wenn sie es sich leisten konnten, was selten genug war, Fanta oder Coca-Cola und billiges Parfüm, das nach Vanille-Essenz roch. Ein unternehmerischer Ladenbesitzer machte sich dies zunutze und stattete sein Geschäft mit einem Grammophon aus, damit die Jugendlichen sich mit Musik und Tanz unterhalten konnten. Sie spielten die neue Rumba, die, wie populäre Musik es oft tut, mit unsystematischen Figuren auf die Zustände der Zeit hinwies: „Kriegst Prügel, wenn du weiter nach Geld fragst“, „Vater, bin ohne Arbeit, gib mir Geld für roora“, „Mein Geliebter, warum hast du eine zweite Frau genommen?“ Die Hüften wurden geschwungen, die Füße stampften zum Rhythmus dieser sozialen Fakten. Es gab Solidarität. Die Behörden wurden unruhig. Unsere fleißige Gemeinde wurde für ihre Mühen mit dem Bau einer Bierhalle belohnt, dunkelblau wie die Verwaltungsgebäude, wo „einheimisches Bier“ und „sauberes Bier“ die Woche hindurch billig verkauft wurde. So wurden unsere Waschplätze zu Durchgangsorten für Leute, die aus allen möglichen Gründen zu magrosa gingen. Zur Wahrung der Anständigkeit wurden die Badestellen weiter flussaufwärts angelegt. Trotzdem pflegte ich, wenn ich mich kühn fühlte (das war, bevor meine Brüste zu groß wurden), oben am Ufer-Hang die Ohren zu spitzen und, wenn ich sicher war, dass niemand kam, zum Fluss hinunterzulaufen, mein Kleid abzustreifen (mehr hatte ich meist nicht an) und glücklich an den alten, tiefen Plätzen zu schwimmen, solange ich wollte.
Und diesen Spaziergang verabscheute mein Bruder! Wahrhaftig, ich könnte endlos weiter die Reize dieses Spaziergangs schildern; darum verstand ich auch nicht, wieso er ihm so widerstrebte. Doch er widerstrebte ihm, und meistens konnte er ihn umgehen, indem er unter irgendeinem Vorwand nach Schulende in der Mission blieb, bis mein Onkel, der Bruder meines Vaters und der älteste Sohn der Familie, beschloss, uns einen Besuch abzustatten. Mein Onkel besuchte uns häufig.
Es war die Idee meines Onkels gewesen, Nhamo auf die Missionsschule zu schicken. Wenn man ihm eine Chance gäbe, würde Nhamo, so meinte mein Onkel, sich in der Schule auszeichnen, wenigstens genügend für einen anständigen Beruf. Mit dem so verdienten Geld, sagte mein Onkel, würde Nhamo unseren Teil der Familie aus dem Elend befreien, in dem wir lebten. Die Geste meines Onkels war also ozeanisch, und mein Vater, der eine Vorliebe für Übertreibungen hatte, musste kaum überredet werden, den Sinn dieses Plans einzusehen. Auf die sanfteste Weise und nur höflich zögernd wies er meinen Onkel darauf hin, dass Nhamos Weggehen für alle anderen zu Hause mehr Arbeit bedeuten würde und gab meinem Bruder seine Erlaubnis. Das geschah, als mein Bruder in der dritten Klasse war, im Jahre 1965, dem Jahr der Rückkehr meines Onkels aus England.
Zu jener Zeit, Ende 1965, hatte mein Bruder sich schon ausgezeichnet, indem er in den ersten beiden Jahren Grundschule Klassenbester wurde und danach stets unter den fünf Besten zu finden war. Mein Onkel war darüber begeistert und wollte diese Tendenz unterstützen. „Mit deinem Kopf“, pflegte mein Vater Nhamo während der frühen Schulzeit, den prägenden Jahren, zur Ermutigung zu sagen, „wäre ich inzwischen Lehrer. Oder sogar Arzt. Ja! Vielleicht sogar Arzt. Glaubst du, wir würden so leben wie jetzt? Nein! In einem Ziegelhaus mit Warm- und Kaltwasser und Licht, wie bei Mukoma. Es wäre gut gewesen, hätte ich nur den Kopf dazu gehabt.“ Nhamo, ganz der gehorsame Sohn, bestätigte meinem Vater dann, dass es wirklich gut gewesen wäre, und beruhigte ihn, dass die Intelligenz, mit der er selbst gesegnet war, nicht missbraucht werden würde. Ich war anders. Ich wollte die Wahrheit herausfinden. Meinte mein Vater, dass Babamukuru sich in der Schule als gescheit erwiesen hatte? Das fragte ich ihn eines Tages, als ich ein solches Gespräch mit anhörte.
„Das nicht gerade“, antwortete mein Vater. „Ich würde nicht sagen, dass Mukoma gescheit war. Nein. Nicht wirklich gescheit. Aber er las. Ja! Mukoma las. Was immer er anrührte, brachte er voran, so war er, ja! Mukoma las immer“, schloss er mit aufgerissenem Mund und krauser Stirn, voll des Respekts vor der Beharrlichkeit meines Onkels. Und als er dann erkannte, dass er in seine eigene Falle gegangen war, fühlte er sich bemüßigt, sich zu rechtfertigen. „Aber Mukoma hatte Glück. Er bekam eine Chance. Er ging von früh an zur Missionsschule. Die Missionare kümmerten sich so sehr um ihn, dass er mit den Büchern, nun, weißt du, ha-a-a, ganz natürlich umgehen lernte.“
Ob Babamukuru nun gescheit oder fleißig war oder einfach nur Glück gehabt hatte – Nhamo gelang es meist, seinen Onkel zu beschwatzen, ihn nach Hause zu fahren. Wie Nhamo das schaffte, ist mir ein Rätsel, denn Babamukuru war nie jemand, der sich leicht beschwatzen ließ. Trotzdem schaffte es Nhamo meistens. Aber diesmal, an dem Trimesterende, von dem ich erzähle, als Nhamo gerade die sechste Klasse absolviert und deshalb vorzeitig frei hatte, war Babamukuru zu einer Besprechung in der Stadt. Nhamo war gezwungen, den Bus zu nehmen. Eigentlich glaube ich, dass Babamukuru beschlossen hatte, es tue Nhamo gut, einmal den Bus zu nehmen. Ich glaube, mein Onkel fing an, sich Sorgen zu machen über die Entwicklung meines Bruders. Jedenfalls machten sich alle zu Hause, die alt genug dazu waren, um die Entwicklung meines Bruders Sorgen – außer meinem Vater.
