Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE


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du zu deiner Verteidigung zu sagen?«

      Spex sah Katja tief in die Augen. »Ich liebe dich.«

      »Sag nicht so etwas, Spex. Das ergibt hier keinen Sinn!«

      »Ist aber so.« Die KI bockte.

      »Dann zeig es mir auch!« Katja bockte ebenso. »Nacht, Spex. Bis morgen.«

      Als Katja aus der Leitwarte gestürmt war, flackerte ihr Bild auf dem Hauptmonitor auf. Spex trug ein paar Daten in ihr Dossier ein und ließ erneut ein Analyseprogramm durchlaufen. Danach machte er sich einen Vermerk in ihrer Akte und erlosch.

      Katja hingegen lag noch lange wach. »Ich liebe dich!«, hatte Spex gesagt. Nicht nur einmal. Eigentlich jeden Tag, seitdem er es zum ersten Mal ausgesprochen hatte. Am Anfang hatte sie ihm bedingungslos geglaubt, aber heute schlichen sich zum ersten Mal Zweifel in ihr Herz. Wusste er überhaupt, was er da sagte? War er wirklich soweit, dass er wusste, was Liebe war? Konnte eine Maschine das überhaupt begreifen?

      Denn das war er. Eine Maschine. Das war ihr heute Abend nur zu deutlich geworden, als sie bei Evgenij auf der Leiter gestanden hatte. Überhaupt: Evgenij. Ein bisschen viel Evgenij in letzter Zeit, nicht wahr, Spex?

      Irgendwann schlief sie darüber ein. Doch der Schlaf war unruhig, die Träume waberten in Fetzen gerissen durch ihr Hirn. Doch als sie aufwachte, wusste sie, was sie zu tun hatte.

      V

      »Guten Morgen, kochanyj.« Katja kam in die Leitzentrale, als wäre alles wie immer, als hätte es den gestrigen Abend nicht gegeben.

      »Guten Morgen, Liebste.« Auch Spex schien aufgeräumter zu sein als am Abend zuvor. »Die Schadensprotokolle liegen bereit. Aber willst du vielleicht einen Tee vorweg?«

      »Danke, ich hatte schon. Gehen wir die Listen durch.« Katja arbeitete sich so ruhig und gründlich durch die Schadensprotokolle wie immer, nur hin und wieder stellte sie eine Frage an Spex, machte sich ihren Plan und stützte schließlich das Kinn in die Handfläche.

      »Wie wär’s, kochanyj, sollen wir heute mal deine Systeme überprüfen? Ich glaube, da hat sich einiges angesammelt, was du nicht mehr brauchst, oder?«

      »Ich lösche doch alle irrelevanten Daten. Und das täglich.« Spex klang irritiert.

      »Dann lass mich einfach deine Speicher überprüfen. Vielleicht kann ich dir auch einen Zugang zur Cloud ermöglichen, wäre das nicht shiny? Und wenn wir die automatisierten Prozesse neu organisieren, kann ich dir noch mehr Spielraum verschaffen. Das hatte ich sowieso schon seit Längerem vor. Was meinst du?«

      Spex lächelte. »Das würdest du für mich tun?«

      »Aber immer doch. Du weißt doch: Ich liebe dich!« Katja erhob sich, zwinkerte ihm zu und ging auf ihre Runde.

      Am frühen Nachmittag kam sie zurück und setzte sich an die Arbeit. Spex gewährte ihr den Zutritt zu seinem System. Sie verschob Datenpakete, löschte alte Bits und Bytes, die sich tatsächlich in den Ecken und Winkeln des Systems festgesetzt hatten, Daten, die Spex schlichtweg nur deshalb noch nicht gelöscht hatte, weil er nicht wusste, was er damit anfangen sollte und der Meinung war, dass man sie noch gebrauchen könnte – irgendwann einmal. Sie schuf einen Zugang zur Cloud und war dabei doch nur auf der Suche. Bald schon wurde sie fündig. Da gab es ein umfangreiches Dossier über Evgenij, das an diesem Vormittag erst ein umfassendes Update erfahren hatte.

      »Wo soll ich diesen Ordner ablegen?«

      »Lass ihn einfach da, wo er ist.«

      »Okay. Kann ich mal reinschauen?«

      »Wie du möchtest.« Spex klang neutral.

      Katja begann, sich durch die Datenmengen zu kämpfen. Sie tat es nicht, um Evgenij besser kennenzulernen, sie suchte vielmehr nach einem bestimmten Hinweis, einen Querverweis nur, nur einen Deeplink. Irgendwann fand sie, das was sie suchte. Spex hatte ihn scheinbar übersehen. Mit klopfendem Herzen klickte Katja den Link an.

