Andrea Rottloff

Geformt mit göttlichem Atem


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vielfach als Luxusware hohe Preise erzielte, später jedoch dank der Erfindung des Glasblasens zur allgegenwärtigen, nun erschwinglichen Massenware wurde.

      Glas ist eine Mischung aus Quarz, Natron oder Soda sowie Kalk, die bei Temperaturen ab 800° C Hitze formbar wird. Gießflüssig wird sie allerdings erst bei etwa 1.200° C, einer Temperatur, die mit antiken Mitteln noch nicht zu erreichen war. Mit welcher Temperatur man arbeitete, hing von der chemischen Zusammensetzung der Schmelze ab, den technischen Möglichkeiten des offenen Feuers oder Ofens sowie davon, welche Art von Glasobjekt man daraus zu schaffen gedachte – besonders in der Römerzeit kamen neue, nie zuvor gesehene Verarbeitungs- und Verzierungstechniken auf, die in diesem Band schlaglichtartig besprochen werden sollen.

      Der Legende nach (Plin. nat. 36, 190f.) wurde das Glas zufällig „an einem Levantestrand“ entdeckt, dessen Sandzusammensetzung die Glasschmelze begünstigte, und in Verbindung mit dem Lagerfeuer die ersten amorphen Glasbrocken hervorbrachte. Dies fiel auf und so wurde von da an das neue Material mittels Versuch und Irrtum über Jahrhunderte hinweg erprobt. Die erfolgreichen Rezepte gab man an die nächste Generation weiter, hielt sie aber wohl noch nicht schriftlich fest. Wichtigstes Grundelement ist demnach Quarzsand, der, abhängig von seinem natürlichen Vorkommen, so rein sein sollte wie nur möglich. Dazu kommt ein Flussmittel zum Senken des Schmelzpunktes – in der Antike verwendete man hierzu fast immer Natriumkarbonat bzw. Soda –, sowie einen sog. Stabilisator, der verhindert, dass sich das Glas in Wasser auflöst. Dazu wurde normalerweise Kalk verwendet, der idealerweise bereits mit im Sand enthalten war und dementsprechend nicht eigens zugesetzt werden musste.

      Die natürliche Farbe der Glasschmelze ist das sog. Blaugrün, dessen Schattierung vom natürlichen Eisengehalt des Sandes abhängig ist. Alle anderen, bunteren Farben müssen durch die Zugabe von Mineralien erzeugt werden. Dabei ergibt beispielsweise eine Beimischung von Mangan Rotviolett, die Kombination von Antimon und Blei ein opakes Gelb oder – sicher am bekanntesten – Kobalt, ein leuchtendes Dunkelblau. Rein rote Gläser sind dagegen in der Antike sehr kostbar und selten und werden erst im Mittelalter häufiger. Sie besitzen einen hohen Kupferanteil, der bedingt, dass sich die Glasmasse der Oberfläche unter bestimmten Umständen zu Grün hin verändert: eine noch nicht oft nachzuweisende Reaktion.

      Völlig farbloses Glas war lange Zeit sehr selten, da es ebenfalls schwer herzustellen war. Erst in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. wurde es möglich, durch die Zugabe bestimmter Mineralien auch farbloses Glas in größerer Menge zu produzieren. Dabei ist im Nachhinein nur schwer festzustellen, ob ein Glas nun bewusst entfärbt wurde oder nicht. Zwar existieren ganze Gattungen absichtlich entfärbter Gläser (die Facettbecher oder das „bessere“ geformte Tafelgeschirr, s. u.), aber oftmals ist es neutraler, den Terminus „farblos“ zu verwenden, vor allem dann, wenn ein Glas nicht chemisch analysiert wurde.

      Ähnlich problematisch ist die Bezeichnung „schwarzes“ Glas, das in der Antike ebenfalls noch nicht herzustellen war. Daher muss man sehr genau hinsehen (am besten durch den Bruch einer Scherbe oder eines Armreifens), um zu erkennen, ob an sich schwarz wirkende Gefäße oder Schmuckstücke eigentlich dunkelst Rotviolett, Braun oder aber Oliv sind. Inzwischen gibt es umfangreiche Studien, die sich mit den „schwarzen“ Gläsern des 1. und des 3. Jhs. befassen, die jeweils eine eigene Gruppe mit charakteristischen Gefäßformen bilden.

      Von der eigentlichen Glasfarbe zu unterscheiden ist die sog. Iris, ein Verwitterungsprodukt, das entsteht, wenn ein Glas Umwelteinflüssen, etwa im Boden, unterworfen ist. Dabei kommt die Dichte der Verwitterung zum einen auf die beeinflusste Glasmasse an, zum anderen auf die chemischen Bedingungen, unter denen das Glas im Boden lagert. In den Nordwestprovinzen ist die Irisschicht oft sehr dünn und bei frührömischen Gläsern kaum zu erkennen. Dagegen bildet sich an Gläsern aus dem (östlichen) Mittelmeerraum in der Regel eine dichte, leuchtend regenbogenfarbig schillernde Irisschicht, die es ermöglicht, auch Gläser in Museums- oder Sammlungsbesitz, die keine Fundortangaben mehr besitzen, eindeutig einer östlichen bzw. allgemein mediterranen Provenienz zuzuschreiben.

