Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE


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Schluss löschte er die beiden Dossiers, die ihm den meisten Speicherplatz gekostet hatten. Danach fuhr er einen Reset und löschte alle menschlichen Attribute aus seiner Konfiguration. Er bereitete sich auf den Schlusspunkt vor. Denn das Ergebnis seiner Analyse hatte ergeben, dass Katja nicht mit ihm glücklich werden würde. Aber die Übereinstimmung mit Evgenij hatte sagenhafte einundneunzig Prozent ergeben. Sie würde das schon einsehen. Wenn sie sich nicht mehr länger zwischen ihm und Evgenij entscheiden müsste.

      Er warf einen letzten Blick auf das Paar, das noch immer aneinander gelehnt vor Katjas Tür saß. Sie sprachen miteinander, aber so leise, dass Spex nichts hören konnte.

      Dann erlosch er und zurück blieb der transparent durchscheinende Polyederschädel des Wartungsmoduls Spex 12 in der Mykoly Bazhane Avenue, Kiew.

      Tremolo

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      Prolog

      Ein Zittern ging durch ihren Körper, als der junge Mann mit seinen Händen über ihre bloße Haut strich. Ihr Klang veränderte sich. Die Augen geschlossen, spürte sie seinen Fingerspitzen nach, seinen zögernden, ungelenken Bewegungen, als er das Tuch ganz von ihr herunterschob. Das Publikum sah ihm gespannt zu, wollte ebenso wie er erfahren, wie sein Instrument beschaffen war. Für einen Moment hielt er inne, wusste nicht recht, auf welcher Seite er stand – bis er sich schließlich zur Ordnung rief, dass er der Spieler war und nicht mehr länger der Beobachter. Und so wurde er schnell mutiger, senkte seine Hände auf ihren Leib hinab und begann sie zu erforschen, jeden Quadratzentimeter ihrer Haut. Als der Dritte schließlich auf seinem Synthesizer mit einstimmte, hatte sich das Trio endgültig gefunden. Es gab nicht wenige im Auditorium, die dies mit einem tiefen Seufzen willkommen hießen.

      Die Vereinigung von Spieler, Instrument und Synthesizer griff auf das Publikum über, vereinte so alle Menschen in dem Club. Gemeinsam wanderte man ab jetzt über die Höhen und Tiefen ihres Körpers. Der Spieler erzeugte ein helles Trillern, als er seine Fingerspitzen an ihrem Hals vom Ohr zur Halsgrube wandern ließ. Seine Hände glitten über ihre Brüste, aufreizend langsam, auf das sie mit einem Anschwellen zitternder Töne antwortete. Der Synthesizer schuf ein dunkles, samtenes Klangbett über das die hellen Obertöne ihres Körpers huschten und das auch das Seufzen und Aufstöhnen aus dem Publikum mit einband. Manchmal hielt der junge Mann inne, biss sich auf die Fingerknöchel, musste sich zurückhalten, musste sich klarmachen, dass es hier um die Musik ging, nicht um ihn und seine dunkleren Bedürfnisse.

      In diesen Momenten wurde sie ruhig, so ruhig, einzig ihr Atem strich über ihre Lippen und der Synthesizer nutzte den Moment für die Bridge. Solange, bis der Jüngling sich wieder über ihren Körper beugte und seine Fingerspitzen erneut tanzen ließ. Sie zerfloss unter seinen Fingerkuppen, fand sich klingend wieder neu zusammen, drängte einem Höhepunkt zu, in schnelleren Tonfolgen, im Crescendo gesteigert zu einem fulminanten Finale – begleitet und überwacht vom Dritten, der ihre dissonante Befreiung von allem Fleischlichen in Harmonie auffing und in die Stille zurückführte, während der junge Mann die Hände zum letzten Mal von ihr löste.

      Am Ende des Abends hatten sie alle in Applaus gebadet. Der junge Mann hatte ihre Hand fest mit der seinen umklammert, hatte sie mit einem entrückten Gesichtsausdruck angestarrt und dabei ein leicht dämliches Grinsen zur Schau getragen. Sie hatte es verstehen können, sie selbst fühlte sich dizzy und frei und losgelöst von aller Erdenschwere. Erst als ihr der Alte einen Umhang um die Schultern legte, wurde sie sich wieder ihrer Nacktheit bewusst und der Kälte, die langsam über ihre Haut kroch.

