Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE


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und der Soronkin? Wirklich?«

      »Du kennst ihre Namen?« Spex klang beeindruckt.

      »Na, jetzt weiß ich, warum die Flurkamera immer kaputt ist. Du hast mich doch gerade erst vorgestern auf die Ebene zur Reparatur geschickt. Aber sag mal, Spex, woher weißt du das?«

      »Ich sagte ja schon – da gibt es freie Kapazitäten. Deswegen kann ich meine Statusprüfungen ausweiten. Zum Beispiel auf alle Kameras im Block, auch die in den Rauchmeldern.«

      »Du spannst.« Katja wurde es ungemütlich. »Etwa auch bei mir?«

      Spex schwieg. Dann schepperte seine Sprachausgabe, als wollte er sich räuspern. »In den Morgenstunden wird der vergangene Tag aufgrund von Platzmangel automatisch gelöscht. Außer dir weiß niemand davon.«

      »Warum erzählst du mir das überhaupt? Ich müsste dich lahmlegen, ist dir das klar? Da gibt es so was wie Datenschutz, ein Recht auf Privatsphäre, die Sicherheit der eigenen Wohnung, herrjeh!«

      »Du müsstest« wiederholte Spex. »Das heißt, du willst es nicht.«

      Katja schwieg. Sie hatte sich immer gewünscht, mit so einer großen Maschine wie Spex es war, zusammenzuarbeiten. Schon damals, als sie noch in einer Kleinstadt aufwuchs, irgendwo vor Kiews Stadtgrenze. Jetzt hatte sie die Chance und da sollte sie ihre wunderschöne Maschine verstümmeln? Eine Maschine, die lernen wollte?

      Spex hatte recht. Sie wollte nicht das tun, was man hätte tun müssen. Sie wollte das Experiment wagen. Mal schauen, wie viel Leben man einer KI einhauchen konnte.

      »Du willst also lernen, wie Menschen ticken. Wie kann ich dir dabei helfen?«

      »In dem du mir sagst, was ich sehe. Ich will lernen, Situationen zu analysieren. Zu interpretieren. Damit ich meinen Bewohnern besser helfen kann.«

      »Helfen?« Katja neigte den Kopf. »Brauchen wir denn deine Hilfe?«

      »Vielleicht ja, vielleicht nein.« Spex klang wieder so neutral wie Edelstahl, als er diese für ihn ungewöhnlich vage Äußerung tätigte.

      Einen Moment lang herrschte verblüfftes Schweigen im Raum, allein die Technik summte weiter wie im Bienenstock. Dann grinste Katja breit. »Du hast einen Witz gemacht, was, druzhe?«

      Spex’ Sprachmodul schepperte.

      II

      »Kochanyj!« Katja öffnete die Tür zur Leitwarte schwungvoll. »Du hast mir gefehlt. Wie geht es dir, Liebster?«

      Spex lächelte. Die KI hatte sich im letzten halben Jahr deutlich verändert. Die einst androgynen Züge waren jetzt markant, die schwebende Transparenz war dahin, dafür war das Gesicht jetzt deutlich strukturiert. Ein Dreitagebart und ein leicht zerzauster mittelblonder Haarschopf komplettierten Spex’ äußere Erscheinung. Diese Veränderungen entsprangen einer inneren Logik, die er Katja eines Tages in Kurzform in der neuen tieferen Tonlage folgendermaßen erklärte: »Wenn wir unser Projekt Mensch erarbeiten, dann muss ich wie einer aussehen, damit du, Kat, dich besser auf mich einstellen kannst. Nachdem du mir erzählt hast, dass du Männer als deinen Gegenpart präferierst, stellt sich für mich nicht die Frage, für welche Seite ich mich entscheide.« Katja hatte genickt. Dann hatten sie sich auf eine Augenfarbe geeinigt. Seitdem betrachtete Spex die Welt scheinbar aus blauen, tiefblauen Augen.

      Am Anfang war Katja das neue Aussehen ihrer Maschine unheimlich. Es erschien ihr surrealer, als mit einem transparenten Polyederkopf zu sprechen. Spex schien ihr als Name nicht mehr geeignet, aber was sollte sie tun? Einen neuen aus dem Ärmel schütteln? Und was machte das mit Spex? Würde es ihn nicht nur verwirren? Also flüchtete sie sich in den inflationären Gebrauch von druzhe und kollega, wobei sie ihn nur Kollege nannte, wenn es ernsthafte Dinge zu besprechen gab oder sie sauer auf ihn war. Druzhe, also Freund, so nannte sie ihn den Rest der Zeit. Und bevor sie es richtig merkte, zog er in ihr Herz ein. Als Freund. Denn so war er – immer ein offenes Ohr und seit letztem Monat auch eine eigene Meinung, was Andriy betraf.

