgl. u.a. Esch et al. 2004) haben unlängst relevante Parallelen zu Placebo-Mechanismen aufgezeigt (s. Kap. II.10). Dieses gilt insbesondere für die Beteiligung neurobiologischer, hirneigener Erwartungs- und Belohnungsprozesse, wie sie etwa im Bereich der drei limbischen Ebenen – d.h. der unterschiedlichen Belohnungs- und Motivationssysteme im zentralen Nervensystem – ihren Ausgang nehmen (Esch 2017). In diesem Kontext gerieten kürzlich bemerkenswerte Studienergebnisse etwa vom US-amerikanischen Placebo-Forscher Ted Kaptchuk (u.a. Kaptchuk et al. 2010) in den Fokus: Hier wurde behauptet, dass der Placebo-Effekt selbst dann noch existiere, wenn man sog. „Open-Label-Behandlungen“ durchführe, den Patienten also explizit mitteile, dass ein bestimmtes Medikament ein „wirkstoffloses Scheinmedikament“ darstelle (welches aber „auf die Selbstheilung einen positiven Einfluss“ haben könne). Von Täuschung kann jetzt kaum mehr die Rede sein. Nicht nur scheint die Selbstregulation auch unter diesen Umständen noch zu funktionieren, sondern inzwischen kennt man sogar erste genetische Dispositionen, die für den Placebo-Effekt empfänglicher machen (vgl. u.a. Hall et al. 2012). Ganz so, wie es Anthropologen wie James McClenon vorhergesagt hatten (siehe oben).
Abb. 2 Zusammenhang zwischen positiven/angenehmen Erfahrungen und einer physiologischen/molekularen Selbstregulation („Selbstheilung“) sowie möglichen Stressreduktion. Die Stressinhibition (*) erfolgt dabei u.a. neuronal (über direkte Einflüsse aus dem Nervensystem), enzymatisch, zellulär oder nukleär (z.B. über die Hemmung entzündungsförderlicher genetischer Transkriptionsfaktoren) (Modell aus Esch 2017). NO = konstitutiv gebildetes Stickstoffmonoxid; ZNS = Zentrales Nervensystem.
Der organische Ursprung solcher Selbstregulationsphänomene liegt offenbar im Gehirn. Begleitet von der Ausschüttung charakteristischer Botenstoffe (z.B. Dopamin) werden u.a. Zentren und Netzwerke aktiviert, die sich insbesondere in stammesgeschichtlich alten Arealen des zentralen Nervensystems befinden, wie etwa den limbischen Belohnungsregionen (vgl. Esch et al. 2004; Esch 2017). Interessanterweise scheinen viele „Selbstheilungstechniken“ ihre Wirkungen z.T. über jene Prozesse zu entfalten: Das, was diesen Mechanismus im Einzelnen aktiviert, mag spezifisch und stark biografisch oder kulturell geprägt sein (d.h. konditioniert) – und somit individuell. Der Mechanismus selbst aber scheint eher einem universellen biologischen Prinzip zu folgen, der auch bei Tieren in experimentellen Studien belegt werden konnte. Und so überrascht es nicht, dass man heute eine Überschneidung bzw. Konvergenz vieler unterschiedlicher Verfahren und Rituale (unter dem Label der Selbstheilung) auf jene hirneigenen Autoregulationszentren annimmt, bis hin zum Nachweis überschneidender molekularer Signalmechanismen, die ihrerseits wiederum u.a. auf eine Reduktion von Stress- oder Entzündungsmechanismen hinzuwirken scheinen (s. Abb. 2). In diesem Sinne können wir Mind-Body- bzw. Heilungsrituale heute auch als praktischen Anker jener (neuro)biologischen und psychomentalen Zusammenhänge verstehen (Esch u. Stefano 2010) und die Mind-Body-Medizin als „angewandten“ Placebo- oder Kontext-Effekt, die Selbstheilung als eine Art Placebo-Medizin. In jedem Fall aber scheinen die geschilderten Phänomene rund um die Selbstregulation nach wie vor von hoher Relevanz für die gesamte Medizin zu sein, auch und gerade für die Integrative und Mind-Body-Medizin.
2.9 Fazit und Ausblick: Die Mind-Body-Medizin in der Integrativen Medizin – mit Fokus auf der Primärversorgung
Die Mind-Body-Medizin baut auf der Gesundheitskompetenz und Selbstwirksamkeit der Individuen auf – und unterstützt sie dabei. Dafür aktiviert sie die salutogenen Ressourcen des Einzelnen und der Gruppe, ganz im Sinne einer Stärkung von Patientenaktivierung und Selbsthilfekompetenz, wie sie heute im Kontext einer patientenzentrierten (patientenorientierten) Medizin gefordert werden. Insbesondere in der Allgemeinmedizin – in der ambulanten Primärversorgung – kann so ein „ganzheitlicher“ Dreiklang entstehen, der nicht nur den dreibeinigen Stuhl (s. Abb. 1), sondern auch, über einen multi- bzw. interprofessionellen und teambasierten Ansatz, das integrative Zusammenspiel von medizinischem Behandlungsmanagement, Selbsthilfetraining und Versorgungsmanagement beinhaltet (s. Abb. 3).
So stellt sich heute ein neues Konzept der Integrativen Allgemeinmedizin dar (wie im „Wittener Modell“), wo unter Einbeziehung der genannten BERN-Instrumente gerade bei chronischen und lebensstil- oder stressassoziierten Erkrankungen darauf abgezielt wird, einen möglichst konkreten, erlebbaren therapeutischen Mehrwert für den Patienten zu erzeugen. Hier stehen neben dem primärmedizinischen Fall- und Behandlungsmanagement auch die Patientenedukation und individuelle Ressourcenaktivierung – im Sinne konkreter,