Christa Mühl

Seniorenknast - wir kommen!


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schmunzelt sie.

      Paul stochert in den Zwiebeln und Tomaten auf seinem Teller herum. „Ehrlich gesagt – es muss nicht Roland gewesen sein. Ich hab’s vergessen. Manchmal hab ich Schwierigkeiten mit den Namen …“ Mira feixt. „Alzheimer, ick hör dir trapsen!“

      Sie fängt sich einen bösen Blick von Katharina ein und schaufelt sich schnell Fleisch, Kohl und Tomaten in den Mund.

      „Schmeckt supi!“

      Katharina und Paul werfen sich einen kurzen, vielsagenden Blick zu. Dann beginnen auch sie zu essen.

      Später, als alle drei ziemlich schweigend die kleine Mahlzeit beendet haben, räumt Mira das Geschirr zusammen und verschwindet Richtung Küche.

      Katharina sieht ihr nach und macht ihrem Herzen Luft. „Diese Putzi macht mich wahnsinnig. Vor allem mit ihrer frechen Berliner Schnauze!“

      Paul wundert sich über ihre Aufregung. „Ich finde die ganz nett. Und ihre freche Berliner Schnauze auch. Bisschen Abwechslung. Lebt die schon lange in Sachsen?“

      „Seit ihrem 13. Lebensjahr“, zischt Katharina.

      Paul lächelt plötzlich. „Ich kann mich doch an sie erinnern!“ Gerade will Mira wieder zurück ins Wohnzimmer, bleibt aber – von den beiden unbemerkt – hinter der Tür stehen und hält den Atem an. „Hat die nicht irgendwie einen seltsamen Vornamen?“

      Katharina nickt. „Dass du das noch weißt! Vorhin hast du so getan, als kennst du sie überhaupt nicht … Ist wohl doch nicht so schlimm mit deinem Alzheimerchen!“

      „Und wie war nun der Vorname?“

      Katharina gluckst: „Esmiralda!”

      Paul korrigiert: „Esmeralda!”

      Katharina verdreht die Augen. „Das ist doch gerade das Seltsame. Sogar in ihrem Personalausweis ist es falsch geschrieben. Ich wollte meinen Kater schon Quasomodo nennen …“

      Sie lachen beide laut auf.

      Miras Gesicht verfinstert sich.

      Katharina schaut Paul schief an, ihre Stimmung ist hin. Denn plötzlich fällt ihr etwas ein. „Hast du noch andere Erinnerungen an sie?“ Paul fragt irritiert: „Wieso?“

      „Ich hatte immer den Eindruck, die war ein bisschen verknallt in dich!“ Er schmunzelt. „Da gab´s einige … Aber eine Putzfrau? Also, nee!“ Katharina lächelt, lässt sich aber ihre Erleichterung nicht anmerken. Mira verschwindet beleidigt wieder Richtung Küche. Paul schnappt sich Thermoskanne und Keksdose.

      „Los! Zum Abendmahl könnten wir zurück sein.“

      „Die werden da gerade auf Besucher warten … Ich hab noch nie gehört, dass es in einem Knast so etwas wie Tag der offenen Tür gibt. Oder Die lange Nacht der Justizvollzugsanstalten..“

      Sie lacht. Paul kann das nicht komisch finden – was es wohl sein soll. Er steht auf. Katharina zuckt mit den Schultern. Aber irgendwie ist sie nun doch interessiert. Denn irgendwas stimmt da nicht. Sie kennt Paul zu gut.

      Der ist schon auf dem Weg. Sie folgt ihm.

      Als sie die Wohnung verlassen haben, kommt Mira tieftraurig aus der Küche.

      Sie zerrt wütend ein lila Taschentuch aus der Kittelschürze und wischt sich die Tränen weg.

