Rainer Hamberger

Verschollen am Nahanni


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Leider ergab sich dazu keine weitere Gelegenheit. Eines Tages wartet ein Brief von Mabel in seinem Postfach. Freudig öffnet er den Umschlag und holt das beschriebene Blatt heraus, um es kurz danach enttäuscht sinken zu lassen: „Lieber Uwe, ich gehe nach Winnipeg, da meine Mutter schwer an Krebs erkrankt ist. Bitte versuche nicht mich dort zu erreichen. Meine Stelle im Restaurant habe ich aufgegeben. Bitte verstehe meine Entscheidung. Vielen Dank für alles, deine Mabel.“ Uwe kann nicht glauben, was da schwarz auf weiß steht: Mabel will keinen Kontakt mehr zu ihm. Dabei war er so sicher, dass diese Beziehung klappen könnte.

      Nach neunzehn Jahren? Du hast sie wohl nicht alle!“

      Sandy Foster geht erregt in seinem kleinen Büro in dem hölzernen Flugzeughangar auf und ab, seine Fäuste tief in den Hosentaschen vergraben. Dann hält er plötzlich inne und dreht sich zu Uwe Breuer um, dem die Szene ganz offensichtlich peinlich ist.

      „Tut mir wirklich leid, dich enttäuschen zu müssen“, sagt Uwe mit gepresster Stimme. „Aber ich kann und will davon nicht mehr zurück.“

      „Nun sag' doch mal selbst, Uwe. Du bist jetzt fast genau neunzehn Jahre bei mir, hast fast dreieinhalbtausend Stunden auf allen möglichen Buschflugzeugen geflogen, kennst das Land im Norden wie deine Westentasche und bist der verdammt beste Flugzeugmechaniker weit und breit. Du verdienst gut, und jetzt willst du partout auf Knall und Fall abhauen. Ich verstehe das einfach nicht.“

      Er räuspert sich erregt und fuchtelt mit den Händen in der Luft herum.

      „Überhaupt, was reizt dich denn so sehr an British Columbia? Die Berge, oder was? Kennst du denn da überhaupt einen Menschen?“

      „Ja, das ist ja gerade der Grund, ich habe da jemanden kennengelernt, im letzten Jahr, als ich mit der Beaver den amerikanischen Fischer herumgeflogen habe, eine Frau.“

      Man sieht ihm deutlich an, dass er nicht gerne davon spricht.

      „Du hast doch sonst nicht viel mit Frauen im Sinn gehabt“, fährt es Sandy unfreiwillig heraus, beißt sich aber auf die Lippen, als er merkt, welchen doppelten Sinn seine Worte haben.

      „Ich meine, du hast doch hier nie eine längere Beziehung zu einer Frau gehabt!“

      „Ich weiß, du bist jetzt wütend, sonst würde ich dir die Bemerkung verdammt übelnehmen. Sandy, das ist ausschließlich meine eigene Sache!“ knurrt Uwe gekränkt.

      „Entschuldige, ich habe das nicht so blöd gemeint, wie es heraus kam.“

      Sandy gewinnt etwas von seiner Beherrschung zurück.

      „Sag mal, Uwe, willst du dir das nicht nochmal überlegen? Wie wäre es, wenn du als mein Partner hier bliebst?“ fügt er mit einem verstohlenen Seitenblick ein wenig listig hinzu.

      „Geld ist nicht mein vordringliches Problem, Sandy. Du hast Recht, ich bin nach meiner Ehescheidung vor zwanzig Jahren mit Frauen nicht mehr klargekommen, das liegt wohl an mir. Aber mit Mabel, das ist die Frau aus Yellowknife, da ist das eine andere Sache. Ja, ich hab' sie vor einem Jahr getroffen und wir haben uns gut verstanden. Sie ist dann nach Winnipeg gezogen, wo sie ihre Mutter zu pflegen hatte. Vor ein paar Tagen hat sie mir nun geschrieben, dass die arme Frau an Krebs gestorben ist. Sie ist jetzt frei und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihr zusammen ein Motel oben im Norden zu übernehmen, das da zum Verkauf steht. Ich könnte dort die gut gehende Reparaturwerkstatt noch ausbauen und nebenbei als Buschpilot Jäger und Fischer fliegen. Ich hab ja ganz schön was zusammengespart und Mabel auch. Und wenn man mal über die zweite Hälfte der Fünfziger ist, dann wird es ja wohl langsam Zeit, dass man sich etwas Eigenes schafft.“

      Sandy hat sich beruhigt.

