Heike M. Major

Tambara und das Geheimnis von Kreta


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      Zunächst lief alles glatt. Die Straße war gut ausgebaut, und sie kamen zügig voran. Die Karte war äußerst exakt und zeigte ihnen jeden Weg, jede Abzweigung und jede Kreuzung genau an. Doch nach ungefähr drei Kilometern fing der Wagen plötzlich an zu stottern.

      „Ohooooo, du wirst uns doch jetzt nicht im Stich lassen“, flötete Mortues.

      „Bist du sicher, dass du alles richtig gemacht hast?“, fragte Reb.

      „Absolut, aber das Gefährt scheint keine Lust mehr zu haben.“

      Wieder stotterte der Motor.

      „Kommt, lasst uns nach Hause fahren“, bat Botoja.

      Sie begann die Hitze in ihrem Körper zu spüren. Die anderen murrten zwar ein wenig, stimmten aber zu. Die Vorstellung, stundenlang im offenen Fahrzeug auf Hilfe warten zu müssen, ließ sie schnell einig werden. Enttäuscht kehrten sie um. Doch kaum waren sie auf dem Heimweg, da lief der Wagen wie geschmiert. Auch als Mortues die Geschwindigkeit erhöhte, gehorchte der Jeep ihm aufs Wort.

      „Wie seltsam“, wunderte er sich.

      Sie waren schon eine Weile gefahren, als Mortues plötzlich den Fuß vom Gaspedal nahm und den Wagen ausrollen ließ. Das Fahrzeug kam am Rande der Straße zum Stehen. Fragend blickte er in die Runde.

      „Sollten wir nicht vielleicht doch …?“

      „Mit diesem unsicheren Gefährt?“, protestierte Botoja. „Das meinst du doch nicht wirklich, oder?“

      „Na ja, Zuverlässigkeit ist etwas anderes“, bestätigte Reb ihre Zweifel.

      Auch Soul, die sonst meist die Erste war, wenn es darum ging, Neuland zu erkunden, zögerte. Nachdenklich lauschte sie dem gleichmäßigen Brummen des Motors.

      Doch Mortues war nicht gewillt, seine, wie er fand, recht brauchbare Idee so schnell fallen zu lassen.

      „Also jetzt wollen wir doch mal sehen“, entrüstete er sich, wendete den Wagen ein weiteres Mal, trat aufs Gaspedal und brauste in Richtung Schlucht davon.

      Eine Zeit lang ging alles gut. Die jungen Leute betrachteten skeptisch die Landschaft. Struppiges Buschwerk machte sich neben der Fahrbahn breit, üppige Olivenbäume, grobe Wiesen, die man sicher auch mit festem Schuhwerk nur ungern hätte betreten wollen, ab und zu eine Bambusreihe, nichts Ungewöhnliches. Sie waren vielleicht einen Kilometer weiter gefahren als beim ersten Mal, da stotterte der Motor aufs Neue. Der Jeep wurde langsamer, zuckelte nur noch und blieb schließlich ganz stehen.

      „Na, Prost Mahlzeit“, kommentierte Botoja den erneuten Stopp.

      Mortues versuchte, das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen. Der Motor heulte auf, ging aber sofort wieder aus. Nach mehreren Startversuchen röhrte die Maschine nur noch und verstummte schließlich ganz. Die Freunde überlegten, wen sie zu Hilfe rufen könnten. Reb wollte schon in sein Technikband sprechen, da legte Soul ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn entschlossen hinunter.

      „Ach, würde dieses verdammte Ding doch endlich anspringen“, sagte sie laut und deutlich. „Mortues, versprich mir, wenn wir diesen blöden Kasten wieder in Gang kriegen, fahren wir auf der Stelle nach Hause.“

      Natürlich pflichtete der Freund ihr bei. Wer wollte schon in einem unzuverlässigen Jeep durch die Wildnis brettern. Erneut drehte er den Zündschlüssel, aber der Motor gab keinen Ton von sich.

      Für einen Moment saßen die jungen Leute ratlos im Wagen. Die Sonne hatte an Kraft gewonnen und ließ die Hitze unerträglich werden. Die Blätter der umstehenden Bäume flimmerten in dem gleißenden Licht, ihr Rascheln erinnerte an das Flüstern menschlicher Stimmen. Ganz in der Nähe war das Zirpen der Zikaden zu hören, die mit ihrem Gesang die Weibchen anlockten. Soul hatte einmal gelesen, dass die Insekten diesen eindringlichen Ton mithilfe einer trommelfellartig ausgespannten Hautplatte an der Unterseite ihres Hinterleibes erzeugten. Durch Muskelkraft würden diese kleinen Schallmembranen in schnelle Schwingungen versetzt. In dem Artikel1 verglich der Autor dieses Phänomen mit einer Blechdose, deren Deckel eingedrückt wurde und mit einem lauten Klick-Ton zurückschnellte.