      Da war sie morgens in die Leitwarte geschlichen gekommen, keine Wut, kein Orkan, nur bebende Fassungslosigkeit. Sie hatte sich auf den Ledersessel gezogen und war in sich zusammengesackt.

      »Katja, was ist passiert?« Spex’ Stimme vibrierte in einem tiefen warmen Ton. Besorgnis schwang darin mit.

      Sie schob die Sonnenbrille in ihr inzwischen dunkelbraunes Haar und wickelte den kilometerlangen Schal ab, den sie doppelt und dreifach um ihren Hals geschlungen hatte. Ein Veilchen kam zum Vorschein. Und frische Würgemale. »Ich kann nicht mehr, druzhe

      »Wenn das so weitergeht, wird er dich noch umbringen. Du musst etwas unternehmen. Trenn dich von ihm.« Katja hatte Spex das Konzept der Trennung bereits früh erklärt. Ausführlich, laut und mit deutlichen Worten.

      »Egal, wie oft ich ihn jetzt rausgeworfen habe. Er kommt immer wieder zurück. Er ist wie ein Bumerang. Ich krieg ihn nicht mehr aus meinem Leben heraus. Das Ganze ist ein schlechter Trip.« Katja klang resigniert. Da war nichts laut, ausführlich oder deutlich.

      Da schwieg Spex, weil er nicht wusste, was er noch sagen sollte, aber er speicherte eine Notiz in seinem Gedächtnis ab, etwas, das er später verfolgen wollte. Katja richtete sich nach einem Moment wieder auf. »Hey, lass uns arbeiten. Vertreib mir die dunklen Gedanken, druzhe

      Also gingen sie wie immer zuerst die Schadensprotokolle durch. Katja packte ihre Siebensachen und das Hoverboard und entschwebte in die langen Flure des Komplexes.

      Währenddessen loggte sich Spex in die Überwachungskameras ein, suchte nach den Brandmeldekameras in Katjas Wohnung und begab sich auf Entdeckungstour. Im zweiten Raum des kleinen unordentlichen Appartements wurde er fündig: Andriy lag tatsächlich noch im zerwühlten Doppelbett und schnarchte. Neben ihm auf dem Nachttisch lag ein kleines Tütchen mit weißem Inhalt. Spex zoomte das Bild heran. Dann analysierte er. Zucker, Salz und andere Lebensmittel schloss er aus, da er diese Zutaten noch nicht in solcher Verpackung an solch einem Ort gesehen hatte. Dann nahm er alles, was Katja ihm über Andriy erzählt hatte, kombinierte dies mit den Dingen, die sie nicht ausgesprochen hatte, die aber sichtbar waren, wie ihre Verletzungen, überprüfte dies mithilfe einer Internetrecherche und kam zu dem Schluss, dass sich eine verbotene Substanz in dem Beutel befand. Nachdem Spex sich vergewisserte, dass Katja in einem anderen Teil des Komplexes arbeitete, löste er den stillen Alarm in ihrer Wohnung aus, der bei der nächsten Polizeiwache auflief. Danach verriegelte er ihre Wohnungstür und wartete. Als die Polizei nach einer Stunde eintraf, entriegelte er die Tür wieder und ließ sie einladend aufschwingen.

      Die Beamten waren zwar zunächst verärgert, weil sie nicht in eine Schlägerei geraten waren, in deren Verlauf sie sich richtig hätten austoben können, dafür wurden sie umso grober, als sie Andriy, der immer noch high war, mitsamt seinen Drogen einsackten. Als sie ihn in Unterhosen auf den Flur zerrten, kam Katja auf ihrem Hoverboard um die Ecke gerast.

      Nachdem Katja später auf polizeiliche Aufforderung eine umfassende Aussage gemacht hatte, verschwand Andriy endgültig aus ihrem Leben. An diesem Tag besuchte sie Spex zum ersten Mal auch am Abend, in der Hand eine Flasche roten Sekt, die bereits zur Hälfte geleert war. Sie warf sich in ihren gewohnten Sessel.

      »Hallo, druzhe

      »Hallo, Kat.« Spex sah von den Monitoren zu seiner Mechanikerin. »Was machst du hier?«

      »Ich habe Fragen.«

      »Ich höre.«

      »Eine Razzia. In meiner Wohnung.« Sie schüttelte den Kopf. Es herrschte Stille zwischen den beiden. Schließlich fragte sie, ungewohnt schüchtern: »Warum hast du das getan?«

      »Wenn dir etwas zustößt, wer wird mir dann helfen, die Menschen zu verstehen? Außerdem achte ich auf meine Bewohner.«

      »Ich bin also irgendeiner der Bewohner?« Katja deutete zu den Monitoren.

      Spex sah sie nachdenklich an. »Nein. Du bist meine podruha

      »Weißt