A. F. Morland

Mord auf der Transit-Strecke Berlin 1968 Kriminalroman Band 21


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lag der Garten, in dem die Gäste im Sommer saßen.

      Keine Spur mehr von dem Mörder. Bernd eilte mit langen Sätzen über den geharkten Kies. Tische und Stühle waren beiseite geräumt. Atemlos erreichte er eine hohe Hecke, die den Restaurantgarten begrenzte. Mit einem federnden Satz warf er sich in das blattlose Gezweig. Etwas schrammte über sein Gesicht. Das brannte wie Feuer. Dann war er durch.

      Eine schmale Straße lag vor ihm. Leer, wenn man von den geparkten Autos absah. Bernd schickte dem Mörder einen wüsten Fluch nach. Dann kehrte er ins Restaurant zurück. Auf dem Weg dorthin versuchte er sich das Gesicht des Mörders ins Gedächtnis zu rufen.

      Plötzlich schlug in seinem Inneren ein Misston an. Es war ihm, als müsse er dieses Gesicht kennen. Der Mann war ihm irgendwie bekannt - gleichzeitig aber war er ihm auch fremd.

      Grübelnd öffnete Bernd die Hintertür. Da kam die Fette erneut. In ihrem Schlepptau hing der unglückliche Geschäftsführer, der Ärger aller Art gern vermieden hätte.

      „Da!“, schnaufte die Dicke. Sie stank nach Schweiß, nach hindustanischem Parfüm und nach billiger Seife. Ihre aufgerissenen Augen stachen wie Dolche. Ihr gewaltiger Busen quoll vor Erregung aus dem mit ganz und gar unpassend zierlichen Spitzen besetzten Dekolleté.

      „Da ist der Mann!“

      Der Geschäftsführer trat hinter der Fetten hervor. Seine schwarzen Brauen standen verlegen schräg.

      „Was haben Sie angestellt, mein Herr?“

      „Ja, was denn?“, fragte Bernd ärgerlich.

      „Sie haben diese Dame in die Toilette gestoßen.“

      „Gehört sie denn da nicht hin?“, erwiderte Schuster wenig galant.

      „Sie!“, kreischte die Dicke und schwang wütend die Fäuste. Schuster bat den Geschäftsführer zur Seite, denn er wollte mit ihm unter vier Augen sprechen.

      „Schicken Sie die Frau aus dem Lokal“, empfahl Bernd dem Mann mit dem sichelartigen Schnauzbart.

      „Ich muss Sie bitten, sich bei der Dame zu entschuldigen.“

      „Für solche Spielchen ist jetzt keine Zeit, Mann. In Ihrem Lokal wurde jemand ermordet!“

      Der Geschäftsführer kniff misstrauisch und unmutig die Augen zusammen. „Ich mag keine makabren Scherze, Señor.“

      Bernd reichte ihm seine Karte, um die Unterhaltung in eine seriöse Richtung zu lenken. Er erklärte: „Ich war hinter dem Mörder her. Diese Frau hat sich mir in den Weg gestellt. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich den Mörder vielleicht noch gekriegt. Also: Schicken Sie sie nach Hause! Sie haben jetzt genug Sorgen am Hals, Meister.“

      „Was gibt es da so lange zu tuscheln?“, schrie die Dicke von hinten.

      „Tun Sie uns den Gefallen und scheren Sie sich zum Teufel!“, sagte Bernd unfreundlich. Das war sonst nicht seine Art. Aber manche Menschen brauchen eine solche kalte Dusche, um zur Vernunft zu kommen.

      Die Aufgeblasene erstickte daran beinahe. „Sie!“ gurgelte sie wieder. „Was ist das für ein Ton?! Muss ich mir das gefallen lassen? In Ihrem Lokal? Wo ich jeden Mittag ...“

      „Tut mir leid, Señora. Aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit für Sie“, stöhnte der Geschäftsführer. Er schaute Bernd mit zusammengezogenen Brauen an.

      „Dieses Lokal sieht mich nie mehr wieder!“, schrie die Dicke.

      „Es wird deshalb nicht zu Grunde gehen“, sagte Bernd. Das gab ihr den Rest. So schnell es ihre hundertzwanzig Kilo Lebendgewicht zuließen, fuhr sie herum und stürmte davon.

      „Wo ist der Tote?“, fragte der Geschäftsführer gepresst.

