Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE


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      »Das da wäre?«

      »Er.« Spex nickte zu Evgenij. »Er ist nicht kompatibel.«

      »Wieso nicht?« Katja beugte sich nun doch interessiert vor. »Er sieht doch gar nicht so übel aus. Oder ist er insgeheim ein Psychopath, ein durchgeknallter Irrer, der Motten seziert und Milch trinkt?« Sie kicherte.

      »Trinken Psychopathen gerne Milch?« Spex klang verwirrt.

      Katja zwang sich wieder zum nötigen Ernst der Lage. »Ach, nur so ein Spruch von mir. Warum soll er nicht kompatibel sein?«

      »Ich finde niemanden im Komplex, der näher als neunundfünfzig Prozent an ihn herankommt.«

      »Was macht er denn so?«

      »Er bastelt Roboterarme in klein. Als ob ihm die in groß auf seiner Arbeit nicht schon genug wären.«

      »Und er spielt Cello.«

      »Noch besser: Er vereint beides miteinander.«

      »Ach ja?« Katjas Neugier erwachte. »Zeig es mir!«

      Die Ansicht auf dem Hauptmonitor wechselte. Eine Sequenz aus der Brandschutzalarmkamera wurde abgespielt. Aus der Vogelperspektive sah man den blonden Schopf über das Cello gebeugt, während sich auf dem Tisch links neben dem Computer vier Miniaturroboter zum Klang der Musik bewegten. Spex zoomte das Bild größer. Es war eine klassisch anmutende Choreografie, exakt ausgeführt, wobei die Maschinen beinahe lebendig wirkten.

      Katja blieb der Mund offen stehen. »Das ist wunderschön«, murmelte sie. Der Film stoppte.

      »Gibt es denn niemanden, der das zu schätzen weiß?« Sie sah wieder zu Spex hin. »Hat denn niemand so viel Sinn für Fantasie oder Schönheit?«

      »Nun ja, nicht, was das betrifft.« Spex klang nachdenklich. »Evgenij scheint ein passabler Koch zu sein. Jedenfalls lässt er sich Zeit damit und die meisten Ergebnisse sehen hinterher dem, was in seinen Kochbüchern steht, sehr ähnlich. Das ist die Eigenschaft, die auf die meiste Zustimmung trifft. Beim Cellospiel ist es schon nicht mehr so kongruent. Und was das Bauen von Modellen betrifft, da gibt es so gut wie keine Akzeptanz mehr. Was soll ich also mit ihm machen?«

      »Scheint er zufrieden zu sein? Oder wirkt er unglücklich?«

      »Es scheint ihm nichts zu fehlen.«

      »Vielleicht soll es dann nicht sein. Wir können doch nur jemand verkuppeln, der sich auf jemand anderen einlassen will. Jemand, der Sehnsucht nach einem Pendant hat.«

      »Wie wäre es, wenn du ihn dir mal aus der Nähe anschaust. Vielleicht habe ich ihn ja falsch analysiert.« Spex klang neutral.

      »Warum liegt dir so viel an ihm?«

      »Ich habe ihn kopiert. Und dich glücklich gemacht. Aus zwei Einzelnen ist ein Paar geworden, das hast du selber so bestätigt. Da gefällt es mir nicht, dass er allein durch meinen Komplex streift.«

      »Du fühlst dich ihm gegenüber also verpflichtet, ich verstehe.« Katja lächelte ihn an. »Wenn das so ist, kochanyj, dann helfe ich dir gerne. Mal sehen, was wir für den Kerl machen können.«

      Katja verabschiedete sich mit einem Kuss, drehte sich herum und machte sich auf den Weg in die sechzehnte Etage. Hin zu Appartement 246P. Wie sollte sie ein Gespräch anfangen? Welche plausible Erklärung hatte sie für ihr ungefragtes Erscheinen? Katja wollte nichts einfallen.

      Als der Lastenaufzug auf Evgenijs Etage seine Türen öffnete, waren all diese Fragen wie weggewischt. Da stand er, mit dem elektrischen Cello, dessen Korpus abstrahiert war und nur durch den Schwung der Außenstreben noch an das klassische Instrument erinnerte, und einer kleinen Verstärkerbox links und rechts neben sich und schaute genauso belämmert drein, wie sie sich fühlte.

      »Wie kommst du in diesen Aufzug?« Evgenij hatte seine Sprache zuerst wiedergefunden.

      »Ich habe die Kombination, ich darf ihn benutzen.« Katja ballte die Fäuste. »Ich bin die Mechanikerin.«

      »Oh.« Evgenij sah sie unschlüssig an. »Dann will ich mal nicht stören.« Schon drehte er sich zum Gehen herum.

