Dong Xi

Bereuen


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Hand mit meiner vergleichen! Du bist dafür noch zu jung und ungeschickt.“ Ich schnitt das ab, was mein Vater mit linker Hand geschrieben hatte, „Sehnsucht nach dem Vaterland“ und steckte den Zettel in ein Kuvert, fand es nicht sicher genug und umhüllte es zur Sicherheit mit einer Plastikfolie. Erst so war mir ein Stein von Herz gefallen. Ich fügte das Kuvert in ein Buch, das ich dann in meiner Schultasche versteckte, die ich anschließend an die Wand hing und legte mich endlich flach ins Bett. Kaum war ich eingeschlafen, wurde ich durch das Schnarchen meines Vaters geweckt. Daraufhin erhob ich mich leise vom Bett, holte die Tasche von der Wand und legte diese unter mein Kopfkissen. Mein Hinterkopf spürte die Härte des Buches und konnte sogar den Platz des Zettels erfühlen. Nur auf diese Weise hörte ich, wie nach dem Gebrauch von Schlaftabletten, sehr schnell die Laute der anderen nicht mehr.

      Am folgenden Tag ging ich zum Büro von Tausendjahr, dessen Tür offen stand. Ich ging hinein und übergab ihm den Zettel. Seine Augen begannen sofort hell zu leuchten. Er nahm den Zettel mit einer Hand und mit der anderen griff er flink nach dem Brief in seiner Jackentasche. Er breitete den Brief auf dem Tisch aus. Das war der Brief des Gauners an Bergfluss. Mit einer Schere schnitt er den Zettel nur mit dem Schriftzeichen „Sehnsucht“ aus. In Wirklichkeit brauchte er nur das eine Schriftzeichen, das er jetzt mit dem im Brief verglich. Seine Blicke wanderten durch den Brief und blieben stehen, wo die Zeichen standen. Er starrte sie lange an, mal von links, mal von rechts und erhob den Kopf erst, nachdem er den ganzen Brief verglichen hatte. „Der Brief zeigt neunmal das Schriftzeichen ´Sehnsucht´, wovon vier ähnlich sind; schau her!“ Ich beugte mich vor und sah es mir genau an. Er fragte dann: „Sind sie ähnlich?“

      „Ein bisschen ähnlich, aber nicht sehr.“

      „Ich bin auch nicht sicher. Für die Beurteilung brauche ich einen Fachmann. In den folgenden Tagen musst du sehr aufmerksam sein. Gibt´s dann irgendwas Neues über deinen Vater, sage mir sofort Bescheid.“

      Mein Vater schnarchte vor Mitternacht viel. Oft stand er nach Mitternacht auf und trank kaltes abgekochtes Wasser aus der Kanne, die auf dem Tisch stand. Er gab dabei einen besonders hellen Laut von sich. Onkel Yu aus der Nachbarschaft zeigte mir öfters zwei Finger und sagte: „Dein Vater hat letzte Nacht wieder zwei Kannen geleert.“ Mein Vater trank deshalb so viel kaltes Wasser, weil er sich zu warm fühlte. Seiner Meinung nach fingen in der Nacht alle vitalen Organe an zu brennen, auch sei er gar nicht müde. Einmal mitten in der Nacht fächelte er sich Luft zu, ging im Haus auf und ab, klatschte ständig nach Moskitos auf seinem Arm und sprach laut: „Hört ihr, hört ihr, wie lästig das ist! Ob man so noch weiterleben kann!“

      Ich wurde dadurch aufgeweckt. Eine weibliche Stimme stöhnte leise, mit Unterbrechungen, mal hörte sie auf, mal stöhnte sie weiter, mal klang es vom Dach herab, mal außerhalb vom Fenster. Ich spitzte meine Ohren und überlegte lange, bis ich die Stimme der Tante Fang identifizierte. Sie schien schwer unter Schmerzen zu leiden und unterdrückte mit Mühe das Schreien. Aber langsam konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Ach ja, Ach ja“, stöhnte sie laut auf. Die Geräusche wurden immer heftiger und ihre Stimme erhob sich immer mehr. Mit dem lauteren Stöhnen fing ihr Bettbrett zu knarren an. Nach meinen Lebenserfahrungen muss ein Bett erst damit anfangen, wenn man sich vor Schmerzen unruhig hin und her wälzt. Mein Vater ging an das Bett meiner Mutter und klopfte zweimal. „Hör mal, hör mal das an!“ Meine Mutter gab keinen Laut von sich, sie schlief wie ein Stein. Mein Vater schlug sich auf den Schenkel und ging aus dem Haus.

      Meistens nach Mitternacht nahm mein Vater am Wasserteich vor dem Haus eine kalte Dusche. Er goss sich kühles Wasser über den Kopf, duschte sich lange, als wollte er das große Feuer im Körper löschen. Nach der Dusche saß er still auf der Betonbank. Anfangs saß er tatenlos herum, später hatte er gelernt, mit billigen Zigaretten die Zeit totzuschlagen. Er rauchte eine nach der anderen. So verbrachte er Stunde um Stunde und ließ keine Sekunde die Zigaretten ausgehen. Er sagte mir einmal, das Rauchen vertreibe zwar keine Sorgen, aber die lästigen Mücken. Onkel Yu musste jede Nacht unbedingt einmal urinieren, pünktlich wie unsere riesige Holzuhr an der Wand. Manchmal ging er zum Klo hinter dem Lager, aber ab und zu, um ein paar Schritte zu ersparen, pinkelte er unter den Baum vor dem Haus; ein Wasserlassen im Freien. Obwohl er die mit der Zigarette hell beleuchteten Finger meines Vaters sah, machte er nicht mal ein Zeichen des Grußes. Er fühlte sich abgehoben wie ein stinkreicher Mensch, der keine Lust hätte, mit einem Bettler zu verkehren.

