war so stolz auf ihn.« Sie presste nach diesen Worten das Taschentuch vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen. Tann wandte sich unmerklich ab, sah erneut aus dem Fenster und ballte die Hände, die er tief in seinen Hosentaschen vergraben hatte, zu Fäusten. Veras Stimme war sanft, als sie mit der Befragung fortfuhr:
»Können Sie mir die Namen der Doppelkopfpartner ihres Sohnes sagen?«
Christa Wiener schrak auf. »Ja, natürlich. Tim Pletter und Sven Freitag, der dritte heißt Kai, aber ich weiß den Nachnamen nicht.« Vera erhob sich, warf Tann einen Blick zu und beide verabschiedeten sich.
»Die Frau war völlig fertig«, stellte Vera fest, als sie wieder im Auto saßen.
»Ist wohl normal«, antwortete Tann knapp.
»Himmel, Jupp«, ereiferte sich Vera. »Sei nicht so garstig. Ich habe den Jungen nicht überfahren.« Tann startete den Wagen und brauste auf die Straße.
»Du warst auch nicht gemeint. Wenn ich an diesem Autofahrer denke, habe ich eine solche Wut, da fällt es mir schwer mich zu beherrschen.«
»Verflixt. Du bist Beamter. Reiß dich zusammen. Wir müssen auch noch die Familie der Maurers vernehmen.«
Sie fuhren wieder Richtung Gütersloh. Tann funkelte Vera wütend von der Seite an und strich sich erneut das etwas zu lange Haar aus der Stirn, was kaum Auswirkungen hatte, denn sofort fielen die dichten Strähnen in die alte Lage zurück. Vera betrachtete ihn besorgt, sagte aber nichts mehr. Am Kommissariat angekommen, ging Tann ohne jegliche Äußerung in sein Büro. Vera machte noch eine Abstecher zur Kantine, gab die Fundstücke im Labor ab und machte sich dann seufzend an den Bericht.
Am Nachmittag fand die Konferenz der Mordkommission statt. Tann gab die wenigen Hinweise bekannt, die sie bisher hatten. Dörte Masch hatte ebenfalls ihren ersten Beobachtungen vom Mord im Bauwagen berichtet, als sich ihr Kollege, Volker Franzen zu Wort meldete:
»Der Bauunternehmer hat mir mitgeteilt, dass er in Rheda-Wiedenbrück auch noch eine Baustelle hat, auf der vor drei Wochen ein Schaufelbagger und eine Schlagbohrmaschine gestohlen wurden.«
Tann schaltete sich ein:
»Wunderbar, Volker, bei mir hat er nur von Diebstählen gesprochen.« Er wandte sich an Vera: »Ruf ihn bitte an, wir brauchen eine Liste auch von den vorherigen Diebstählen, genau aufgeführt die Baustellen und was alles gestohlen wurde.«
Vera schaute auf ihren Bericht und erkundigte sich:
»Haben wir das nicht in den Unterlagen? Die Diebstähle wurden doch sicher gemeldet.«
Tann nickte. »Möglich, klär das bitte.«
Noch während sie die weiteren Schritte bezüglich Zeugenvernehmung und Recherche berieten, erschien der Kollege Norbert Pasur mit dem Ergebnis der Bodenprobe.
»Es ist definitiv derselbe Boden, wie der, den wir auch unter den Schuhen des Unfallopfers gefunden haben. Der Sisalfaden ist übrigens ebenfalls identisch mit dem vorher sichergestellten.«
Tann donnerte mit der Faust auf den Tisch, dass die Wasserflaschen seiner Kollegen bedrohlich schwankten und rief:
»Hab es mir gleich gedacht. Der Junge hat spioniert, und die Täter haben ihn dabei entdeckt.«
»Das ist aber kein Beweis, dass sie ihn überfahren haben!«, erklärte Dörte Masch bestimmt.
»Aber sie haben ihn gefesselt, und er konnte sich befreien«, beharrte Josef Tann. Vera Senft hatte sich noch einmal ihren Bericht angesehen und meinte:
»Dörte hat recht. Der Junge war schon fast zu Hause, woher sollten die Diebe wissen, welchen Weg er nimmt?«
»Es sei denn, sie haben ihn gekannt«, schloss Norbert Pasur die Debatte.
