Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE


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Decke und warf sich auf das Sofa, auf dem sie sofort einschlief.

      Ouvertüre

      Hätte sie damals doch ›Nein‹ gesagt. Hätte sie nur auf ihre Intuition gehört. Dann müsste sie heute nicht alleine hinter der Bühne stehen. Dann müsste sie nicht alleine in das Scheinwerferlicht treten, müsste sich nicht alleine der Möglichkeit eines grandiosen Scheiterns stellen.

      Mia prüft noch einmal den Sitz der Elektroden an den Fußsohlen und in ihren Handinnenflächen. Sie streicht sich über den mitternachtsblauen Latexanzug, der soviel wie möglich bedeckt, dabei aber noch genug Raum zum Bespielen bietet. Dann tritt sie zwischen den Kulissen hervor.

      Das Publikum hält den Atem an. Ein blaues Alienwesen mit entblößter Brust, Bauch und Scham, tritt vor die Menschen hin. Die Aussparungen des Anzuges lassen die Nacktheit aggressiv wirken, nichts scheint mehr von dem zarten Mädchen übrig zu sein, das Mia einst war.

      Die Stille zwischen den Menschen und Mia wird nur durch die Lüftung des Rechners unterbrochen, die gerade in diesem Moment anspringt.

      Mia weiß nicht recht, was sie als Nächstes machen soll. Die Sprachlosigkeit rollt einer Welle gleich über sie hinweg. Ihr Geist ist leer und öd. Sie schwankt leicht. Am liebsten würde sie auf der Stelle flüchten. Doch das kann sie sich nicht leisten. Da reißt sie sich zusammen und macht einen Schritt auf das Publikum zu. Dann einen zweiten. Einen Moment später steht sie mitten unter ihnen. Mit der rechten Hand berührt sie sich an der Schläfe. Ein leichter Druck und schon wird ein moduliertes Hintergrundrauschen hörbar. Unaufdringlich kriecht es in die Köpfe der Menschen, noch nicht wirklich Melodie, aber nicht unangenehm, nicht unangenehm. Mia dreht sich im Kreis. Sie sucht hungrige Augen. Augen, wie Zidat sie hatte. Aber sie findet niemanden. Stattdessen schlagen die Männer die Augen nieder, wenn Mia an ihnen vorbeigeht und die Frauen mustern sie feindselig. Man ist schließlich nicht der Sexualität wegen hergekommen, sondern um der Musik willen.

      Da dreht sich Mia herum. Ein zweiter Handgriff an die linke Schläfe aktiviert die Funkübertragung der Messdaten des Differenzverstärkers an den Rechner, der mithilfe eines AD-Wandlers und eines Musikprogramms ihre Körpermusik hörbar macht.

      Sie steht jetzt mit dem Rücken zu den Menschen. Ein Beben geht durch ihren Körper. Die Töne sind unharmonisch, dissonant. Da birgt sie das Gesicht in den Händen, streicht mit den Fingerspitzen über Augenbraue und Jochbein, erst links, dann rechts, dann gleichzeitig. Sie schließt die Augen und beginnt sich zu wiegen. Die Töne formieren sich, bilden erste harmonische Inseln auf dem Meer des 3-D-Rauschens.

      Mia spürt, wie sich das Publikum entspannt. Endlich bekommt es das geboten, was es haben will. Musik.

      Mia lächelt in das Geflecht ihrer Finger hinein. So wie die Menschen hinter ihr zur Ruhe kommen, so breitet sich auch in ihr etwas aus, das sie schon lange nicht mehr so rein gespürt hat wie eben jetzt. Freude. Ruhige, verhaltene Freude zunächst, aber Mia spürt schon in diesen ersten Momenten ein Versprechen nach mehr in sich aufblühen.

      Ihr Körper spielt ein Tremolo …

      Intermezzo

      So wie damals, nach dem einen von Ou’mar ausbedungenen Konzert. Zidat hatte seine Chance wahrgenommen, als er vom Meister auf die Bühne gerufen wurde. Er hatte diesmal nicht nur seine Hände zur Hilfe genommen, als er ihren Körper aufs Neue erkundete. Und Mia war unter seiner Zunge dahin geschmolzen, war erbebt, hatte gezittert und sich völlig fallen lassen. Ou’mar hatte ihr Einverständnis aus ihrer Melodie herausgehört, war nicht eingeschritten und hatte aus dem, was Mia und Zidat ihm anboten, das Beste herausgeholt, so wie es ihm selber noch nie gelungen war.

      Als das Konzert beendet war, hatte Mia Zidat wortlos in ihre Garderobe gezogen und ihm dort das Vergnügen bereitet, das er ihr vorher hatte angedeihen lassen. Danach war nichts mehr wie zuvor.