      Einmal war Onkel Yu gerade dabei, sein bestes Stück herauszufischen, da schrie mein Vater ihn an: „Grünhügel“. Onkel Yu kriegte einen Schock und es kam kein Urin mehr, als litte er plötzlich an einem Blasenverschluss. Ein lange in Vergessenheit geratener Ruf ließ seinen Mund unbewusst hervorstoßen: „Jung...Jungherr.“ Das war eine Anrede aus der alten Zeit. Damals war Onkel Yu noch ein junger Buchhalter in der Firma meines Großvaters. „Grünhügel“ war der Name, den mein Großvater ihm gegeben hatte. Nach der Gründung des Neuen China glaubte er, an Ausstrahlung zu gewinnen, wenn er sich warmherzig gab und änderte seinen Namen in „Wärmespender“. Er band seine kurze Hose zu und näherte sich meinem Vater: „Es ist noch Nacht. Du sitzt immer hier?“ Mein Vater seufzte: „Könnt ihr etwas leiser sein? Kannst du veranlassen, daß Zierapfel nicht so laut ist? Ich war eigentlich entschlossen, ein Leben lang vegetarisch zu essen. Das Geschrei von deiner Frau macht mir aber wieder Appetit auf Fleisch. Man fühlt sich wie in einen heißen Ölkochtopf gefallen. Was für ein Leiden für mich!“

      „Dies miese Geschöpf! Ich hinderte sie am Schreien, aber sie konnte nicht anders. Das nächste Mal lege ich ein Kopfkissen auf ihren Mund.“

      „Da kriegt sie keine Luft mehr. Das ist lebensgefährlich.“

      „Was für ein komisches Haus das ist! Man hat für sich kein Geheimnis mehr. Hätten wir unsere Immobilien nicht spendiert, würden wir gar keinen stören, auch wenn wir so laut wie ein Lautsprecher wären.“

      Sie unterhielten sich kurz und dann ging Onkel Yu. Ungern Abschied nehmend rief mein Vater noch einmal „Grünhügel“. Onkel Yu drehte seinen Kopf: „Ist noch was?“ Mein Vater zögerte einen Augenblick. „Lassen wir das! Du kannst gehen!“ Onkel Yu kam zurück: „Seid ihr knapp bei Kasse? Brauchst du etwas Geld?“ Mein Vater schüttelte den Kopf. „Diese Sache, die traue ich mir noch nicht auszusprechen...“

      „Ist es denn noch schwerer als Geldleihen, um den Mund aufzumachen?“

      „Das ist wie eine Narbe am Körper. Man schämt sich, das zu zeigen. Nach dem Seminar scheint meine Frau Lebensfroh plötzlich im Kopf nur ein blankes Papier zu sein. Sie ist danach so prüde geworden, daß ich mich ihr nicht mehr nähern kann. Es ist zehn Jahre her, daß ich so ein Leben nicht mehr habe, wie du es in der Nacht hast. Ich fürchte, das nicht länger aushalten zu können, falls es so weiter geht...“

      „Eure Zankereien haben wir alles mitbekommen, nur nicht verstanden, warum sie sich so benimmt.“

      „Sie findet das schmutzig. Ihrer Meinung nach soll man als erhabener Mensch darauf verzichten. Sie ist beeinflusst durch ihre Leitung. Ich lebe seit fast zwanzig Jahren mit ihr. Sie hört mir ungern zu, sie hört nur auf ihre verdammte Leitung. Ich weiß nicht, welche Zauberkraft ihre Leitung hat!“

      „Ob man ihr etwas Medizin verschreiben lassen kann?“

      „Alles ausprobiert, alles ohne Wirkung. Mehrmals war ich dabei, Fehler machen. Ich hatte aber Angst, bestraft zu werden. Manchmal habe ich sogar ans Sterben gedacht. Grünhügel, hilf mir bitte!“ „Das ist weder wie Bodenkehren oder Tischwischen, noch wie Wassertragen oder Reiskochen. Wie kann ich dir helfen?“

      Mein Vater kniete sich blitzartig vor Onkel Yu: „Grünhügel, ich bitte dich! Nur du kannst mir helfen!“ Onkel Yu schien etwas verstanden zu haben. Seine Stimme begann zu zittern. „Lang-wind, wie kannst du sowas denken! Auch der Bruder von derselben Mutter könnte dabei nicht helfen!“

      „Nur einmal, erweis mir und Zierapfel eine Gnade! Ich werde im nächsten Leben vier Räder haben, um mich zu revanchieren.“

      Onkel Yu drehte sich um, ging fest entschlossen weg. Die Kieselsteine unter seinen Füßen flogen auf. Mein Vater kniete starr wie ein Stück Eisen lange da.