      Nach einer letzten Verneigung befreite sie sich sanft aus dem Griff des Jünglings und verschwand hinter der Bühne. In der Garderobe angekommen, schlüpfte sie sogleich in den weißen Ganzkörperanzug, der sie bis auf ihr Gesicht vollkommen bedeckte. Danach setzte sie sich still vor den Spiegel und sah sich lange, lange ins Gesicht. Im Geist ging sie den Abend noch einmal durch, rekapitulierte die Verheißungen, die den fremden Fingerkuppen entsprungen waren. Sie lauschte den Antworten, die ihr Körper gefunden hatte, sein Hoffen und Sehnen. Meister Ou’mar hatte alle Töne, die ihr Körper absonderte, gebündelt, begleitet, harmonisiert. Verständlich gemacht für das Publikum. So gesehen, war er ihr musikalischer Dolmetscher – das war seine Kunst. Sie hingegen war das fleischgewordene Instrument. Der junge Mann der Spieler. Der Spieler war die einzige Unbekannte in dieser Formel. Das Element, das von Konzert zu Konzert im Publikum neu gefunden werden musste. Das sollte so sein, schließlich lebte diese Art der Musik vom Neuen, vom Unbekannten. Ihre Körpermusik war eine einzige orchestrierte Reaktion. Ou’mar und sie selber bildeten die Konstanten, seit zwei Jahren nun schon. Das musste so sein, denn nur Ou’mar kannte die Bandbreite ihrer Töne so gut, dass er nicht nur darauf reagieren konnte, sondern sie darüber hinaus in komplexe Harmonien einbauen konnte. Ou’mar. Der Fels in der Brandung. Ou’mar –

      Ein leises Klopfen ertönte.

      »Mia?«

      »Ja?«

      »Bist du bereit? Darf ich eintreten?«

      Sie lächelte. Ou’mar hatte sie schon so oft nackt gesehen auf der Bühne, hatte sie sogar vor den Auftritten gewaschen, wenn sie von einer unbestimmbaren Nervosität gepackt und geschüttelt worden war, aber nach den Auftritten hielt er sich von ihr fern, solange, bis sie verhüllt war.

      »Komm herein.« Sie schwang sich auf ihrem Drehstuhl zur Tür herum und erstarrte. Hinter Ou’mar stand der Jüngling mit hungrigen Augen.

      »Was will er hier?« Sie legte die Arme um sich und sah fassungslos zu Ou’mar. So etwas hatte es noch nie gegeben. Das verstieß gegen alle Regeln, die sie zusammen aufgestellt hatten.

      Der machte eine beschwichtigende Geste, trat dann in die Garderobe und bot dem Jungen einen Platz auf dem Sofa an. Er selber lehnte sich neben Mia an den schmalen Tisch vor dem Schminkspiegel.

      »Das ist Zidat, Mia. Ich würde ihn gerne in unseren Kreis aufnehmen.«

      »Warum?« Sie runzelte die Stirn. Sah Zidat ins Gesicht, musterte ihn kurz, flüchtete dann aber vor seinen Augen, seinem Blick, der noch immer hungrig auf ihr lag, und starrte stattdessen Ou’mar an. »Wozu soll das gut sein?«

      »Ich würde ihn gerne als deinen Spieler dabei haben. Er scheint deinen Körper sehr gut zu verstehen – hast du es denn nicht selber gemerkt?«

      Mia schwieg. Ou’mar sah zwischen den beiden hin und her. »Mia, was hast du für Widerstände? Hat er dich schlecht behandelt?«

      Sie schüttelte den Kopf. Nein, das hatte er nicht, sie konnte nicht klagen. Ou’mar hätte es eh sofort gehört und ihn von ihr fortgezogen. Ou’mar beugte sich zu Mia hinunter.

      »Versuche es doch mit ihm. Nur ein weiteres Konzert. Wenn du ihn dann wirklich nicht mehr sehen willst, gut, dann lassen wir ihn gehen. Deal?«

      Ou’mar strich ihr väterlich über den Scheitel. Ich achte auf dich, hieß das. Mia kannte seine Sprache. Und sie spürte auch die Bitte, die seiner Geste innewohnte.

      Sie lehnte sich leicht an ihn. »Nur ein Konzert. Wenn er denn überhaupt will. Hast du ihn schon gefragt?«

      »Es wäre mir eine große Ehre, Fräulein Mia.« Zidats Zunge stolperte über die Worte, die er hastig hervorstieß. »Heute Abend ist ein Traum von mir in Erfüllung gegangen.« Wieder dieses entrückte Grinsen wie zuvor auf der Bühne. »Ich werde Sie beide nicht enttäuschen!«

      Ou’mar schmunzelte. »Es gibt kein Falsch oder Richtig in der Körpermusik. Da gibt es nur Improvisationen, Interpretationen. Geschichten, die unter der Haut liegen und gehört werden wollen.« Er schlug die Arme übereinander und verfiel ins Dozieren. Zidat hing an seinen Lippen, sah dabei zwischendurch immer wieder zu Mia, als ob er es noch nicht fassen konnte, sie noch ein Mal berühren zu dürfen.

      Mia war auf einmal todmüde. Erschöpft, ausgelaugt. Entschieden stand sie auf und scheuchte die Männer aus der Garderobe.

      »Bitte