A. F. Morland

Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21


Скачать книгу

      „Davon habe ich gelesen“, sagte Bernd.

      „Bisher hat es drei Überfälle gegeben. Diesmal jedoch sogar entlang der Transit-Strecke auf dem Gebiet der DDR. Die LKWs werden gestoppt, Fahrer und Beifahrer werden ausgeschaltet, die Gangster fahren mit den Lastern weiter, und wenn die Polizei sie dann wiederfindet, ist die Ladung verschwunden. Insgesamt macht der Schaden nun schon eine Höhe von 170 000 Mark aus.“

      „Um was für Frachtgut handelt es sich hierbei?“, wollte Bernd wissen.

      „Zwei Ladungen Haushaltsgeräte und einmal Rohstoffe für einen chemischen Betrieb hier in West-Berlin.“

      „Und es werden immer nur LKWs überfallen, die bei der Berliner LKW Versicherung versichert sind?“

      „Bisher ja. Übernehmen Sie den Fall, Bernd? Sie kriegen zehn Prozent Erfolgshonorar. Das heißt, Sie verdienen bei jedem Stück, das Sie wiederbeschaffen.“

      Bernd dachte nicht lange nach. „Ja, geht in Ordnung, Herr Reineke. Aber ganz ehrlich: Nur, weil Sie es sind. Ich bin dermaßen überarbeitet...“

      RRR antwortete schnell: „Dann erwarte ich Sie morgen um neun in meinem Haus.“

      „Einverstanden“, sagte Bernd und legte auf. Und weil er gerade so in Schwung gekommen war, hörte er sich auch gleich an, was auf dem automatischen Anrufbeantworter drauf war.

      Er erkannte die krächzende Stimme sofort. Das war Manfred Keller, einer seiner zuverlässigsten V-Leute.

      „Tagchen, Schuster!“, sagte der Bursche, dessen Informationen hin und wieder Goldwert hatten. Er räusperte sich. Mit einem Anrufbeantworter umzugehen ist nicht jedermanns Sache. Es fehlt der Gesprächspartner.

      „Hm. Tja - ich denke, jetzt kann ich einfach drauflosreden, was? Ist schon ein verdammter Dreck, dass Sie nicht persönlich an der Strippe sind, Schuster. Also, ich hätte da wieder mal was Heißes aufgeschnappt. Sie können’s von mir hören. Für ’nen Fünfziger spuck ich's Ihnen, wohin Sie wollen - ja. Wie weiß ich denn nun, ob Sie an der Sache interessiert sind oder nicht? Wenn doch keiner dran ist! Ach was. Ich plappere es mir einfach mal von der Seele. Also fünfzig Eier für eine Information, die für Sie von großer Wichtigkeit ist, Bernd Schuster. Ich schlage vor, Sie laden mich morgen zum Mittagessen ein. Sagen wir ins Fiesta, ist‘n mexikanisches Restaurant beim Nollendorfplatz, kennt man. Ich werde um zwölf da sein. Und Sie sollten mich nicht allzu lange dort im Trockenen hocken lassen, sonst würde man mich aus dem Lokal entfernen, weil ich die Zeche nicht bezahlen kann. Und das würde letzten Endes Ihnen leidtun. Diesmal ist’s nämlich verdammt wichtig für Sie, was ich zu erzählen habe! Hm - hoffentlich klappt das jetzt mit dem Apparat. Sonst ersitze ich mir morgen Schwielen beim Mex.“

      Außer diesem Anruf war nichts mehr auf dem Band. Während Bernd mit dem Zeigefinger nachdenklich die Kanten des Geräts entlangstrich, überlegte er, was denn so „verdammt wichtig“ für ihn war. Er kam nicht dahinter, strengte sich aber auch nicht besonders mit dem Nachdenken an, denn die Müdigkeit kehrte zurück, und diesmal zwang sie ihn in die Knie. Er schloss die Räume sorgfältig ab, fuhr mit dem Fahrstuhl in den 14. Stock und war erstaunt, dass seine Tochter Lucy nicht anwesend war. Dann fiel ihm wieder ein, dass sie ja dieses Wochenende bei seiner Ex zubringen würde, duschte ausgiebig und legte sich bald darauf hin.

      Der am Fenster vorbeirauschende Regen schläferte ihn ein.

      Als er die Augen wieder aufschlug, schien die Sonne durchs Fenster herein. Franziska steckte ihren Kopf durch die Tür und rief: „Was ist denn hier los, Bernd? Kaum bin ich mal nicht über Nacht bei dir, da liegst du bis zum Mittagessen noch im Bett?“

      Bernd schnellte hoch.

      „Wie spät ist es, Franzi?“

      „Es ist immerhin schon halb neun.“

      „Gütiger Himmel!“, schrie Bernd erschrocken auf. Um neun sollte er bei Reineke sein. Mit Schwung schleuderte er die Decke fort.

