Gerhart Hauptmann

Die Ratten


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Frau auf meine Veranlassung diesen Milchkochapparat mitgebracht. Ich habe damit meine ganze kleine Gesellschaft, auch die Walburga, großgezogen … Sapristi! da sieht man ja auch mal wieder den Herrn John! Bravo! der Kaiser braucht Soldaten! und Sie hatten einen Stammhalter nötig, Herr John! Gratuliere Ihnen von ganzem Herzen. (Er schüttelt John kräftig die Hand.)

      [46]FRAU DIREKTOR HASSENREUTER

      (am Kinderwagen). Wieviel … wieviel hat es gewogen bei der Geburt?

      FRAU JOHN.

      Et hat jenau acht Pfund und zehn Jramm jewogen.

      DIREKTOR HASSENREUTER

      (jovial, laut und lärmig). Ha ha ha, strammes Produkt! Acht Pfund zehn Gramm frisches deutschnationales Menschenfleisch.

      FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.

      Die Augen! das Näschen! der ganze Vater! – Das Kerlchen ist Ihnen wirklich … wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten, Herr John.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Sie werden den Bengel doch hoffentlich in die Gemeinschaft der christlichen Kirche aufnehmen lassen.

      FRAU JOHN

      (glücklich und gewichtig). Det wird richtig in de Parochialkirche, richtig am Taufstein, richtig von Jeistlichen wird et jetauft.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Sessa! Und welche sind seine Taufnamen?

      FRAU JOHN.

      Det hat natierlich, wie Männer nu eemal sind, ’n langet Jerede abjesetzt. Ick dachte: Bruno! Det will er nich.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Aber Bruno ist doch kein übler Name.

      JOHN.

      Det mag immer sind, det Bruno weiter keen iebler Name is. Da will ick mir weiter drieber nich ausdricken.

      FRAU JOHN.

      Wat sachste nich, det ick’n Bruder habe, wo Bruno heeßt und wo zwölf Jahre jinger is: und jeht manchmal’n bißken uff leichte Weje. Det is bloß de Verführung! Der Junge is jut! Det jloobste nich!

      [47]JOHN

      (bekommt einen roten Kopf). Jette … du weeßt, wat det mit Brunon for’n Kreuz jewesen is! – Wat wiste?! Soll unser Jungeken so’n Patron kriejen? – Et is’n Patron! Aber eener, ick kann et nich ändern … eener, wo unter polizeiliche Uffsicht is.

      DIREKTOR HASSENREUTER

      (lachend). Um’s Himmels willen, dann suchen Sie ihm einen anderen Patron!

      JOHN.

      Jott soll mir bewahren … ick ha mir bei Brunon anjenommen, in de Maschinschlosserei Stellung verschafft, nischt davon jehat als Ärjer un Schande! Jott soll bewahren, det er womeechlich kommt un mein Jungeken anfassen dut! (Er krampft die Faust.) Denn, Jette … denn kennt’ ick nich for mir jutsachen.

      FRAU JOHN.

      Immerzu doch, Paul. Bruno kommt ja nich! – Soviel kann ick dir aber jewißlich sachen, det mein Bruder mich in die schweren Stunden redlich bei Seite jewesen is.

      JOHN.

      Warum haste mir nich lassen kommen, Jette?

      FRAU JOHN.

      So’n Mann, wo Angst hat, mocht’ ick nich.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Sind Sie nicht Bismarckverehrer, John?

      JOHN

      (kratzt sich hinter den Ohren). Det kann ick nu so jenau nich sachen: aber, wat meine Jenossen in’t Mauerjewerbe sind, die sind et nich.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Dann habt ihr kein deutsches Herz im Leibe! Ich habe meinen ältesten Sohn, der bei der Kaiserlichen Marine ist, Otto genannt! Und glauben Sie mir, – (er weist auf das Kindchen) – diese neue künftige Generation wird wissen, was sie dem Schmiede der deutschen Einheit, dem gewaltigen Heros schuldig ist. (Er nimmt den Blechkessel des Milchapparates, den [48]Walburga ausgepackt hat, in die Hände und hebt ihn hoch.) Also, die ganze Geschichte mit diesem Milchapparat ist kinderleicht: das ganze Gestell mit sämtlichen Flaschen – jede Flasche zunächst ein Drittel mit Milch und zwei Drittel mit Wasser gefüllt! – wird in diesen Kessel mit kochendem Wasser gestellt. Auf diese Weise, wenn man das Wasser im Kessel anderthalb Stunden lang auf dem Siedegrade hält, wird der Inhalt der Flaschen keimfrei gemacht: die Chemiker nennen das sterilisieren.