»Vielleicht bringt die Vernehmung der Angehörigen des Maurers was«, schaltete sich Josef wieder ein. »Bisher haben wir nur wenige, nichtssagende Äußerungen des Bauunternehmers und der Arbeitskollegen vor Ort. Auch die Anwohner haben bis auf eine junge Frau nichts gehört. Und die technische Untersuchung des Fahrrades ist auch noch nicht da.«
Etwas später fuhren Tann und Senft nach Werther. Diesmal fuhr Vera Senft, denn sie kannte sich in Werther bestens aus, weil sie während ihrer Ausbildung dort gewohnt hatte. So fuhr sie zielstrebig zur Alten Bielefelder Straße, bog rechts in die Ravensberger Straße ein und war schon wenig später in die Schlossstraße abgebogen.
»Weißt du eigentlich, dass der berühmte Peter August Böckstiegel in dieser Straße geboren wurde? Im Geburtshaus sind heute viele Gemälde, Grafiken und Aquarelle ausgestellt. Die Ausstellung kann ich nur empfehlen.«
Josef Tann zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Das musst du meiner Frau erzählen, die interessiert sich sehr für Kunst. Ich bin da nicht so bewandert.«
Vera antwortete nicht, weil gerade ein Laster wegen eines Wendemanövers ihr den Weg versperrte. »Zum Donnerwetter, was hat der denn hier zu suchen!«, fauchte sie ärgerlich, wartete ungeduldig bis das Ungetüm vor ihr endlich in Fahrtrichtung davon fuhr, und lenkte den Wagen vor ein hübsches Einfamilienhaus. Beim Klingeln öffnete ein junges Mädchen mit verweintem Gesicht. Josef Tann schätzte sie auf vierzehn Jahre und überließ seiner Kollegin die Vorstellung.
»Mama ist drinnen«, erklärte sie, ohne ihren Namen genannt zu haben und lief davon. Sie folgten ihr langsam ins Haus. Alles war neu und gemütlich eingerichtet. Im Hausflur kam ihnen Frau Schreiner entgegen, sie machte einen sehr gefassten Eindruck und bat die Beamten ins Esszimmer. Nach den üblichen Beileidsbekundungen bat die Hausfrau sie, Platz zu nehmen und erkundigte sich: »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« Vera antwortete für ihren Kollegen mit.
»Nein danke, Frau Schreiner. Wir möchten nur ein paar Dinge klären.«
Erst jetzt setzte sich Frau Schreiner ihnen gegenüber, und nur ein geübter Beobachter erkannte, dass es sie einige Anstrengung kostete, die Fassung zu wahren. Vera Senft übernahm auch diesmal die Befragung und begann mit scheinbar belanglosen Details.
»Wie oft übernahm ihr Mann die Wache auf der Baustelle?«
»Einmal im Monat. Donnerstagnacht war es das zweite Mal, diesmal sollte er das ganze Wochenende da bleiben.«
»Wurde denn am Freitag nicht gearbeitet?«
Frau Schreiner schüttelte den Kopf. »Der Chef musste zu einer Ausstellung, da sind einige der Kollegen mitgefahren, und die anderen hatten frei.«
»Haben Sie sich nicht gewundert, dass Ihr Mann sich das ganze Wochenende nicht gemeldet hat?«
Nur ein Zucken mit den Augenliedern verriet, dass diese Frage die Witwe mehr traf, als sie vorgab.
»Ich wusste, dass mein Mann nicht da war, da bin ich mit Svenja zu meiner Schwester nach Münster gefahren. Wir sind erst am Sonntagabend zurückgekommen.«
»Er hätte Sie doch auch ebenso gut in Münster erreichen können.«
»Gibt doch zu, dass ihr euch verkracht hattet, die Polizei kommt sowieso dahinter!« Die Tochter war leise hereingekommen, ohne dass jemand sie bemerkt hatte. Sie stand am Türpfosten und funkelte empört in die Runde und mit der Fassung von Frau Schreiner war es augenblicklich vorbei. Ihr Kopf wurde hochrot und sie drückte sich ein Taschentuch vor das Gesicht, um ihr Weinen zu unterdrücken. Josef Tann wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl und da Vera schwieg, ergriff er das Wort.
»Frau Schreiner«, erklärte er so sanft, dass Vera ihn erstaunt ansah. »Streit kommt in den besten Ehen vor. Es ist ganz natürlich, Sie sollten sich keine Vorwürfe machen. Ihr Mann hätte Ihnen bestimmt verziehen.«
Sie sah den Beamten dankbar an und schluchzte: »Glauben Sie wirklich?«
Tann nickte und bestätigte überzeugend: »Ganz sicher.«
Daraufhin erklärte Marita Schreiner stockend: »Ich wollte nicht, dass er diese Wache schiebt. Schon beim ersten Mal habe ich schreckliche Angst gehabt und die ganze Nacht kein Auge zugetan. Und diesmal war es ein ganzes Wochenende.