      „Na ja, das klingt ja alles wohl überlegt. Da werde ich nichts mehr ausrichten können. Ist ja auch nur, weil ich dich so verdammt ungern verliere. Uwe, du bist ein feiner Kerl, auf den ich mich immer verlassen konnte. Ich wünsche dir Glück! Wann willst du denn gehen?“

      „Mabel kommt in zwei Monaten aus Winnipeg zurück. Bis dahin könnte ich Ralph Lister entsprechend einarbeiten. Der ist ein guter Mann, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Übrigens noch was – du hast mal erwähnt, du wolltest die Cessna verkaufen?“

      „Du meinst die 180er auf Schwimmern? Ja, die ist für einen Charterbetrieb wie den unsrigen einfach ein bisschen schwach. Ich habe da eine neue Cessna 185 im Auge, die schleppt erheblich mehr. Aber warum fragst du?“

      „Wenn der Preis richtig wäre, würde ich sie dir gerne abkaufen. Ich könnte während der verbleibenden Freizeit die Kiste richtig auf Vordermann bringen und neue Instrumente einbauen.“

      Sandy Foster denkt einen Moment nach und setzt dann eine fast feierliche Miene auf.

      „Ich will dir mal was sagen, Uwe! Mein Geschäft hat nicht zuletzt so gut floriert, weil du all diese Jahre so verdammt tüchtig warst. Du weißt am besten, was die Maschine wert ist. Sag mir deinen Preis. Du sollst sie dafür haben.“

      Und nochmals herzliche Glückwünsche, Peter! Wann geht es dann mit dem Studium los?'“

      „Mit dem Wintersemester, ich hatte Glück, dass ich gleich einen Studienplatz in Köln bekam.“

      „Na ja, bei deinen Abiturnoten! Wir werden uns vorher sicher nochmals sehen. Unser Jochen wird ja auch einundzwanzig in diesem Sommer, im August. Da hoffen wir, dich mit deinen lieben Eltern zu unseren Gästen zählen zu dürfen.“

      Die Augen des etwas pompös wirkenden Endfünfzigers im dreiteiligen dunklen Nadelstreifenanzug suchen in der Runde der sich verabschiedenden Paare nach dem Gastgeber und der Dame des Hauses.

      „Da sind Sie ja, mein lieber Harder!“, sagt er mit seiner etwas schnarrenden Stimme, auf den Hausherrn zusteuernd, „also ich kann Ihnen nur zu dem Jungen gratulieren. Ich wollte, ich hätte so einen Erben! Bei ihm stimmt einfach alles.“

      „Ja, er ist ein guter Junge. Jetzt, wo er den Wehrdienst hinter sich hat, liegt die Welt offen vor ihm.“

      „Ach er war ja bei den Fallschirmjägern in Nagold, nicht wahr? Ist meine alte Waffengattung, Monte Cassino und so. Peter ist sportlich und hat wohl auch Disziplin im Leib.“

      „Ja, er hat auch den Reserveoffiziers-Lehrgang mit Leichtigkeit geschafft“, lässt Karl Harder mit sichtbarem Stolz im Blick einfließen.

      „Sehr gut, sehr gut! Also lieber Harder, wir sehen uns dann wohl nächste Woche, zusammen mit den Herren meiner Planungsabteilung. Da können wir die Steuergeschichte nochmals durchsprechen.“

      Eine rasche Wendung zu Inge Harder, die hinzutritt.

      „Liebe gnädige Frau, herzlichen Dank für die großartige Gastfreundschaft in Ihrem schönen Hause“, er küsst ihr galant die Hand, „und auch Ihnen nochmals Glückwunsch zu diesem Sprössling. Toller Junge! Aber das darf man ja jetzt gar nicht mehr sagen“, er greift lachend nach der Hand von Peter, um sie kräftig zum Abschied zu schütteln.

      „Er ist ja schließlich ein erwachsener Mann!“

      Und nach einem kurzen, auffordernden Nicken zu seiner etwas verschüchtert wirkenden Frau, geleitet er sie aus der Haustür, wo im hellen Licht der Gartenkandelaber der schwere Mercedes vorgefahren ist. Der Fahrer schließt die Türe hinter ihnen.

      „Dieser Harder ist ein tüchtiger Mann“, lässt sich aus dem Fond die urteilsgewohnte Stimme vernehmen, „und seine Frau, ich muss schon sagen, sehr gepflegtes Haus! Und der Sohn, der wird mal was! Ich wollte, unser Filius wäre auch so zielbewusst. Aber der hat ja nur Partys im Kopf! Na ja, immer noch besser, als wenn er sich auf diesen Demonstrationen herumtriebe!“ Der Wagen fährt an.

      Karl Harder hat im Vestibül die letzten Gäste verabschiedet. Er schaut auf die Armbanduhr, als er sich zu seiner Frau umdreht.

      „Hat alles sehr schön geklappt, Inge, wirklich prima!“, sagt er anerkennend.