das ist unser Geschäft, dachte er. Wenn Menschen um ihr Leben fürchten, dann geben sie alles andere leichter weg. Dann sind wir da, um es ihnen abzunehmen. Gegen ein Trinkgeld. Gerade so viel, dass sie in irgendein anderes Land kommen, wo sie sich sicher fühlen. Mit schwerem Herzen und leichtem Geldbeutel. Aber mit dem Kopf fest auf dem Hals.
»Was ist mit dem Schmuck?«, fragte Zander unvermittelt. »Wo ist der ganze Silberkram von Levy? Und wo hast du die goldenen Ringe und Ketten von Hammerschmidt hingetan? Pferdehändlers Notreserve, dass ich nicht lache! Als es drauf ankam, hat er sich nicht getraut, das Zeug über die Grenze zu schmuggeln. Feiges Judenpack!«
»Reservereifen«, sagte Erhard Köhler und seufzte. »Hatte ich schon für den Pritschenwagen fertig gemacht. Jetzt muss ich das Zeug natürlich umpacken. Dabei gehen die Lastwagenreifen so schwer von der Felge ab.«
»Da siehst du es mal wieder, blinder Eifer schadet nur. Bloß keine jüdische Hast.« Unvermittelt beugte sich Zander zu Erhard Köhler herab. »Und wie ist das mit den Diamanten ausgegangen?«, zischte er. »Los, ich will eine Erfolgsmeldung hören.«
»Bedaure.« Erhard hielt dem bohrenden Blick aus kalten blauen Augen stand. »Da ist uns einer zuvorgekommen. Muss deutlich höher geboten haben. Landsberg hat heimlich verkauft und mich hingehalten, bis er und seine Leute in Antwerpen waren. Außer Reichweite.«
»Verfluchte Inzucht!«, schimpfte Georg Zander. »Das passiert jetzt auch immer öfter. Sind mittlerweile viel zu viele Hechte unterwegs in diesem Karpfenteich. Müsste mal wieder richtig aufgeräumt werden. Wie damals 1934 mit dem fetten Röhm und seiner schwulen Bande. Zack, Genickschuss, fertig! Wer war das? Hast du den Namen?«
Erhard Köhler schüttelte den Kopf. »Nein. Angeblich war es einer aus Frankfurt, aber sicher weiß ich das nicht.«
»Das muss aufhören«, bekräftigte Georg Zander. »Sonst funken die uns als Nächstes noch bei den Immobilien rein. Läuft da wenigstens alles sauber mit?« Er unterbrach sich; Geräusche von der Eingangstür ließen ihn aufhorchen. Krachend schlug die Tür zu, schwere Schritte stampften über den Flur. Diesmal war es keine Frage, wer da kam.
»Heil Hitler, ihr Luschen!« Hasko Zander war kaum kleiner als sein Bruder, einen oder zwei Zentimeter vielleicht, und das bei identischer Schulterhöhe; auch Stirn und Hinterkopf waren gleichermaßen ausgeprägt. Der Unterschied lag im Gesicht. Haskos Augen waren schmal und von wulstigen Brauen überwölbt, seine Nase wirkte gestaucht, seine Oberlippe war kaum vorhanden; sein Mund war breit, sein Kinn kurz und vorspringend. Trotzdem war die Familienähnlichkeit unverkennbar. Hasko war ein gequetschtes Pendant seines Bruders.
Die Begrüßung fiel herb aus: ein Hieb auf die Schulter, ein Stoß vor die Brust. Für Erhard fiel ein beiläufiges Nicken ab. »Ihr seid beim Geschäft, was?«, stellte Hasko fest. »Sehr gut. Ich brauche Bares.«
»Andauernd brauchst du Geld.« Georg war wenig begeistert. »Neues Auto schon wieder? Das können wir doch über die Firma laufen lassen.«
»Nix Auto. Edelgard!«, rief Hasko. Tief in ihren Höhlen blitzten seine Augen. »Wird Zeit für den Antrag. Ich brauche Ringe! Erst einen, dann noch zwei.«
»Ringe?« Georg schmunzelte belustigt. »Kein Problem, Erhard muss sowieso noch mal an den Ersatzreifen ran. Aber wieso denn jetzt auf einmal? Hast du Edelgard etwa geschwängert, du Hengst? Keine Selbstbeherrschung, der Herr Sturmbannführer, was?«
»Blödsinn«, erwiderte Hasko. »Es ist ihr Vater. Macht Druck, der Herr Großkonfektionär. Will seine Nachfolge endlich geregelt wissen. Hat bloß Töchter, dieser Büchsenmacher. Also ran an den Feind. Heiraten, Enkel zeugen, schon stehe ich im Testament. Und im Grundbuch.«
»Klingt nach überfallartigem Angriff. Mit Stellungskrieg hast du es wohl nicht so, was? Davon hält unser Führer bekanntlich auch nichts.« Sie lachten grölend, wohl wissend, auf wie dünnem Eis sie sich bei dieser doppelten Anspielung auf Hitlers Weltkriegserfahrungen und seinen Familienstand bewegten. »Los, Kleiner, dann leg mal etwas vor!«
Hasko hob abwehrend die Hände: »Von wegen, nicht so ein Judenzeug! Etwas richtig Schickes, maßgefertigt, von dem arischen Goldschmied in der Achternstraße. Ein Ring zur Verlobung, mit Stein, und natürlich Eheringe. Alles schön verziert.«
»Seit wann gibt es einen arischen Goldschmied in der Achternstraße?« Georg Zander schaute Erhard Köhler fragend an. »Ich kann mich an keinen jüdischen Juwelier dort erinnern, den wir … du weißt schon.«
»Gab’s auch nicht«, sagte Hasko Zander. »In dem Haus war ein Klamottenjude. Ist letztes Jahr weg. Jetzt ist da ein Goldschmied drin.«
Sein älterer Bruder seufzte. »Na dann hol mal Bargeld raus, Erhard! Wie viel brauchst du denn, Hasko?«
»Sieben fünf«, sagte Hasko Zander in beiläufigem Ton.
