denn laß et man, wie et is. (Die Tür wird geöffnet, und Selma Knobbe schiebt einen elenden Kinderwagen herein, der im traurigsten Gegensatz zu dem der Frau John steht; darin liegt, in jämmerlichsten Lumpen, ebenfalls ein Säugling.) Nee nee, Selma, mit det kranke Kind bei uns in de Stube rieber, det jing woll vordem, nu jeht det nich.
SELMA.
Et keucht so ville mit sein Husten. Drieben bei uns wird zu ville jeroocht, Frau John.
FRAU JOHN.
Ick ha dir jesacht, Selma, du kannst immer komm, ma Milch un ma Brot holen. Aber wo hier mein Adelbertchen womeechlich mit Auszehrung oder derjleichen anfliejen dut, laß du det arme Wurm drieben bei seine feine Mama drieben.
SELMA
(weinerlich). Mutter is jestern und heut nich zu Hause jekomm. Ick kann nachts nich schlafen mit det Kind. Helfjottchen quarrt de janze Nacht ieber. Ick muß doch ma schlafen. Ick spring’ zum Fenster raus, oder ick lass’ Helfjottchen mitten uff de Straße und nehme Reißaus, det mir keen Polizist nich mehr finden kann.
JOHN
(betrachtet das fremde Kind). Sieht beese aus! Mutter, nimm dich ma mit det Häufchen Unglick ’n bißken an.
FRAU JOHN
(resolut, drängt Selma mit dem Kinderwagen hinaus). Marsch, fort aus der Stube! Det jeht nich, Paul. Wer eejnet hat, kann sich mit fremde nich abjeben. Soll de Knobben sehn, wo se bleiben dut. Wat anders is Selma! Du kannst immer rieberkomm. Du kannst dir hier ooch hernach ’n bißken uffs Ohr leejen.
[42](Selma mit dem Kinderwagen ab. Frau John verschließt die Tür hinter ihr.)
JOHN.
Hast dir doch frieher mit die Knobbeschen Rotznäsen immer bekümmert!
FRAU JOHN.
Det vastehste nich. Det sich Adelbertchen womeechlich mit schlimme Oochen un Krämpfe von een andret anstecken dut.
JOHN.
Det mag sind. Bloß nenn ihm nich Adelbertchen, Mutter. Det dut nich jut, ’n Kind ’n selbichten Namen zu jeben wie een andret, det mit acht Dache, unjedooft, mit Dot abjejang’n is. Det laß man! davor ha ick Manschetten, Mutter.
(Es wird an die Tür geklopft. John will öffnen.)
FRAU JOHN.
Wat denn?
JOHN.
Na, Jette, ’t will eener rin.
FRAU JOHN
(dreht hastig den Schlüssel herum). Ick wer mir woll, wo ick marode bin, von alle Welt ieberloofen lassen. (Sie horcht und ruft dann.) Ick kann nich uffmachen: wat wollen Se denn?
EINE FRAUENSTIMME
(aber tief und männlich). Ich bin Frau Direktor Hassenreuter.
FRAU JOHN
(überrascht). Ach Jott nee! (Sie öffnet die Tür.) Nehm Se’t nich iebel, Frau Direkter! Ick ha ja nich ma jewußt, wer’t is.
(Frau Direktor Hassenreuter ist nun, gefolgt von Walburga, eingetreten. Sie ist eine kolossale, asthmatische Dame, älter als fünfzig. Walburga ist ein wenig unscheinbarer gekleidet als im ersten Akt. Sie trägt ein ziemlich umfangreiches Paket.)
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
Guten Tag, Frau John! Ich wollte doch nun – obgleich mir das Treppensteigen [43]schwer wird … wollte doch nun mal sehen, wie’s nach dem frohen Ereignis … ja … Ereignis mit Ihnen beschaffen ist.
FRAU JOHN.
Et jeht mir, Jott sei Dank, wieder so hallweeje, Frau Direkter.
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
– Das ist doch wahrscheinlich Ihr Mann, Frau John? Das muß man sagen … muß man sagen – daß Ihre liebe Frau – sich in der langen Wartezeit niemals beklagt und immer … immer fröhlich und guter Dinge – ihre Arbeit oben bei meinem Mann im Theatermagazin verrichtet hat.
JOHN.
Det is ooch. Se hat ihr mächtig jefreit, Frau Direkter.