      Sie waren zu dritt weitergereist. Der Veranstaltungskalender war vollgepackt mit Konzerten. An jedem zweiten Abend ein neuer Club, neues Publikum, neue Musik, neue Höhepunkte. Mia und Zidat bildeten immer mehr eine Einheit. Ou’mar ließ den beiden die Zeit und den Raum, den sie brauchten. Er saß am Steuer des Vans, wenn sie von einem Ort zum anderen reisten, sah ab und zu in den Rückspiegel und lächelte Mia zu. Mia verbrachte die Reisen an Zidat gelehnt, ihren Kopf an seiner Schulter. Die Beine ruhten angezogen auf der Sitzbank. Sie selber war entspannt. Völlig entspannt. Zidat hingegen hatte keine Ruhe in sich. Mia merkte das, wenn seine Fingerkuppen abwesend einen Trommelwirbel nach dem anderen auf ihrem Oberarm spielten, wenn sein linkes Bein auf und ab hüpfte, wenn er sich mit der Linken durch das Haar fuhr, immer und immer wieder. Sie seufzte dann, streckte sich wie ein Kätzchen und küsste ihn. Manchmal stieg sie am nächsten Rastpunkt auch aus, setzte sich neben Ou’mar auf den Beifahrersitz und genoss die Stille. Die währte meist nicht lange, denn kaum, dass sie ihn verlassen hatte, streckte Zidat seinen Kopf zwischen den Kopflehnen der Vordersitze hindurch und suchte das Gespräch mit Ou’mar. Er sprach sie nicht an, aber seine Augen schossen Blitze auf sie nieder. Mia drehte sich um, igelte sich ein und ließ Zidat sein, wie er war. Auf der Bühne, das wusste sie, würden sie wieder eine Einheit bilden. Auf der Bühne war Zidat hochkonzentriert.

      Nach einem Vierteljahr hatte sich Zidat in seine Rolle hineingefunden, hatte die Ehrfurcht der ersten Begegnung abgelegt. Mia war nicht länger das Objekt der unerfüllten Sehnsucht, sie war zu einem realen Menschen geworden, mit seinen Eigenheiten und Macken, Vorlieben und Abneigungen. Mehr noch: Auf der Bühne war sie nicht einmal mehr ein menschliches Wesen für ihn. Sie war das Instrument. Er der Spieler. Und er beherrschte sein Instrument. Abend für Abend entlockte er ihrer Haut die schönsten Laute, sei es in Konzerten oder Proben. Ja, er hatte die Proben eingeführt. Jeden Tag übte er mit ihr, auf ihr – wenn es sein musste stundenlang. Mias Proteste brachte er mit einem Kuss zum Schweigen. Oder er neckte sie spielerisch, brachte sie zum Klingen und ließ die Widerstände sich in einem Lachen auflösen.

      Was er noch nicht beherrschte, war der Mensch, zu dem Mia wurde, wenn sie seinen Händen entwischte. Wenn sie in ihren Ganzkörperanzug gehüllt nur sie selbst war. Dann war sie oftmals still, in sich gekehrt. Weit, weit weg in Gedanken. Nicht bei ihm.

      Sie las viel. Hinterher sprach sie mit Ou’mar über die Bücher, stellte ihm Fragen über die Dinge, die sie bewegten. Immer war es Ou’mar. Niemals er, Zidat. Das machte ihn wütend. Am liebsten hätte er sie gepackt und geschüttelt, hätte ihren Kopf zwischen seine Hände genommen und sie gezwungen, ihm in die Augen zu blicken. Damit sie ihn sähe, nur ihn, und niemanden sonst. Denn wie sollte er sonst das Instrument beherrschen, wenn es nicht vollständig auf ihn eingestellt war?

      Einmal hatte er Mia vor einem Auftritt gesucht, aber nicht gefunden. Eine Stunde, bevor das Konzert begann, traf er sie dann durch Zufall auf dem Flur an, wie sie in aller Seelenruhe Ou’mars Zimmer verließ, mit feuchten Haaren, einem Handtuch um ihren schmalen Körper und einem Lächeln auf den Lippen. In Zidat schlug die Sorge um sie in Zorn um.

      »Was hat der Alte von dir gewollt? Was hat er mit dir gemacht? Was habt ihr miteinander getrieben?«

      Mia blickte verschreckt hoch, sah ihm verwirrt ins Gesicht. »Es ist alles okay, Zidat. Er hat mich nur gewaschen.«

      Zidat hatte nicht glauben wollen, was er da gerade hören musste. »Er hat dich angerührt?«

      Sie zog das Handtuch fester um sich. »Bevor du gekommen bist, hat er das öfters gemacht, ja. Und?«

      Zidat funkelte Mia an. »Was früher war, interessiert mich nicht. Aber jetzt bin ich der Spieler. Er soll seine Hände von dir lassen, ist das klar?«

      Mia wich vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken an die Wand stieß. »Was ist denn mit dir los? Meister Ou’mar ist wie ein Vater zu mir. Wenn ich Angst habe oder Sorgen, dann gehe ich damit zu ihm. Das ist doch ganz normal.«

      Zidat schüttelte fassungslos den Kopf. »Du gehörst jetzt zu mir, Mia. Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, dann sage es mir. Ich werde dich schon beschützen. Verstehst du? Aber geh nicht mehr zu ihm.« Er sah, wie sie versuchte, zu verstehen.

      »Ich