Stanley Deschle

Das Lachen des Pimmel-Gottes


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leitete in eine Ballade über und eine wohlige Entspannung wie Opium kam über mich. Ich konnte genießen, ich erkannte mit Klarheit: welche Erfindungsgabe, keine Note roch modrig, mühselig, abgestanden oder hübsch. Ich jauchzte und schrie: keiner drehte sich nach mir um. Wir alle waren in ihrem Bann und sie nahm keine Gefangenen. Ich schüttelte den Kopf, Schweißtropfen flogen, wie wenn ein nasser Hund sich schüttelt: ja, das war ich: ein nasser Hund, verdammt.

      Und sie: der Arschloch-Engel schlechthin. Sie war kalt, sie tat weh, sie war Genie, sie war original: keine Sopran-Diva aus Tränen gewaschenem Porzellan, keine vor Gefühl triefende und klebende Soul-Mama. Sie war ein Rätsel vor Gott, sie war die Essenz des Blutes, sie war der Fluch des Uralten, auf uns arme Seelen geworfen, da wir vergessen hatten.

      Und jetzt kommen mir diese Worte wie milchiger, schlaffer Abglanz vor; ich kann es nicht wieder erwecken. Ich kann die Symbole nicht deuten; die Sprache, sie öffnet sich mir nicht weit genug; ich kann nicht so tief blicken in meine Kunst, wie sie es konnte in ihre. Vor allem aber sind diese Wörter tot, bewegungslos – und ich schwöre: das damals lebte. Es war da. Was es wollte, war klar. So habe ich es nie wieder erlebt.

      Nach dem Konzert saß ich noch lange auf meinem Platz, ausgestreckt, Wörter suchend, Wörter schmeckend; verwirrt wie nach jedem großen, ersten Mal, ergeben in völliger Ruhe. Jetzt stört mich noch nicht, jetzt, dieser seltene Friede, so süß …

      Freita stand neben mir, wie vom Himmel gefallen.

      »Na, war ᾽ s gut?«, sagte sie.

      »Keine voreiligen Schlüsse«, sagte ich. »Ließ den fertigen Artikel.«

      Ihre Wangen flackerten leise. Sie roch nach Duschbad. Ich roch wie ein zwei Monate altes Fußhandtuch. Plötzlich riss sie mir Block und Stift aus der Hand und schrieb hastig.

      »Ruf an, wenn du fertig bist«, sagte sie, mir beides zurückgebend. Dann ging sie fort. Ich sah ihr nach. Au revoir, Chérie.

      Ich saß da, hin und wieder Fetzen von Gedanken notierend. Zeit verging.

      Vor der Bühne tauchte ein Männlein auf, schlank, bebrillt.

      »Wir würden dann gerne mal Schluss machen«, rief es.

      »Ist gut«, sagte ich aufstehend, meine Bierflasche umstoßend. Fluchend hob ich sie auf: Schaum ergoss sich aus ihr wie Magma. Ich vollzog einen kurzen Fellatio mit der Flasche, saugte den Schaum ab. Ich hatte tatsächlich vergessen zu trinken, verdammt.

      Beim Rausgehen verabschiedete ich mich im Foyer von meiner Ecke. Auf den Stufen vorm Eingang blieb ich stehen, atmete tief in der milden Nachtluft, Hände auf die Hüfte gestemmt.

      Was für ein Götterstreit!

      Und Pierretot: bist du Sieger? Oder: Remis? Pha, Remis! Pierretot, steh nicht zurück. Du bist jetzt am Zug, du Freund der Wörter, du Meister der Wörter, Vater so unzähliger, brillanter – Vater … ja, du bist Vater einer Tochter, stimmt. Was machst du hier? Deinen Job? Nun, der ist getan.

      Ich ging zur Bushaltestelle, sah auf die Uhr meines Mobiltelefons: 0.57 Uhr! Verdammt, die letzte Bahn war weg. Ich besaß kein Ticket, was ich dem Busfahrer hätte zeigen können. Mein Geld war für das Bier und die Eintrittskarte draufgegangen. Taxi kam also auch nicht in Frage. Man könnte sich ja zur Bank aufmachen und … ach, drauf geschissen.

      Ich rollte mir eine Zig und begab mich auf den Heimweg – zu Fuß, rauschend vor Gedanken, brennend vor Wörtern.

      Ein bedeckter Himmel zeigte mir seinen Arsch, aber ich sah nur eine einzige Vagina darin.

      Der Heimweg war ein eitriger Rattenschwanz. In mir glühte es noch und als ich mich zu Hause an meine Frau kuschelte, schoss mir das Blut in den Penis wie sonst nur das Sperma heraus. Es half ihr nichts zu schlafen. Ich weckte sie auf, gab keine großen Worte oder Zärtlichkeiten, bestieg sie und rammelte sie durch, versklavte sie.