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
Nun, da wird man wohl auch … da wird Ihre Frau wohl die Freude haben – Sie öfters … öfters als wie bisher – zu Hause zu sehn.
FRAU JOHN.
Ick ha’n juten Mann, Frau Direkter, wo sorjen dut und solide is. Und deshalb, weil Paul auswärts uff Arbeet jeht, denn hat er mir längst nich sitzen lassen. Aber for so’n Mann, wo’n Bruder schon ’n Jungen von zwölf in de Unteroffiziersschule hat … det is ooch keen Leben, ohne Kinder! denn kricht er Jedanken! denn macht er in Hamburg scheenet Jeld! denn is alle Dache Jelejenheet, un denn will er fort nach Amerika auswandern.
JOHN.
I, Jette, det war ja man bloß so’n Jedanke.
FRAU JOHN.
Sehn Se, det is mit uns kleene Leite … det is’n sauer verdientes Durchkommen, wo unsereens hat, aber jedennoch … (Sie fährt John schnell mit der Hand durchs Haar.) Wenn ooch eener mehr is un Sorjen mehr sin – [44]sehn Se, det Wasser läuft ihm de Backen runter! – denn freut er sich.
JOHN.
Det is, wir haben schon vor drei Jahre ’n Jungchen jehabt, und det is mit acht Dache einjejang.
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
Das hat mir mein Mann … mein Mann bereits … hat mir mein Mann bereits gesagt – wie sehr Sie sich – um den Sohn gegrämt haben. Sie wissen ja … wissen ja, wie mein braver Mann – Aug’ und Herz … Herz und Auge für alles hat. Und wenn es sich gar … gar um Leute handelt – die um ihn sind und ihm Dienste leisten – da ist alles Gute … und Schlimme … alles Gute und Schlimme … was ihnen zustößt …zustößt, so, als wär’ es ihm selbst passiert.
FRAU JOHN
(klopft John auf die Schulter). Ick seh’ ihm noch, wie er mit det kleene Kindersärjiken uff beede Knie dazumal in Kinderleichenwachen jesessen hat. Det durfte d’r Dotenjräber nich anriehren.
JOHN
(wischt sich Wasser aus den Augen). Det war ooch so. Det jing ooch nich.
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
Denken Sie … denken Sie, heute mittag bei Tisch – mußten wir … mußten wir plötzlich Wein trinken. Wein! wo Leitungswasser in den letzten Jahren … Karaffen mit Leitungswasser – unser einziges … einziges Getränk bei Tische ist. Liebe Kinder, sagte mein Mann. – Er ist, wie Sie wissen, elf oder zwölf Tage in den Elsaß verreist gewesen! … Also ich trinke, sagte mein Mann, auf meine gute, brave Frau John, weil … rief er mit seiner schönen Stimme! … weil sie sichtbares Zeichen dafür ist, daß unserem Herrgott … Herrgott der Schrei eines Mutterherzens nicht gleichgültig ist. – Und da haben wir auf Sie [45]angestoßen! – So! – Und nun bringe ich … bringe ich Ihnen hier im ganz besonderen … ganz besonderen Auftrage meines Mannes einen sogenannten Soxhlet-Kinder-Milchapparat. – Walburga, du magst den Kessel mal auspacken.
(Direktor Hassenreuter tritt ohne Umstände durch die nur angelehnte Flurtür herein. Er trägt Zylinder, Sommerpaletot, Handschuhe, spanisches Rohr mit Silbergriff, im ganzen die etwas abgeschabte Garnitur des Wochentags. Er spricht hastig und fast ohne Pausen.)
DIREKTOR HASSENREUTER
(sich den Schweiß von der Stirn wischend). Heiß! Berlin macht heiß, meine Herrschaften! In Petersburg ist die Cholera! Sie haben meinen Schülern Spitta und Käferstein gegenüber geklagt, daß Ihr Kindchen nicht zunehmen will, Frau John. Eigentlich ist es ja ein Verfallssymptom unserer Zeit, daß die meisten Mütter ihre Kinder selber zu nähren nicht mehr fähig oder nicht willens sind. Sie haben schon einmal einen Jungen am Brechdurchfall eingebüßt, Mutter John. Hilft alles nichts: wir müssen hier deutsch reden! Damit Sie nun diesmal nicht wieder Pech haben und nicht etwa