      „Kommen Sie! Ich zeige ihn Ihnen.“

      Sie begaben sich zu Keller. „Ein Glück, dass er nicht vom Stuhl gefallen ist“, sagte der Mexikaner. „So könnte man denken, er lebt noch.“

      „Rufen Sie die Polizei an!“, riet ihm Bernd Schuster.

      Ganz durcheinander war der Kleine. Bernd hatte Mitleid mit ihm. Der Geschäftsführer, dessen Name Rodriguez lautete, schaute nach den Gästen, die gleich nebenan dinierten. Es wäre ihm wohl am liebsten gewesen, wenn er den Toten per Knopfdruck zum Verschwinden bringen hätte können. Aber so einfach ist das mit Toten nun mal nicht.

      „Ja“, sagte Rodriguez schließlich mit bröckeliger Stimme. „Natürlich, Herr Schuster. Ich werde die Polizei anrufen.“ Verzweifelt fuhr er sich durchs Haar. „In meinem Lokal! Madre de dios! Das hat es in den fünfzehn Jahren, die ich hier beschäftigt bin, noch nicht gegeben! Ein Toter in meinem Lokal!“ Kopfschüttelnd ging er.

      Bernd durchstöberte inzwischen die Taschen des Toten. Würde es nun ewig ein Rätsel bleiben, was Keller ihm hatte mitteilen wollen? Nichts von Bedeutung fiel Schuster in die Hände. Eines dieser unbedeutenden Dinge war ein Zettel, auf den jemand, der Gicht in den Fingern zu haben schien, hingeschmiert hatte: Frühlings Gästepension Nr. 17.

      In diesem Augenblick fiel der Tote vom Stuhl. Erst schrie nur eine Frau entsetzt auf. Dann eine zweite. Dann ein Mann. Und schließlich war die Panik nicht mehr aufzuhalten.

      3

      Winfried Schack war so etwas wie eine Institution. Sein Alter war kaum zu erraten. Er konnte dreißig Jahre alt sein oder auch fünfundvierzig. Er war ein Fettkloß mit dem grünlich weißen Gesicht eines Grottenolms. Seine Augen, halb hinter den Lidern versteckt, waren schwarz und hart wie Ebenholzknöpfe. An Stelle des Haares schien sein Schädel mit einem Stück Teppich bezogen. Er hatte einen schwarzen Tatarenschnurrbart, dessen Enden herunterhingen wie Rattenschwänze.

      Er hatte gelernt, sein Geld da zu verdienen, wo es auf der Straße lag. Das war in den heruntergekommenen Vierteln Berlins, zumeist in Mauernähe, gewesen. Zuerst hatte er als Ein-Mann-Unternehmen gearbeitet. Dann hatte er sich Handlanger zugelegt. Und heute war er soweit, dass er nicht mal mehr einen Revolver zu tragen brauchte, wenn er keine Lust dazu hatte. Heute war er ein Mann, zu dem die Ganoven, die es noch nicht geschafft hatten oder die es niemals schaffen würden, wie zu einem Heiligen aufschauten.

      Er machte Geschäfte mit allen Größen dieser Stadt. Schwarze Geschäfte, das verstand sich von selbst. Die neue Masche, an der Winfried Schack gerade mithäkelte, hieß LKW-Raub. Die Sache ließ sich gut an. Natürlich konnte man sie nicht bis in alle Ewigkeit forthäkeln, denn die Bullen waren schließlich nicht ausnahmslos Holzköpfe, aber zwei, dreimal konnte dieselbe Tour gewiss noch geritten werden. Blöd nur, dass das letzte Ding ausgerechnet in der DDR abgezogen wurde. Schack tobte stundenlang, als er davon erfuhr und sich ausrechnete, was das für einen Wirbel verursachen würde. Da war die teure Ladung des LKWs nur ein schwacher Trost.

      Schack saß an seinem Schreibtisch und führte wichtige Gespräche mit unwichtigen Leuten am Telefon, als jemand an die Tür seines Büros klopfte.

      „Herein!“, plärrte er ziemlich unfein. Seine Füße lagen auf dem Tisch. Über die blankgeputzten Schuhspitzen visierte er die Tür an, die sich jetzt öffnete. Zwei normale Gesichter flankierten ein bleiches. Als Schack das leichenblasse Gesicht sah, nahm er die Füße vom Tisch und knurrte in die Membrane: „Also, ich muss jetzt Schluss machen, Freundchen. Ruf mich morgen wieder an!