      Mortues unterbrach ihre Gedanken.

      „So, mein guter Junge“, betörte er den Wagen, „nun bring uns bitte schnell nach Hause.“

      Beherzt ergriff er den Autoschlüssel und drehte ihn entschlossen nach rechts. Der Jeep röhrte, ratterte, knatterte … und sprang an.

      Sie wendeten den Wagen und fuhren zurück. Wieder lief der Motor wie geschmiert. Schweigend saßen die Freunde im Auto. Während der Fahrtwind ihre erhitzten Gemüter kühlte, dachte Soul nach über einen Jeep, der seinen eigenen Willen zu haben schien und sich ihren Anweisungen konsequent widersetzte.

      1 Schäfer, Horst: Die Natur Griechenlands – Die auffälligsten Insekten und Reptilien, Verlag der Griechenland Zeitung, Athen 2017

       12

      Ihre Rechnung ging nicht auf. Sie hatten gehofft, viele gemeinsame Stunden miteinander zu verbringen, doch jeder von ihnen hatte einen Auftrag der Stadt Tambara im Gepäck und es waren ernsthafte Studien, die auf ihre Bearbeitung warteten. Sie mussten das Material besorgen, vor Ort die Arbeiten verfolgen, Einheimische interviewen, brauchbare Fotos aufnehmen und im Hotelzimmer vor der Spiegelwand ihre Eindrücke sammeln, vergleichen, ordnen und katalogisieren.

      Reb war fast den ganzen Tag auf den Feldern, begutachtete die neuen Anpflanzungen oder begleitete die Architekten bei der Besichtigung von Dörfern, die als neue Heimat für die umzugswilligen Städter infrage kamen. Er hatte noch keine Ahnung, wie er die Serie aufziehen sollte. Das Ganze gestaltete sich doch komplizierter, als er gedacht hatte.

      Mortues wusste gar nicht, wo er anfangen sollte. Anscheinend gab es keine kranken Leute auf der Insel. Jedenfalls bekam er, wenn er jemanden fragte, was sie im Falle einer schwerwiegenden Erkrankung machen würden, immer die gleiche Antwort: „Aufs Festland fahren, in ein modernes Krankenhaus.“

      Botoja hingegen hatte es leichter. Sie fand überall Motive, scannte sie mit ihrem Technikarmband ein, um dann an der Spiegelwand im Hotelzimmer Häuser, Bäume, Tiere und Trachten tragende Menschen in stark vereinfachtes Kunststoffspielzeug umzuwandeln. Manchmal tönte ein „Entzückend!“ oder „Ach, wie niedlich!“ aus ihrem Zimmer. Dann wussten die Freunde, sie hatte ein brauchbares Objekt erschaffen.

      Soul war an einem toten Punkt angelangt. Sie hatte das ihr zur Verfügung gestellte Archivmaterial akribisch durchforstet, doch irgendwie hörten sich die gesichteten Musikstücke trotz der fremden Sprache alle sehr ähnlich an. Fast alle griffen auf die typischen Merkmale der modernen Massenmusik zurück: einfache Melodien, Dur-Tonleitern, eine Aneinanderreihung von Terzen von unten nach oben gespielt (stimmten fröhlich und machten wach), Texte, die zu Herzen gingen, und natürlich die Wiederholung von Silben, die aus nur zwei Buchstaben bestanden und schon beim ersten Hören mitgesungen werden konnten. Um wirklich alte Musik schien es sich hier nicht zu handeln. Die Einheimischen waren seltsam nachlässig gewesen bei der Archivierung ihres musikalischen Erbes. Wenn sie bedachte, wie sorgfältig sie mit ihren architektonischen Schätzen umgegangen waren, konnte sie daraus nur schließen, dass es sich bei diesen Stücken nicht um wirklich wertvolles Material handelte. Wurde sie hier zum Narren gehalten?

      Zu allem Überfluss neigte sich der Frühling dem Ende zu. Die Temperaturen stiegen beständig, und auch wenn das Quecksilber in dem alten Röhrchen neben dem Hoteleingang noch nicht in den Bereich Sommer geklettert war, musste Soul erstaunt feststellen, dass ihr (an wohltemperierte Großstadträume gewöhnter) Körper diesen Temperaturen nicht wirklich gewachsen war. Ihr Kreislauf quälte sich bei jeder Bewegung wie eine Dampfmaschine, und die altertümlichen Klimaanlagen in den Hotelzimmern pusteten nur kalte Luft in den Raum und ließen ihren von Schweiß bedeckten Körper trotz Hitze unangenehm frösteln. Soul fragte sich, wie die Urlauber von damals diese Tortur hatten aushalten können. Erzählungen der Einheimischen zufolge war es ihre einzige oder zumindest bevorzugte Bestimmung gewesen, den ganzen Tag in der Sonne zu liegen und braun zu werden. Ein Phänomen, welches Soul Denkfalten auf die