      Franziska zog sich zurück und bereitete in der Küche inzwischen den Kaffee. Bernd erledigte alles im Laufschritt. Franziska wollte ihn, während er den Kaffee in sich hineinschlürfte, über die Blondine von gestern Abend ausfragen. Sie machte das geschickt und dezent, aber Bernd merkte es trotzdem, und er führte seine Franzi mit seinen Antworten schlau im Kreis, bis sie es aufgab. Dafür und für den Kaffee erhielt sie einen Kuss. Dann war Schuster draußen aus seiner Wohnung. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, Franzis neues Kleid zu bewundern, und sie hatte es sich eigentlich nur für ihn gekauft.

      Bernd verspätete sich um ganze fünf Minuten. Das war zu verschmerzen.

      RRR residierte im Norden der Stadt. Sein Haus stand inmitten eines großzügig geschnittenen Grundstücks.

      Der Versicherungsdirektor empfing Bernd persönlich, andere Besucher wurden zuerst von einem Angestellten aufgehalten. Ein Zeichen dafür, wie gern Schuster in diesem Haus gesehen war. Und ein Zeichen auch dafür, wie dringlich dem Leiter der Berliner LKW-Versicherung die Angelegenheit war.

      Rudolf R. Reineke war ein großer, stämmiger Mann, etwa fünfzig Jahre alt und dick. Er machte keinen angenehmen Eindruck. Vielleicht lag das an seinen stechenden Augen. Es war seine Art, sich die Männer auszusuchen, die er mochte, und denen sagte er das auch. Den anderen sagte er, dass sie ihn ankotzten. So war RRR.

      Ein schütterer Schnurrbart vegetierte auf seiner Oberlippe dahin. Vom rechten Auge lief eine Narbe bis fast zum Mundwinkel. Die Narbe zog das Augenlid etwas herunter, was dem Mann ein finsteres Aussehen gab. Reineke war noch in den letzten Kriegswochen eingezogen worden, obwohl er eine nie ausgeheilte Sportverletzung am Bein hatte.

      Deshalb hielt er stets in der Rechten einen massiven Spazierstock mit dickem Gummipuffer an der Spitze.

      „Wie auf Nadeln bin ich gesessen“, sagte Reineke einleitend. Er führte Bernd in sein Wohnzimmer, in dem es vor Kostbarkeiten nur so wimmelte. Natürlich warf allein seine Direktorentätigkeit bei der Berliner LKW-Versicherung nicht so viel für RRR ab. Aber wer einmal ziemlich hoch oben ist, der kriegt da und dort einen Aufsichtsratsposten zugeschanzt, es fallen da und dort Anerkennungshonorare ab - und dann kann man sich diesen Luxus eben leisten.

      Zwei Cognac-Schwenker waren bereits angerichtet. Der Angestellte vom Empfang zeigte sich ganz kurz an der Tür.

      „Wenn Sie irgendeinen Wunsch haben, Herr Reineke ...“

      „Nichts. Gar nichts. Gehen Sie, ruhig. Ich brauche Sie nicht.“

      Die Tür wurde so leise geschlossen, als bestünde sie aus Watte. Bernd setzte sich in einen der bequemen Sessel. Er trank etwas von dem Cognac. Dann bat er RRR, über die Vorfälle zu berichten.

      „Alle drei LKWs waren bei uns versichert“, wiederholte der Versicherungsmann, während er sein Glas auf dem Tisch hin und her schob. Daneben lag eine Mappe. Vermutlich für Bernd vorbereitet.

      „Und für welche Unternehmen waren die LKWs unterwegs?“, fragte Bernd.

      „Sie fahren alle für dieselbe Spedition.“

      „Für welche?“

      „Für Carsten Fröhlichs Spedition.“ RRR klopfte auf die Mappe. „Hier drinnen finden Sie die Aufstellungen aller gestohlenen Waren, Schuster. Die Gangster haben, wie schon gesagt, im vergangenen Monat dreimal zugeschlagen. Aber diesmal übertrafen sie alles an Dreistigkeit. Es gab auf der Transitstrecke eine Baustelle, die von den Lastwagen weiträumig über das Gebiet der DDR umfahren werden musste. Dabei gab es einen Toten, der zweite Mann lag ohnmächtig am Straßenrand und wurde dort von der Volkspolizei entdeckt und in ein Krankenhaus gebracht. Nach einigen Verwicklungen hat man dann die Spedition benachrichtigt.“

      „Auf dem Gebiet der DDR? Ach, es geht um den Fall, der ja nun wirklich einigen Staub aufgewirbelt hat und sogar diplomatische Verwicklungen hervorrief, weil man den Mann festhalten wollte. Irgendetwas mit Verletzung der öffentlichen Sicherheit! Ein Witz, wenn man bedenkt, dass sein Fahrer erschossen wurde!“ Bernd Schuster, aber Reineke hielt sich damit nicht