Heike Wolpert

Mörderisches Taubertal


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die versuchten, einen Blick auf das Innere des Ladens zu erhaschen. In Windeseile hatte es sich herumgesprochen, dass es beim Mattenzwirn am Schloss einen Schusswechsel gegeben hatte. Von mindestens einem Toten war die Rede.

      Der Notarzt erhob sich und machte dem Kollegen von der Gerichtsmedizin Platz. »Schussverletzung im oberen Bauchraum«, erklärte er, »ein Zeuge hat versucht, ihm zu helfen, wie er sagt. Dabei hat er«, er deutete mit dem Kinn auf den Toten, »leider viel Blut und vor allem Zeit verloren.« Er überließ die Leiche dem Rechtsmediziner und ging ins Hinterzimmer, wo zwei weitere Sanitäter den unter Schock stehenden Zeugen untersucht hatten.

      Matthias Mattenzwirn saß auf einem Hocker. Um seine Schultern lag eine Wärmedecke. Ein Polizeibeamter war bereits dabei, ihn zu vernehmen.

      Flüsternd teilten die Kollegen dem Notarzt mit, dass der Patient stabil sei und auf eine weitere Behandlung verzichten wolle.

      Der junge Uniformierte, der dem ermittelnden Hauptkommissar assistierte, machte sich eifrig Notizen: Zwei Männer, mittelgroß, beide kräftige Statur, Alter unbekannt. Durch Mützen, Sonnenbrillen und, wie der Zeuge behauptete, unechte Bärte war eine nähere Beschreibung nahezu unmöglich.

      »Es ging alles so schnell«, seufzte Matthias Mattenzwirn.

      »Haben die zwei etwas gesagt? Ist Ihnen da vielleicht was aufgefallen? Stimmlage, Dialekt, Sprachfehler?«

      Der Zeuge schüttelte den Kopf. »Geredet hat nur der eine, der mich aufgefordert hat, den Tresor zu öffnen.« Er atmete tief durch. »Er hat mich mit seiner Waffe bedroht, also habe ich mich nicht weiter auf eine Diskussion eingelassen. An seiner Stimme ist mir nichts Außergewöhnliches aufgefallen.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Der andere hat Ekkehard in Schach gehalten. Ekkehard ist der …«, er schluckte, »das ist der Tote. Er wollte seine Uhr abholen. Der Blödmann hat auf den Räuber eingeredet. Ihn provoziert. Ich habe mehr auf ihn geachtet und immer gedacht: Warum hält der nicht die Klappe?, während ich den Tresor geöffnet habe und alles dem anderen in die Tasche gepackt habe. Die hatten übrigens beide so Einmalhandschuhe an.«

      »Hm.« Der Kommissar nickte. »Wir brauchen trotzdem eine Liste ihrer Kunden, wegen der Fingerabdrücke.«

      Der Juwelier reagierte nicht auf seinen Einwurf, sondern redete weiter: »Und dann hat der plötzlich geschossen. Wahrscheinlich wollte er Ekke einfach zum Schweigen bringen …«

      *

      »Sind das Diamanten?«, fragte Paul aufgeregt.

      »Nein, Kieselsteine«, brummte Alfred Haberstroh.

      »Kiesel? Die sind aber klein und …«

      »Natürlich sind das Diamanten«, fuhr Alfred ungehalten dazwischen und fügte leise hinzu: »Das hoffe ich zumindest.« Er konnte es immer noch nicht glauben, wie reibungslos alles geklappt hatte. Der Juwelier hatte ohne große Widerworte den Tresor geöffnet und ihm dessen Inhalt in die mitgebrachte Tasche geleert, während Paul, ausnahmsweise kommentarlos, den Kunden mit seiner ungeladenen Waffe in Schach gehalten hatte. Das Ganze hatte keine zehn Minuten gedauert. Niemand hatte ein überflüssiges Wort gesagt, keiner hatte versucht, den Helden zu spielen. Einen Moment lang war ihm beinahe das Herz stehen geblieben, als er im Tresor neben den Diamanten, dem Gold und einigen Papieren eine Waffe erkannt hatte. Aber der Juwelier ließ sie links liegen. Vielleicht dachte er nicht daran oder er traute sich einfach nicht, sie zu benutzen. Mit zitternden Händen hatte er Alfred kurz darauf den gefüllten Jutebeutel übergeben und dann konnten sie sich ohne Zwischenfälle zurückziehen.

