Dietrich Bonhoeffer

Du wartest jede Stunde mit mir


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Es wird nicht mehr lange dauern, liebe, liebe Maria! –

      Grüße bitte die Mutter und die Geschwister. Ist es Lütgert, der gefallen ist? Das wird Euch alle sehr betrüben. Bitte grüße seine Frau! – Leb wohl, liebste Maria, Gott behüte uns und die Unseren.

       Dich umarmt Dein Dietrich, der sich von einem Brief auf den anderen freut!

       15. An Karl und Paula Bonhoeffer

      17. August 1943

       Liebe Eltern!

      Beiliegend schicke ich eine Vollmacht für Rüdiger für den Fall, dass er es doch einrichten kann; Ihr werdet ja inzwischen von ihm gehört haben; natürlich kann ich es verstehen, wenn er wegen einer solchen Sache nicht extra nach Berlin kommen will, besonders im Augenblick und als Vater von 10 Kindern! Aber Ihr werdet ja mit ihm auch über Dr. Wergin gesprochen haben. Die gestrige Stunde mit Euch war wieder unbeschreiblich schön; ich danke Euch sehr, dass Ihr kamt. Ich finde ja, dass besonders Du, lieber Papa, etwas besser aussehen könntest. Wollt Ihr nicht auch mal eine Zeit lang so wie ich um 8 Uhr oder doch um 9 schlafen gehen und außerdem einen gründlichen Nachmittagsschlaf machen? Die viele Arbeit, die magere Ernährung, die gestörten Nächte und zu all dem noch Eure Sorge um mich – das ist eben einfach zu viel. Besonders aus diesem Grunde bekümmert mich die immer weitere Verzögerung der Entscheidung doch sehr. In normaleren Zeiten sind 4 Wochen gar nichts, in diesen unsicheren bombenbedrohten Zeiten ist jeder Tag lang. Da man aber annehmen darf, dass jedem an möglichst rascher Abwicklung gelegen sein muss, hoffe ich im Stillen, dass wir doch noch schneller zum Ziel kommen. Vor allem macht Euch bitte um mich so wenig wie möglich Sorge. Ich halte alles gut aus und bin innerlich ganz ruhig. Und wie gut, dass wir aus früheren Erfahrungen voneinander wissen, dass uns Alarme wirklich gar nicht beunruhigen. Sehr froh bin ich, dass die Gerichte von Dr. Roeder in Berlin bleiben! Ich stelle es mir für Männer in verantwortlichen Positionen jetzt überhaupt nicht sehr angenehm vor, aus Berlin herausgehen zu müssen. Im Übrigen habt wohl Ihr – wie ich auch – Besseres zu tun, als immerfort über mögliche Alarme nachzudenken. Abstand gewinnen von den Vorgängen und Aufregungen des Tages, das lernt man hier in der Zelle fast von selbst.

      Ich vergaß, auf die Geburtstage am 22. und 28. zu sprechen zu kommen. Der Susi, die so oft Mühe mit meinen Paketen gehabt hat, würde ich gern eine Freude machen; aber das Einzige, was mir einfällt, ist eine letzte Flasche Süßwein, die ich habe und ihr gern schenken möchte. Schleichers würden sich wohl über die einbändige, in dickem hellbraunem Leder gebundene neue Bibel, die im Luftschutzkeller steht, freuen; bitte legt sie auf den Geburtstagstisch, und sagt beiden, dass ich mit vielen herzlichen guten Wünschen an sie denke. Wie gern wäre ich dabei! Aber die Geduldsprobe ist eben noch nicht zu Ende. Wenn man bei diesen kleinen Enttäuschungen, die man immer wieder erlebt, nur die großen Maßstäbe nicht aus den Augen verliert, erkennt man schnell, wie geringfügig die eigenen Entbehrungen sind.

      Nachdem ich in den letzten 14 Tagen des unsicheren täglichen Wartens kaum zur produktiven Arbeit kam, will ich jetzt versuchen, wieder ans Schreiben zu gehen. Ich hatte in den vergangenen Wochen einen Entwurf zu einem Schauspiel versucht, habe aber inzwischen festgestellt, dass der Stoff eigentlich nicht dramatisch ist und werde ihn nun in die erzählende Form umzuarbeiten versuchen. Es geht um das Leben einer Familie. Da mischt sich naturgemäß viel Persönliches ein.

      Ich hätte gern etwas Konzeptpapier und meine Uhr; die andre blieb gestern plötzlich stehen, sie geht nun zwar wieder; aber es ist mir zu riskant, dass ich plötzlich ohne Uhr sitze. Könnt Ihr bitte die „Systematische Philosophie“, herausgegeben von N. Hartmann, Verlag Kohlhammer 1943, für mich kaufen? Ich würde sie gern hier noch durcharbeiten. Sonst darf ich jetzt hier die Personalbibliothek benutzen, in der allerlei Gutes ist, so brauche ich weniger von Euch. Wenn Ihr allerdings von Stifter den „Witiko“ noch auftreibt, wäre es schön.