      JOHN.

      Jette, bei de Frau Mauermeester ihre Milch, womit sie die Zwillinge uffziehen dut, wird et ooch sterilililililisiert.

      (Die Schüler des Direktors Hassenreuter, Käferstein und Dr. Kegel, zwei junge Leute im Alter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig, haben angeklopft und die Tür geöffnet.)

      DIREKTOR HASSENREUTER

      (der seine Schüler bemerkt hat). Geduld, meine Herren, ich komme gleich. Ich arbeite hier einstweilen noch im Fache der Säuglingsernährung und Kinderfürsorge.

      KÄFERSTEIN

      (ausgesprochener Kopf, große Nase, bleich, ernster Gesichtsausdruck, bartlos, einen immer schalkhaften Zug um den Mund. Mit Grabesstimme, weich, zurückhaltend.) Wir sind nämlich die drei Könige aus dem Morgenlande.

      DIREKTOR HASSENREUTER

      (der noch immer den Milchkochapparat hoch in den Händen hält). Was sind Sie?

      KÄFERSTEIN

      (wie vorher). Wir wollen das Kindelein grüßen.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Ha ha ha ha! Wenn Sie [49]schon Könige aus dem Morgenlande sind, meine Herren, dann fehlt doch, soweit ich sehn kann, der dritte.

      KÄFERSTEIN.

      Der dritte ist unser neuer Mitschüler auf dem Felde dramaturgischer Tätigkeit, Kandidat der Theologie Erich Spitta, der durch einen gesellschaftspsychologischen Zwischenfall einstweilen noch Ecke Blumen- und Wallnertheater-Straße festgehalten ist.

      DR. KEGEL.

      Wir machten uns eiligst aus dem Staube.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Sehen Sie, es steht ein Stern über Ihrem Hause, Frau John! – Aber sagen Sie mal, hat sich etwa unser braver Kurpfuscher Spitta wieder mal öffentlich an die Heilung sogenannter sozialer Schäden gemacht? Ha ha ha ha! Semper idem! das ist ja ein wahres Kreuz mit dem Menschen.

      KÄFERSTEIN.

      Es war ein Auflauf, und da hat er wohl, wie es scheint, in der Volksmenge eine Freundin wiedererkannt.

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Meiner unmaßgeblichen Meinung nach würde der junge Spitta viel besser zum Sanitätsgehilfen oder zum Heilsarmeeoffizier geeignet sein. Aber so ist es; der Mensch wird Schauspieler.

      FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.

      Der Lehrer der Kinder, Herr Spitta, wird Schauspieler?

      DIREKTOR HASSENREUTER.

      Wenn du erlaubst, Mama, hat er mir die Eröffnung gemacht. – Aber nun, wenn Sie Weihrauch und Myrrhen bringen, packen Sie aus, lieber Käferstein. Sie sehen, Ihr Direktor ist vielseitig. Bald verhelfe ich meinen Schülern, die ihr nach dem Inhalt der Brüste der Musen durstig seid, zu geistiger Nahrung, Nutrimentum spiritus! bald …

      KÄFERSTEIN

      (klappert mit einer Sparkasse). Nun, ich stelle [50]also das Ding, es ist eine feuersichere Sparkasse, hier neben die Equipage des jungen Herrn Maurerpoliers, mit dem Wunsche, daß er es mindestens mal bis zum Regierungsbaumeister bringen möge.

      JOHN

      (hat Schnapsgläschen auf den Tisch gestellt, nimmt und entkorkt eine unangebrochene Likörflasche). Na, nu muß ick det Danziger