»Bist du bekloppt?«, rief der Ältere entsetzt. »7.500 Reichsmark! Dafür kriegst du einen Mercedes Benz 230 Cabrio, brandneu und mit Küsschen auf den Arsch! So viel Geld willst du für ein paar Ringe ausgeben? Wo wir hier mehr als genug von dem Zeug haben? Und dann womöglich noch so ein kitschiges Zeug mit Hakenkreuz und Totenkopf?« Er ballte die Faust und präsentierte seinen SS-Ehrenring: »Für so was kenne ich eine billigere Bezugsquelle.«
»Vorsicht, Georg«, zischte Hasko Zander zurück, die Zähne gefletscht, die rechte Hand ebenfalls zur Faust geballt. »Darüber macht man keine Witze, nicht einmal dir lasse ich das durchgehen. Auch wenn du einen Rang über mir stehst.« Nase an Nase, Faust an Faust standen sie da, sekundenlang, der eine bebend vor Zorn, der andere vor Gier. Bis Georg Zander sich bewusst wurde, dass Erhard Köhler immer noch neben ihnen stand, in geduckter Haltung und mit wachsamem Blick. »Schon gut, hol das Geld!«, wies er ihn an. »Wir haben genug von dem Zeug.«
Erhard stieß die Tür zur Speisekammer auf. Der niedrige Raum war mit langen Regalen aus ungehobelten hölzernen Latten vollgestellt, und jedes dieser Regale war vollgepackt mit stabilen Pappkartons. Alle trugen den gleichen Aufdruck: »Natronseife«. Die Raumluft war geschwängert mit dem intensiven Geruch von Fett und Glyzerin. Erhard zählte die Kartons auf dem ganz rechts stehenden Regal ab und zog den fünften hervor, der genauso intensiv roch wie die anderen. Sein Inhalt bestand auch aus Seifenriegeln – jedenfalls die obersten beiden Schichten. Darunter befanden sich Geldscheine, ordentlich gebündelt und geschichtet. Erhard Köhler nahm eines davon heraus. »10.000«, stand auf der Banderole, mit Bleistift und in seiner Handschrift.
»Gib her.« Hasko Zander riss ihm das Bündel aus der Hand und steckte es in die Tasche seiner Uniformjacke. »Rest wird verrechnet. Ist sowieso bald wieder eine Ausschüttung fällig, stimmt’s? Das Haus in der Langen Straße. Glaubt nicht, ich hätte den Verkauf nicht mitgekriegt. Sauber getarnt übrigens. Wo kriegt ihr die Strohmänner bloß immer her?«
»Für Geld bekommst du alles«, gab Georg Zander knurrig zurück. »Strohmänner für die getarnten Verkäufe gehen jedes Mal vom Gewinn ab, vergiss das nicht! Von wegen Ausschüttung. Wir müssen liquide bleiben. In nächster Zeit wird es eine Menge Immobilienverkäufe geben. Das heißt für uns viele Ankäufe. Mit Nebenkosten. Ohne Bargeld geht nichts.«
»Ach Bruderherz, ihr macht das schon.« Hasko Zander klopfte sich auf die Jackentasche: »Du und deine zweibeinige Rechenmaschine. Fürs Erste bin ich abgefunden. Sorgt ihr nur dafür, dass die Kuh auch weiterhin so viel Milch gibt!« Er stampfte über den Flur davon, und Erhard registrierte, dass auch er das Horst-Wessel-Lied pfiff.
Georg Zander fluchte leise vor sich hin. »Was der wohl glaubt, dieser Wichtigtuer! Keinen Finger rühren, aber abkassieren. Ewig geht das nicht mehr so weiter. Nichts geht ewig, gar nichts.«
Erhard Köhler merkte auf. »Hast du etwas gehört?«, fragte er leise. »Gibt es Untersuchungen?«
»Untersuchungen gibt es ständig«, erwiderte Georg Zander leise. »Sogar mit der Aufforderung, speziell auf Tarnverkäufe zu achten. Partei und Staat haben doch längst gemerkt, wie viel Beute ihnen durch die Finger rinnt. Die Juden werden nicht ohne Grund zur Emigration gedrängt. Deren Besitz ist längst verplant. Glaubst du, die ganzen Panzer, Flugzeuge und U-Boote gibt’s für lau?«
Erhard