      Vor meinem inneren Auge flackerte hin und wieder Freitas Abbild auf und die Erinnerung und die Wirklichkeit verschmolzen in einem Wirbel aus Stöhnen und Schweiß.

      Ein Tor tat sich auf und beinahe wäre ich hinübergestürzt; aber in diesem Moment kam es mir.

      Was bist du nur für eine Kanaille, Pierretot? Du Drecksack, du Hure, deren Zuhälter deine Geilheit, deine Eitelkeit ist. Was kommt als nächstes? Lässt du dir von einem 80jährigen Konzertmeister einen blasen? Oder bläst du ihn?

      Wenn du nicht schreiben würdest; aber die Wörter retten dich auch dieses Mal noch, treten für dich als Leumund auf. Dieses Mal vielleicht noch.

      Schlaf jetzt. Gib deinem schlaffen Körper, der daliegt wie ein seniler Dudelsack, der vor-sich-hin-atmet in seiner belanglosen Hässlichkeit; gib ihm Schlaf; schlaf jetzt, Pierretot.

      Grau war der Morgen. Ich erwachte auf dem Bauch, ein feuchter Fleck Speichel unter meiner rechten Wange.

      Ich stand auf, ging ins Bad und wusch mir das Gesicht. Da war das Abbild Pierretots im Spiegel. Ein hübsches Portrait, oh ja! Hohe, faltige Stirn, umstanden von zurückweichenden, schwarzen Haaren, Stoppeln über gräulich brauner Haut, grüne Augen, neben dem rechten ein Leberfleck mit zwei schwarzen Haaren wie die Fühler eines Schmetterlings.

      Gut gewachsene Nase; ja deine Nase ist schön, Pierretot, Punkt für dich. Aber sonst: traurig. 42 Jahre: ein zweiundvierzigjähriger Leberfleck mit Schmetterlings-Fühlern. Aber: die Wörter. Schreib deine Kritik, mach was aus dir!

      Doch zunächst setzte ich mich aufs Klo und schiss.

      In der Küche braute ich mir einen türkischen Kaffee und schlug zwei Eier in die Pfanne. Als sie fertig gebraten waren, schob ich sie auf einen Teller und trug sie und den Kaffee ins Wohnzimmer. Ich schaltete den Rechner ein und sah ihm essend beim Hochfahren zu. Dann suchte ich meinen Notizblock. Ich fand ihn in meiner Lederjacke. Ein Blick darauf brachte mich die zwölf Stunden zurück in den Konzertsaal.

      Ich trank den Kaffee und begann zu schreiben: eine Seite, zwei. Ich druckte das Dokument aus.

      Beim zweiten Korrigieren, hörte ich das Öffnen der Wohnungstür. Meine Frau, Rita, war vom Einkaufen zurück. Sie stellte die Tüten mit den Einkäufen in die Küche, packte sie aus & packte sie weg. Dann kam sie zu mir und küsste mich auf die Stirn.

      »Na?«, sagte sie. »Endlich wach?«

      »Mhmm«, sagte ich.

      »Du hast mal wieder fürchterlich geschnarcht, die Nacht.«

      »Ja?«

      Sie küsste mich wieder. Ich gab ihr drei Küsse zurück.

      »Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie’s war«, sagte sie.

      »Dann bitte«, sagte ich und gab ihr die korrigierten zwei Seiten. Sie setzte sich hin und las. Als sie mir die Seiten zurückgab, sah sie mir ernst in die Augen.

      »Aha«, sagte sie.

      »Wie bitte?«, sagte ich.

      »Aha, wenn du meinst.«

      »Allerdings«, sagte ich und begann die Korrekturen zu übertragen.

      »Das klingt, als hättest du dich verliebt in die Kleine.«

      »Den Anschein soll es erwecken. Aber es ist die Musik, in die ich mich verknallt habe.«

      »Klingt mir nicht nach einem objektiven Urteil.«

      »So was gibt es nicht. Urteile …«

      »Ich will mich nicht mit dir streiten«, unterbrach sie mich. »Mach einfach.«

      Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Ich sah ihr nach. Ihr runder freundlicher Hintern, der sinnlich gebogene Rücken, die braunen Locken: ich liebte sie. Aber ich hatte sie schon mehr geliebt, damals, nach der Niederkunft. Jetzt bemerkte ich immer mehr, wie sehr es sie verändert hatte, die Mutterschaft; und das es sie entstellt hatte, ein wenig.

      Sie musste es gefühlt