      Mit großen Augen sah sie ihr eigenes Konterfei auf dem Hauptbildschirm auftauchen. Ihr Dossier. Eine größere Datenmenge noch als die von Evgenij, über das ganze System verteilt. Sie klickte die letzten Visos an. Das war sie selbst, Dampf umwölkt in der Dusche, unter der sie sich regelmäßig verbrühte. Katja schluckte. Sie wusste, dass sie damit ihren Körper zum Schweigen brachte, ihren Körper, den Verräter. Der, der sich immer noch nach Berührungen sehnte, nach echten Berührungen und nicht dem Knistern eines elektrischen Fluidums auf ihrer Haut. Sie brach das laufende Viso ab.

      »Spex?«

      »Ja, Liebste?«

      Katja schüttelte den Kopf, stand auf und ging. Etwas war in ihr zerbrochen, als sie das Dossier mit den intimen Visos gesehen hatte. Ganz leise, ganz still. Sie wusste nicht, wohin mit sich. Schließlich fand sie sich im Automatencafé wieder, wo sie vor einem Becher Kaffee saß, der bitter schmeckte und schnell abkühlte. Als es Abend wurde und das Café sich geleert hatte, saß Katja noch immer an ihrem Tisch, den inzwischen leeren Becher vor sich.

      Da ging mit einem Mal die Tür auf und Evgenij stand auf der Schwelle, in der Hand ein paar Briefumschläge. »Katja Worobjowa?« Sein Blick streifte das leere Café und blieb an ihr hängen. Er lächelte. »Katja? Bist du das?« Er kam näher und hielt ihr die Umschläge entgegen. »Die haben sich in mein Postfach verirrt und die Wartungseinheit hat mir das Café als deinen Aufenthaltsort genannt.«

      Katja streckte die Hand nach den Briefen aus. »Hat sie das also.« Sie warf einen Blick zu den allgegenwärtigen Rauchmeldern an der Decke. Ein rotes Glühen verriet ihr, dass Spex sie beobachtete.

      Katja konzentrierte sich wieder auf Evgenij. »Danke für die hier.« Dann sah sie die Briefe durch. Ihre Lohnabrechnung. Zwei Versicherungen. Und ein E-Post-Brief ohne Adressaten. Ungeduldig riss sie ihn auf. Ein Zettel fiel heraus.

      »Ab jetzt müsst ihr selber zurechtkommen.«

      Katja sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, stellte sich unter den nächsten Rauchmelder und hielt die Nachricht hoch. »Was soll das, Spex? Was denkst du dir dabei? Bist du jetzt völlig durchgedreht?« Sie zerriss den Zettel in viele kleine Fetzen und warf sie in die Luft. »Wenn du mich nicht mehr willst, dann sag es mir einfach, aber verkupple mich nicht wie einen deiner anderen Bewohner. Ich dachte, ich sei mehr für dich. Du kannst mich mal, kochanyj!« Damit stürmte sie aus dem Café.

      Evgenij sah ihr nachdenklich hinterher, sammelte die zurückgelassenen Briefe ein und verließ das Café ebenfalls.

      VI

      Spex rief Katjas Dossier auf, trug die letzten Daten ein und ließ das Analyseprogramm laufen. Als er das Ergebnis las, überprüfte er es noch einmal. Das Ergebnis blieb gleich. Spex wusste nun, was er zu tun hatte. Eine letzte lange Nacht sah er seinen Bewohnern beim Leben zu. Er lauschte diversen Ehekrächen, sah, wie die Jerschowa sich zum Soronkin schlich. Er sah, wie Kinder ins Bett gebracht wurden, hörte die Lieder, mit denen sie in den Schlaf gesungen wurden. Er sah, wie die Arbeiter der Spätschicht heimkehrten, wie sie sich müde vor den Fernseher hockten. Er sah Männer, die vor dem Rechner in Zellstofftücher masturbierten, und Frauen, die beim Lesen einschliefen. Er sah viele, die alleine waren, er sah viele, die miteinander glücklich waren, und er wusste, dass er kein Mensch war.

      Und er sah Katja, wie sie spät in der Nacht heimkehrte. Er sah, wie sie in den Lift stieg und zu ihrer Wohnung hochfuhr. Er sah Evgenij, der im Schneidersitz vor ihrer Tür saß, die vergessenen Briefe im Schoß, in den Ohren die unvermeidlichen In-Ear-Kopfhörer, ohne die die Menschen anscheinend nicht mehr auskamen. Er sah, wie Katja sich nach einem Moment des Zögerns neben ihn setzte und die Beine anzog, bis sie ihr Kinn auf ihre Knie stützen konnte. Er wartete solange, bis Evgenij einen Arm um Katjas schmale Schultern legte. Er sah, wie sie zurückzuckte. Er sah aber auch, wie sie einen Moment später nachgab und sich an Evgenij lehnte.

      Dann fing er an, systematisch alles zu löschen, was er