Bald nachdem er auf die Missionsschule gekommen war, hörte mein Bruder auf, in den kurzen Ferien nach Hause zu kommen. Obwohl er uns hin und wieder mit meinem Onkel besuchte, kam er nur einmal im Jahr, am Ende des Schuljahres und zu Anfang der Maiszeit, für längere Zeit nach Hause. Während der Ferien im August und April weigerte sich Nhamo, nach Hause zu kommen. Er gab vor, er müsse unaufhörlich lesen, um die Prüfungen am Jahresende erfolgreich zu bestehen. Das war eine gute Entschuldigung, mit der er sich vor der unangenehmen Aufgabe drücken konnte, den Mais zu ernten und zu stapeln sowie die Blätter von den Kolben zu ziehen. Am Ende eines Erntetages juckte es uns überall grässlich, und wir rannten stets von den Feldern sofort zum Fluss, um den juckenden Staub abzuwaschen. Es war nicht erstaunlich, dass Nhamo das Ernten nicht mochte. Keiner von uns empfand diese Pflicht als angenehm. Sie war einfach etwas, das getan werden musste. September und Oktober waren anders. Zu dieser Zeit wurde das Land für die neuen Pflanzungen vorbereitet. Lange bearbeiteten die Leute den Boden mit Hacken, was harte Arbeit bedeutete, aber nicht unangenehm und nicht ohne Freuden war. Kurz bevor Babamukuru 1960 nach England ging, kaufte er meinem Vater dann einen Ochsenpflug, so dass die Arbeit sich zu der Zeit, als ich alt genug war, um mitzuhelfen, auf das Pflanzen des Maises beschränkte; zumindest in den Jahren, in denen mein Vater oder ein ausreichend kräftiger männlicher Verwandter auf Besuch die Zeit fanden, den Ochsenpflug zu benutzen. In den Jahren, in denen sie keine Zeit dazu hatten, mussten wir wieder wie früher graben und pflanzen. Nach dem Pflanzen und dann die ganze Regenzeit hindurch, bis die Pflanzen groß und kräftig waren, jäteten wir Unkraut, mit unseren Händen und Hacken. Manchmal bauten wir nicht nur Mais an, sondern auch mhunga und rukweza. Zu Anfang des Ackerjahres waren wir sehr beschäftigt. Mein Onkel bestand darauf, dass Nhamo hierfür nach Hause fuhr, denn es gab keine Prüfungen, die ein Wegbleiben gerechtfertigt hätten. So war Nhamo gezwungen, einmal im Jahr in sein schmutziges Zuhause zurückzukehren, wo er sich mit kaltem Wasser in einem Emaillebecken oder in einem Fluss waschen musste und nicht in einer Badewanne mit Wasserhähnen, aus denen es heiß und kalt floss; wo er sadza mit seinen Fingern und kaum Fleisch aß und nie mit Messer und Gabel; wo es außer dem flackernden Gelb der Kerzen und den hausgemachten Paraffinlampen kein Licht gab, das ihm ermöglicht hätte, bei seinen Büchern Zuflucht zu nehmen, wenn wir anderen schlafen gegangen waren.
Diese Armut fing an, ihn zu beleidigen, oder zumindest ihm peinlich zu sein, wie es ihm, ehe er zur Missionsschule ging, nicht ergangen war. Zuvor hatten wir uns darüber verständigen können, dass der Schmutz uns grausam zusetzte, aber fraglos der unsere war; also war die Last, ihn zu vertreiben, auch unsere. Aber dann änderte etwas, das er in der Mission gesehen hatte, seine Ansichten, so dass er nunmehr glaubte, unsere Heimstätte hätte keinen Anspruch mehr auf ihn. Wenn er nun in den Ferien nach Hause kam, war es, als sei er nicht da; er war nicht sehr umgänglich. Bei der Feldarbeit mitzuhelfen, beim Versorgen des Viehs oder beim Feuerholzholen, Aufgaben, die er vor seiner Missionszeit bereitwillig erfüllt hatte, wurde für ihn jetzt zum schlechten Witz. Als die Regenfälle am Ende seines ersten Jahres in der Mission vorzeitig kamen, wies er uns darauf hin, dass der Großteil der Arbeit schon getan war und wir sehr gut zurechtgekommen waren; wenn die Regenfälle sich verspäteten, wie am Ende des zweiten Jahres, erinnerte er uns daran, dass wir es im Jahr zuvor ohne ihn auch geschafft hatten. Nur wenn Babamukuru seinen Besuch ankündigen ließ, machte er sich die Mühe mitzuhelfen. An solchen Tagen stand er mit allen anderen bei Sonnenaufgang auf, arbeitete so hart, dass die Erde sich in die Haut seiner Hände eingrub und der