      Katharina geht entschlossenen Schrittes auf die Haustür zu. Paul hält sie am Ärmel fest. „Du solltest erst mal nachsehen, ob die Luft rein ist!“

      „Ach! Vorhin hast du dir noch gewünscht, dass dich Ruppe und seine Leute bei mir antreffen!“

      Paul winkt ab. „Das war vorhin. Aber jetzt ist jetzt!“ Vorsichtig tritt Katharina aus dem Haus und sieht sich um. Kein Mensch, geschweige denn ein Polizist in Sicht. Sie schließt ihr Auto auf und gibt Paul einen Wink. Schnell huscht er auf den Beifahrersitz. Katharina schaut ihn an, wie sie früher ihre Täter angeschaut hat. Bei diesem Blick war denen nicht zum Lachen …

      Paul versichert ihr, dass er diesen Seniorenknast wirklich nur einmal ansehen will. Und wenn es nur von außen ist. Sie glaubt ihm das nicht so recht, nimmt sich aber vor, ihn während dieses kleinen Ausflugs auf andere Gedanken und zur Vernunft zu bringen.

      „Nun fahr endlich los!“

      Katharina überlegt. „Eigentlich könnten wir lieber ins Kino gehen.“

      Paul schüttelt genervt den Kopf. „Da schlafe ich regelmäßig ein!“

      „Oder in die Kneipe, an die du dich sicher erinnerst …“

      Wieder schüttelt Paul den Kopf und versucht es mit dem sonst so wirkungsvollen Mittel, die Stirn in kräftige Falten zu ziehen. „Wenn dir das zu simpel ist – ich kenne auch einen guten Italiener, gleich hier um die Ecke!“

      Paul findet eine uralte Landkarte im Seitenfach der Autotür. Katharina nimmt sie ihm weg.

      „Wahrscheinlich hast du wirklich Schwierigkeiten mit den Ohren!“ Keine Antwort.

      „Paul, wenn die dich an der Tanke geschnappt hätten – du kannst nicht ernsthaft damit gerechnet haben, zufällig in diesen Knast zu kommen! In den Seniorenknast, ins PARADIES …“

      „Das hätte Ruppe schon irgendwie geregelt!“

      „Aha. Ruppe! Du hast also Kontakt zu ihm. Nach deiner Pensionierung wolltest du doch mit der ganzen Mannschaft nichts mehr zu tun haben?“

      Paul zuckt mit den Schultern.

      „Nicht mal zum Veteranentreffen biste gekommen! Ruppe war ziemlich sauer.“

      „Den hab ich einmal zufällig in der Kneipe getroffen, an die ich mich sehr gut erinnere … Und nun fahr! Ich sehe doch, dass du auch irgendwie gespannt bist. Auf die Festung, meine ich.“

      Oben am Fenster sieht Mira hinter der Gardine auf die Straße. Katharinas Auto rührt sich nicht vom Fleck. Sie redet auf Paul ein – das ist deutlich zu erkennen. Was quatschen die da solange? Der Kater knurrt. Mira scheucht ihn weg. Quasomodo … Die Alte war damals selbst verknallt in den Herrn Leichenfinger! „Ick doch nicht! So ein Arsch! Eine Putzfrau … Nee!“

      Die halten sich tatsächlich für was Besseres …

      Und nun sind sie weggerannt, ohne auch nur noch eine Sekunde an sie zu denken. Nicht mal verabschiedet haben sie sich. Sitzen im Auto und quatschen.

      Mira schüttelt den Kopf und geht in den Korridor. Unentschlossen steht sie einen Moment vor dem Spiegel. Eigentlich sieht sie doch noch ganz gut aus!

      Plötzlich entdeckt sie Katharinas Handtasche, die an der Flurgarderobe hängt. Zögernd greift sie danach, öffnet sie schließlich und findet darin die Geldbörse mit sämtlichen Papieren, EC- und Kreditkarte. Auch ein Impfausweis kommt zum Vorschein, ausgestellt auf „Quasimodo Schick“. Und eine Behandlungskarte vom Tierarzt. Ein Termin ist rot angestrichen. Mira schaut auf den Kalender an der Wand.

      „Det ist heute! In zwee Stunden!“

      Sie dreht sich um. Quasimodo sitzt neben einem Blumentopf, in dem eine vermickerte Grünpflanze wohnt.

      „Armet Vieh!“

      Entschlossen greift sie nach ihren Stiefelchen.

      Sie sieht sich nach dem Kater um. Quasimodo ist verschunden. Auch im Wohnzimmer kann sie ihn nicht finden.

      Sie schaut noch einmal aus dem Fenster zur Straße hinunter. Katharinas Auto ist weg.

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