Roland Lange

Harzkinder


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klar!“, stimmte Hanka ihm zu. „Ich könnte alle Hinweise, die ich dem Detektiv gegeben habe, auch auf der Seite posten.“

      „Schade, dass wir kein Bild von dem Mann haben. Man müsste ein Phantombild erstellen lassen. Aber zur Polizei gehst du mit der Sache lieber nicht mehr.“

      Hanka ging durch die Küche. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen, der sie einen Moment beschäftigte.

      „Ich glaube, ich habe eine bessere Idee“, sagte sie dann.

      8. Kapitel

      Katja kam gegen dreiundzwanzig Uhr nach Hause.

      Als die Wohnungstür ins Schloss fiel, schreckte Blume hoch. Er hatte es sich in ihrem Wohnzimmer auf der Couch bequem gemacht und Fernsehen geschaut. Mit Chips, die irgendwo herumlagen, und einer Flasche Bier aus dem Kühlschrank hatte er sich eine Zeit lang über Wasser gehalten. Irgendwann musste er dann eingenickt sein. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen.

      Blume brachte sich ächzend zurück in eine vernünftige Sitzposition, als Katja ins Zimmer trat.

      „Na, du hast es dir ja gut gehen lassen“, meinte sie ironisch schmunzelnd, als sie die Reste seiner kärglichen Mahlzeit auf dem Couchtisch entdeckte. „Ich habe uns unten aus der Saloonküche was Vernünftiges mitgebracht. Besser als dein Knabberkram.“ Sie hielt ihm einen Beutel hin, aus dem sich verlockende Düfte den Weg zu seiner Nase bahnten. „Komm, lass uns in die Küche gehen und essen. Dabei musst du mir dann einiges erklären.“

      Blume nickte, stand auf und schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher aus. Schnuppernd trottete er hinter Katja her. Der Beutelinhalt hatte seine Lebensgeister geweckt.

      „Schön hast du’s hier“, sagte er anerkennend und setzte sich an den Küchentisch.

      „Mhm ... lässt sich aushalten.“ Katja hatte ihm den Rücken zugewandt und kramte Besteck aus einer Schublade.

      „Am Klingelbrett unten an der Haustür steht Richter, nicht Ortlepp. Bist du verheiratet?“

      „Ich war es. Martin, mein Mann, ist bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.“ Sie stellte Teller auf den Tisch, hantierte mit dem Besteck. Plötzlich hielt sie inne, hob den Kopf und starrte ins Leere. „Im Harz. Schöne Kurven, immer ordentlich Speed. Immer Risiko. Das hat er geliebt. Musste ja irgendwann mal schiefgehen.“

      Blume hörte die Verbitterung in ihrer Stimme. „Das tut mir leid“, sagte er.

      „Braucht es nicht, danke.“

      „Kinder?“

      „Nein. Gott sei Dank. So hat er nur mich unglücklich gemacht, der Mistkerl.“ Sie wandte sich der Tüte zu, holte die Isolierbehälter heraus, öffnete sie. „Greif zu.“

      Blume ließ sich nicht lange bitten. Steak, Pommes frites und Beilagen wanderten auf seinen Teller, dann übergoss er alles mit der würzigen Soße.

      „Guten Appetit“, sagte Katja. „Noch ’n Bier?“

      Er nickte kauend, ließ sich von ihr eine Flasche und ein Glas geben, füllte das Glas, trank. Dann widmete er sich wieder dem ausgezeichneten Steak.

      Eine Weile aßen sie schweigend, gaben sich dem Genuss hin. Zumindest Blume konzentrierte sich ganz auf seinen Tellerinhalt, vergaß für Minuten die Welt um sich herum.

      „Wieso bist du am Leben?“, fragte Katja unvermittelt. „Alle meine Kontakte haben mir damals das Gleiche berichtet: Matthias Wagenfeld ist tot. Bei einem tragischen Unfall in Manila ums Leben gekommen. Deine Leiche wurde nach Deutschland überführt und begraben.“

      Blume sah auf, kaute noch einen Moment. Wortlos. „Deine Kontakte haben nicht gelogen“, bestätigte er schließlich. „Matthias Wagenfeld lebt nicht mehr. Auch wenn die Umstände seines Todes etwas anders waren, als es in den offiziellen Verlautbarungen dargestellt wurde und die Leiche ... na ja, meine sterbliche Hülle ist es jedenfalls nicht, die da auf dem Friedhof liegt.“

      „Wen hat man dann begraben? Oder war der Sarg leer?“

      „Nein, nein. Es lag schon jemand drin. Keine Ahnung, wer das zu Lebzeiten war. Ich habe die sterblichen Überreste zum Spottpreis bekommen und überführen lassen. Du kannst dir auf den Philippinen Leichen kaufen, wusstest du das?“