      Glas ist seit der Bronzezeit (ca. 2500 v. Chr.) als eigenständiger Werkstoff bekannt, der zunächst nur für geformte Perlen, Schmuckstücke, Geräte und Intarsien verwendet wurde. Erst später wagte man sich an die ersten kleinen Gefäße wie den Kelch mit Königskartusche des Thutmosis III. (um 1450 v. Chr) in der Ägyptischen Staatssammlung München, das älteste sicher datierte Glasgefäß der Welt. Bekannt sind außerdem u. a. die figürlichen ägyptischen Einlagen für Möbel oder Schreine, die mykenischen Colliers aus kleinen gepressten Plättchen, die Gesichts- und Augenperlen oder die zahlreichen Sandkerngefäße des 6.−1. Jhs. v. Chr.

      Im Laufe der Erforschung des antiken Glases haben sich immer wieder WissenschaftlerInnen daran gemacht, das ihnen vorliegende Glasmaterial typologisch zu ordnen und zu untergliedern. Einige dieser meist regionalen Typologien ließen sich jedoch auch allgemeingültig verwenden. In der Regel benennt man einen Gefäßtyp mit dem entsprechenden Familiennamen der Forscherin oder des Forschers (Antikes Glas galt in der Wissenschaft lange Jahre abschätzig als „Frauenthema“, weil sich angeblich besonders gerne Forscherinnen damit beschäftigten) sowie mit einer Ordnungsnummer, also z. B. „Isings 3“ für die Rippenschalen. Im Folgenden sollen einige wichtige ForscherInnen ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt werden, deren Namen der Leserin und dem Leser in diesem Buch wieder begegnen werden, weshalb die Forschungsgeschichte – ungewöhnlicherweise – hier direkt an den Anfang des Textes gerückt wurde. Eine der ersten Glastypologien wurde 1913 von dem Franzosen Jean Morin-Jean erstellt und umfasst vor allem Funde aus Gallien. 1957 folgte dann die holländische Klassische Archäologin Clasina Isings, deren umfassendere Einteilung bis heute weithin verbreitet, akzeptiert und nach wie vor in Benutzung ist. Die Trierer Typologie von Karin Goethert-Polaschek entstand 1977 und deckt weitere Detailunterscheidungen von Gläsern ab, die meist dem rheinisch-moselländischem Spektrum entstammen. Am umfangreichsten ist bislang mit 180 Typen das 1990 erschienene Standardwerk von Beat Rütti über die römischen Gläser in Augst und Kaiseraugst. Die von der Hand der Autorin stammende, 244 Typennummern inklusive der Kleinfunde und Perlen umfassende Vorlage der Gläser aus dem römischen Augsburg wurde 1997 fertiggestellt, ist aber bis heute nicht gedruckt erschienen. So gibt es mittlerweile nur noch wenige Glasformen, die noch nicht typologisch „angesprochen“ werden können.

      Im Gegensatz dazu haben andere Forscher wie der in Mainz geborene Fritz Fremersdorf bei der Aufarbeitung der Kölner Gläser ganz auf die Vergabe von Typnummern verzichtet – in Anbetracht der dortigen Materialfülle nicht wirklich nachzuvollziehen. Wie eine solche Kölner Typologie in Ansätzen aussehen könnte, zeigte kürzlich Dela von Boeselager in ihrer Bearbeitung eines vergleichsweise kleinen, aber wichtigen Teils der Kölner Gläser, der Funde aus dem Gräberfeld an der Luxemburger Straße. Ebenfalls zahlreiche Glasfunde aus Grabfunden behandelt Renate Pirling in ihrer mehrbändigen Vorlage des römisch-fränkischen Gräberfeldes von Krefeld-Gellep am Niederrhein. Ihre Typologie ist nicht so einfach erschließbar, da sie Glas- und Keramiktypen von Band zu Band durchzählt. In den letzten Jahren hat sich die Glasforschung allerdings weg von reinen Typochronologien hin zu naturwissenschaftlichen Analysen bewegt, was einerseits sicher richtig und verständlich ist, andererseits aber problematisch, denn das umfangreiche Typenspektrum antiker Gläser ist noch lange nicht aufgearbeitet. Ideal wäre daher eine parallele, ineinandergreifende Weiterentwicklung beider Methoden.

      In der zweiten Hälfte des 20. Jhs. Jhs. versuchte man vor allem in Deutschland und der Schweiz, nicht nur die Formen, sondern auch die Farben römischer Gläser einer standardisierten Ansprache zu unterziehen. Da es aber keine hierfür geeigneten Farbtafeln gab, erstellten Forscher wie Ludwig Berger und Beat Rütti ihre eigenen, die jeweils in ihren Publikationen wiedergegeben sind. Viele andere ForscherInnen behalfen sich mit dem Farbenführer für Briefmarkensammler (Michel) oder dem Farbfächer von Pantone®. Dabei ergab sich jedoch immer wieder folgendes schwerwiegende Problem: Die Farbe einer bunten Glasscherbe wirkt je nach Lichteinfall