      »Der hat sich beinahe in die Hose gemacht«, freute sich Paul und nahm nun endlich die Mütze ab.

      Alfred durchfuhr ein Schreck und er deutete auf die Kopfbedeckung. »Hattest du die die ganze Zeit auf?«

      »Klar! Ich wollte doch nicht, dass die mich an meiner Frisur erkennen.«

      »Dass die lesen können, daran hast du nicht gedacht, was?«, brüllte Alfred. »Ich hab dir doch ne Mütze gegeben, die du aufsetzen sollst. Warum hast du eine andere genommen?«

      »Die von dir hat mir nicht gefallen, da war so ein ekelhafter Totenkopf drauf.« Sein Kumpel besah sich die eigene Kappe und lachte unsicher auf. »Ups! Das habe ich gar nicht gemerkt. Da habe ich wohl die Falsche erwischt.« Auf dem Schild der schwarzen Mütze war in giftgrüner Farbe das Logo der Gartenbaufirma eingestickt, bei der Paul seine Ausbildung absolviert hatte. Aber damit nicht genug. Unter dem Schriftzug des Unternehmens stand, ebenfalls in grünen Lettern: »Es bedient sie: Paul-Friedrich Osterwald«.

      *

      Endlich war er allein. Das Spurensicherungsteam hatte seinen Laden versiegelt. Der Kommissar und sein Gehilfe hatten keine weiteren Fragen gehabt und waren abgezogen. Und die Leiche hatte man abtransportiert.

      Er war über sich selbst erstaunt, dass sein Blutdruck bei der Untersuchung durch den Notarzt im Normbereich gewesen war. Sein Puls war etwas erhöht gewesen, aber das hatte niemand als beunruhigend empfunden. Am wenigsten er selber. Immerhin hatte er gerade seinen Erzfeind umgebracht.

      Ja, es hatte ihn schon erstaunt, wie ruhig er dabei geblieben war. Die beiden Ganoven waren kaum aus der Tür gewesen, da hatte er selbst zur Waffe gegriffen und ohne mit der Wimper zu zucken Ekkehard Klotz erschossen. So schnell hatte der gar nicht reagieren können. Er hatte noch nicht einmal mehr ein »Spinnst du?« über seine Lippen gebracht, bevor er wie ein nasser Sack umgekippt war.

      Matthias hatte sich die eigene Position gemerkt und später der Polizei erzählt, da habe Paul-Friedrich Osterwald gestanden. Ohne natürlich dessen Namen zu nennen.

      Er erinnerte sich an den Schüler, der die Klasse zwei Stufen unter ihm selbst besucht hatte. Osterwald und sein Kumpel waren immer wieder wegen irgendwelcher Betrügereien aufgefallen. Dabei war er schon damals »dümmer, als die Polizei erlaubt«. Keiner hatte sich gewundert, dass dieser Trottel nach der neunten Klasse die Schule verlassen hatte. Genau wie sein Kumpan, dieser grobschlächtige Typ. Wie hatte der noch gleich geheißen? Haberstroh. Matthias lachte vor sich hin. Dank der schicken Mütze von diesem Osterwald hatte er die beiden Männer sofort erkannt. Und jetzt hatte er sie in der Hand. Kein Mensch würde seine Version des Überfalls, die er gerade bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte, anzweifeln. Von der Versicherung bekäme er das Geld für die gestohlene Ware wieder und den Rest würde er sich von den Ganoven zurückholen. Ob Haberstroh wohl schon gemerkt hatte, was sein Kumpel sich da geleistet hatte?

      Er schenkte sich zur Belohnung einen Drink ein und setzte sich in seinen Lieblingssessel, während er das Radio einschaltete. »Hallo und guten Abend, Sie hören immer noch Radio Te-Be-Be auf UKW, die frische Welle aus dem Taubertal«, erklärte der Sprecher gerade. »Wir feiern heute schon den ganzen Tag die Freundschaft. Jetzt kommt Marilyn Monroe zu diesem Thema zu Wort und sie findet: ›Diamonds are a girl’s best friend …‹«

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