      „Du redest Quatsch!“

      „Keineswegs! Wenn du in dem Land die richtigen Leute kennst, ist fast alles möglich.“ Er nahm einen Schluck Bier, spülte einige Essensreste herunter. „Nach meiner Wiederauferstehung war ich dann jedenfalls Stefan. Stefan Blume, gebrauchte Elektrogeräte, An- und Verkauf. Und Reparatur, nicht zu vergessen! Mein Laden liegt in Kleefeld, einem Stadtteil von Hannover und läuft so lala. Ich kann mich einigermaßen damit über Wasser halten. Es gibt leider noch viel zu wenige Menschen, die umweltbewusst handeln und sich was Gebrauchtes kaufen oder ihre kaputten Geräte reparieren lassen. Wegschmeißen und neu kaufen ist nach wie vor die Devise.“

      „Nettes Statement für die Umwelt“, entgegnete Katja spöttisch. „Aber das ist ja wohl nicht alles. Du und Gebrauchtwarenhändler? Einer, der tagtäglich an Elektroschrott rumbastelt? Das kannst du mir nicht erzählen. Deinen Namen hast du vielleicht gewechselt und auch dein Aussehen. Aber dein Wesen? Lächerlich! Was ist damit überhaupt? Mit deinem Gesicht, meine ich. Also, nicht der Bart. Deine ganze Mimik ist so ... so starr. Fast keine Regung. Hast du etwa an dir rumschnippeln lassen?“

      Blume nickte. „Ja, das musste sein. Waren leider nicht gerade die qualifiziertesten Spezialisten, die mein Antlitz verschönert haben. Aber immerhin mit dem gewünschten Ergebnis. Niemand hat mich seither wiedererkannt. Nicht mal du. Wenn ich noch einen Beweis gebraucht hätte, hast du ihn mir heute geliefert.“

      „Aber warum das alles?“

      Blume zuckte mit den Schultern. „Wir haben ’nen Fehler gemacht. Damals, kurz nach der Grenzöffnung. Dachten, wir könnten uns mit ’nem Deal freikaufen. Ein paar Namen nennen im Gegenzug für Straffreiheit. Ist aber nicht so weit gekommen. Für zwei der Genossen, mit denen ich das zusammen geplant habe, ist die Sache schon vorher tödlich geendet. Mysteriöses Ableben. Unfälle. Kein Fremdverschulden. Ganz die alte Schule. In einer Kurve von der Straße abgekommen. Nachts. Vermutlich im richtigen Moment von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet und die Kontrolle verloren. Ich hätte wissen müssen, dass unsere Absichten nicht unbemerkt bleiben konnten und man Verrat in unseren Reihen nicht duldet. Wäre ich geblieben, mir hätte das gleiche Schicksal gedroht. Also bin ich erst einmal geflüchtet. Nach Manila.“ Er stockte, blickte Katja kritisch an. „Was ich dir gerade erzähle, verlässt nicht diesen Raum, oder? Ich mache ungern einen Fehler zweimal.“

      Katja knallte verärgert die Gabel auf ihren mittlerweile leeren Teller. „Habe ich dir jemals einen Grund gegeben, mir zu misstrauen?“, fauchte sie gereizt.

      „Entschuldige. Tut mir leid“, lenkte Blume angesichts ihrer heftigen Reaktion sofort ein. „Wenn überhaupt, dann traue ich nur dir. Niemandem sonst. Es ist nur ... ich habe verdammt beschissene Jahre hinter mir. Habe damals gehofft, wenn ich auf den Philippinen nur einige Zeit auf Tauchstation gehe, machen sie hier vor oder unmittelbar nach der Wiedervereinigung klar Schiff und misten den SED-Stall gründlich aus. Wie sie es damals nach der NS-Diktatur auch gemacht haben. Stattdessen packen sie die Verantwortlichen mit Samthandschuhen an oder lassen sie einfach laufen. Und die alten Genossen rotten sich zusammen und bilden ihre Erinnerungsvereine, treten sogar öffentlich in Erscheinung und reden das alte Regime schön. Fühlen sich als Opfer der Siegerjustiz und sagen es auch so! Betreiben Geschichtsklitterung und stoßen auf keinen nennenswerten Widerstand. Kriegen stattdessen noch Applaus!“

      „Ah, und jetzt denkst du, ich bin auch so eine. Immer noch stramm auf Linie. Du weißt nach all den Jahren nicht mehr, woran du bei mir bist! Habe ich recht?“

      „Nein, bitte! Du darfst das nicht falsch verstehen.“

      „Ich denke nicht, dass ich das falsch verstehe. Du hörst dich nämlich verdammt so an, als hättest du einen massiven Gesinnungswandel durch“, stellte Katja fest. „Wo