      Von Schleichers war es neulich wirklich rührend, dass sie mir die Kaninchenleber geschickt haben. So ein richtiges Stück Fleisch ist bei den dauernden Löffelgerichten etwas sehr Willkommenes; auch für Plätzchen, Pfirsiche und Zigaretten danke ich ihnen sehr. Hättet Ihr etwa noch ein bisschen Tee? Ich kann hier gelegentlich kochendes Wasser kriegen.

      Der Tod der drei jungen Pastoren geht mir sehr nah. Ich wäre dankbar, wenn ihren Verwandten irgendwie gesagt werden könnte, dass ich ihnen jetzt nicht schreiben kann; sie würden das sonst nicht verstehen. Die drei haben mir unter meinen Schülern mit am nächsten gestanden. Es ist ein großer persönlicher und kirchlicher Verlust. Von meinen Schülern sind es nun wohl über dreißig, die gefallen sind, und großenteils die Besten.

      K. Friedrich danke ich wieder sehr für seinen Brief; sie sind immer besonders nett. Auch Hans Christoph schrieb sehr nett zu meiner Verlobung; er tut allerdings so, als wäre sie schon veröffentlicht. Vielleicht muss man Onkel Hans sagen, dass das noch nicht der Fall ist. Es gibt hier in der Zelle keine größere Freude als Briefe.

      Ich vergaß ganz, nach Onkel Paul zu fragen. Habt Ihr ihm nach dem Tod seiner Mutter eigentlich meine Teilnahme ausgesprochen? Grüßt ihn doch sehr.

      Nun danke ich Euch noch einmal sehr für alles! Schließlich kommt ja der Tag des Wiedersehens in Freiheit immer näher, und es wird einer der Tage im Leben sein, die man nicht wieder vergisst. Viele Grüße an alle Geschwister und Kinder. Schreibt doch bald wieder! Der nächste Brief geht wieder an Maria.

      Es denkt immer an Euch

       Euer dankbarer Dietrich

       16. An Maria von Wedemeyer

      20. August 1943

       Meine liebste Maria!

      Durch eine gute hilfreiche Idee ist nun, wie Du siehst, die Möglichkeit geschaffen, Dir ohne Absender zu schreiben. Nun sehen für Dich meine Briefe doch äußerlich wenigstens schon so aus, als kämen sie aus der Freiheit. Besser noch wäre es, wenn es mir gelänge, Dir jetzt schon so zu schreiben, dass nur die Dankbarkeit, die Freude, das Glück, Dich zu haben, laut würde und nichts von dem Druck und der Ungeduld dieses langen Zellendaseins mit durchklänge. Aber es wäre nicht ganz echt und das käme mir Dir gegenüber wie ein Unrecht vor. Du musst schon wissen, wie es mir wirklich zumute ist, und mich nicht für einen geborenen Säulenheiligen halten. Ich kann mir übrigens auch nicht vorstellen, dass Du Dich mit einem solchen verheiraten möchtest – und ich würde es nach meinen kirchengeschichtlichen Kenntnissen auch nicht empfehlen. Also, damit Du Dir ein Bild machst: Ich sitze bei 30° mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und offenem Kragen nach eben zum Abendbrot genossener heißer Mehlsuppe am Schreibtisch und denke sehnsüchtig an Dich, möchte mit Dir durch den Wald und ans Wasser fahren, möchte schwimmen und dann mit Dir irgendwo im Schatten liegen und von Dir hören, vieles hören und selbst nichts erzählen. Es sind also, wie Du siehst, sehr irdische und greifbare Wünsche, die ich habe, und es ist dementsprechend ein sehr irdischer und lebhafter Widerwille gegen meinen derzeitigen Zustand, dem ich eine Zeit lang durchaus sein Recht einräume. Die Sonne hat es mir von jeher angetan und mich oft genug daran erinnert, dass der Mensch von der Erde genommen ist und nicht aus Luft und Gedanken besteht. Das ging so weit, dass ich einmal, als ich an Weihnachten nach Kuba kam, um dort zu predigen, und aus dem Eis Nordamerikas in die blühende tropische Vegetation gelangte, fast dem Sonnenkult erlegen wäre und kaum wusste, was ich eigentlich predigen sollte. Es war eine richtige Krise; und etwas davon überfällt mich in jedem Sommer, wenn ich die Sonne zu spüren bekomme. Die Sonne ist für mich nicht eine astronomische Größe, sondern so etwas wie eine lebendige Macht, die ich liebe und auch fürchte. Ich finde es so feige, an diesen Realitäten rationalistisch vorbeizusehen. Verstehst Du das? Und so muss eben die Geduld und die Freude und die Dankbarkeit und die Gelassenheit und die Vergebung sich immer wieder neu gegen allerlei Widerstände durchkämpfen, und dass, wie es im Psalm heißt, „Gott Sonne und Schild ist“, das wirklich zu erkennen und zu erfahren und zu glauben, das ist eine Sache hoher begnadigter Augenblicke, aber keine Alltagsweisheit. Ihr werdet nun übermorgen an Vaters Todestag zusammensein. Ich werde die Nachmittagsstunde nicht vergessen, als mir die Großmutter