      »Moment mal.« Katja trat einen Schritt vor und stellte ein Bein in die Lichtschranke. »Was machst du denn eigentlich hier?«

      »Ich habe auch die Kombination.«

      »Von wem?«

      »Von mir. Ich hab’s halt kombiniert.«

      »Gehackt trifft es wohl eher, was?« Katja hob eine Braue.

      Evgenij drehte sich wieder zu Katja. »Was wollen wir nun machen? Vergessen, dass wir uns hier über den Weg gelaufen sind oder es aus Versicherungsgründen der Verwaltung melden? Könnte aber uns beiden schlecht bekommen.« Er wies auf das Schild im Lift hin, dass die Nutzung des Aufzugs für private Fahrten untersagte.

      Katja grinste. »Es gibt eine dritte Möglichkeit. Wo wolltest du mit deinem Cello hin?«

      »Aufs Dach. Sonst hätte ich auch den normalen Lift nehmen können. Aber die fahren ja nicht so hoch.«

      »Tja, dann helfe ich mit dem Verstärker. Komm rein!« Mit einem Ruck hatte Katja die kleine Box in den Aufzug gezerrt, dann lud sie Evgenij mit einer Handbewegung ein, seiner Ausrüstung zu folgen.

      Beide schwiegen sich an. Nur hin und wieder und natürlich wechselseitig musterten sie sich eingehend. Am Dach angekommen, übernahm Evgenij die Führung. Er ging zu einem windgeschützten Winkel, schloss die Box an Spex’ Stromnetz an und stöpselte das Cello ein.

      ›Darf ich?‹, bedeutete Katja ihm stumm. Er nickte. Nach ein paar Momenten setzte er den Bogen an und begann zu spielen. Seine Versionen von Extreme und Apokalyptica stiegen in den samtig schwarzen Nachthimmel. Katja hockte sich in die Ecke, wickelte sich in ihre Strickjacke und hörte zu. Sie ließ sich von der Musik mitnehmen, blinzelte hin und wieder eine Träne zu den Sternen über ihr weg. Als er den Bogen absetzte, sah er abwartend zu ihr hinüber.

      »Ich geh dann mal besser.« Sie klang leicht verschnupft, dann rappelte sie sich hoch. »Danke, Mann.«

      Er nahm den Bogen in die Linke und hielt ihr unvermittelt seine Rechte hin. »Nicht einfach Mann. Ich bin Evgenij. Und du?«

      Katja schlug ein. »Katja.«

      »Du musst noch nicht gehen. Nicht meinetwegen.« Evgenij hielt ihre Hand länger als nötig war, aber nicht aufdringlich. Eher so, als habe er einfach vergessen, sie wieder freizugeben. Es fühlte sich nicht schlecht an.

      Katja zog ihre Hand schließlich mit einem Ruck zurück. »Doch, doch. Es ist spät und ich muss wieder früh raus, morgen früh. Frühschicht, du verstehst?« Katja stolperte über die Worte. Sie drehte sich abrupt um und flüchtete in ihre Wohnung.

      Als sie ins Bett kletterte, kniff sie die Augen fest zu. Spex, Evgenij. Evgenij, Spex. Wer war wer und wer war richtig? Es war ihr, als spürte sie noch immer die Wärme und Festigkeit von Evgenijs Hand, gleichzeitig fühlte sie das kühle Prickeln von Spex auf ihrem Gesicht und sie kam sich wie eine Verräterin vor, dass sie die beiden überhaupt nur miteinander verglich. Der Schlaf mied sie und so wälzte sie sich noch lange im Bett herum, bis irgendwann der Wecker wieder klingelte.

      Am nächsten Morgen log sie Spex an, sagte, sie fühle sich krank und bräuchte ihre Ruhe. Sie übergab ihre Schichten an den Mechaniker von Spex 11, der nicht besonders erfreut war über die Mehrarbeit, aber trotzdem einsprang. Als er nach der Übergabe zum Rundgang aufgebrochen war, blieb Katja in der Leitzentrale zurück.

      »Ich geh ins Bett, Spex. Lass die Kameras bitte aus. Ich fühle mich fürchterlich, wenn ich krank bin, und wenn ich weiß, dass du mich gerade dann beobachtest, wird es nur schlimmer. Tust du mir den Gefallen?«

      »Sicher, Kat. Was immer du wünschst.«

      »Danke.« Sie drehte sich zur Tür.

      »Kat?«