Christa Mühl

Seniorenknast - wir kommen!


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sieht ihn schief an und fragt, ob er in Behandlung sei. Paul kotzt dieses Gerede an. Also, Klartext: „Ich wollte endlich eingebuchtet werden!“

      Katharina fährt fast gegen eine schlecht geparkte Luxuslimousine und tritt auf die Bremse. Dem dicken Mercedes hinter ihr gelingt ein Ausweichmanöver. Der Fahrer kriegt die Kurve und zeigt ihr einen Vogel. Den merk ich mir, denkt sie. Und notiert das Kennzeichen auf einem vollgekritzelten Zettel, der über dem Autoradio befestigt ist. „Bist du nun in Behandlung“, fragt Katharina noch einmal, leise. Paul sieht sie fassungslos an. Die hat echt eine Mattscheibe! Dabei war sie ihm früher nicht gleichgültig. Da kann man mal sehen, was das Alter aus den Leuten macht … Fast steigen ihm Tränen in die Augen. Katharina entgeht der Umschwung seiner Gemütsverfassung nicht. Sie bereut ihre grobe Fragerei und ist nun selbst dem Heulen nahe. Sie sehen sich kurz an – und fast wäre es schon wieder zu einem Auffahrunfall gekommen.

      „Früher hast du gesagt, die Alten sollten ab 65 noch einmal den Führerschein machen!“ faucht Paul.

      Katharina schüttelt den Kopf. Das soll sie früher mal gesagt haben? „So ein Schwachsinn! Hat dir irgendwer in die Zentrale gekackt – oder was?“

      Paul ist endlich wieder in der Wirklichkeit angekommen. Das ist Katharina!

      „Du redest noch immer so, wie im vorigen Jahrhundert. Und du reißt den Fall an dich – wie in alten Zeiten. Ich will aussteigen!“ Katharina tritt kräftig aufs Gaspedal. Jetzt mischt der sich ein – wie früher.

      Sie zupft ihn am Ohr. Wie früher.

      „Was für’n Fall, Paul?“

      Er schweigt.

      Katharina fährt langsamer. Sie überlegt, sucht nach einem Plan. Früher fiel ihr in solchen Situationen sofort etwas ein. Aber nun … Nun hilft ihr der Zufall!

      „Da vorn ist eine Dönerbude.“

      Sie hat den Besitzer mal aus einer schlimmen Situation gerettet. Ob es ihn noch gibt? Ob der sie noch kennt? Ob sie an diesem gefragten Ort eine Parklücke findet? Ob Paul abhaut?

      Paul wittert seine Chance. „Döner find ich gut!“

      Katharina nickt zufrieden. Und dann hat sie auch noch Glück: Direkt vor der Bude fährt gerade ein großes Auto raus. War das nicht dieser Mercedes – sie schaut auf ihren Zettel. Das war er. Scheiße! Aber die Lücke ist frei. Sie parkt gekonnt rückwärts ein.

      Paul überlegt einen Moment. Er sieht das saftige Fleisch am Drehspieß. „Ich hau nicht ab!“

      Katharina steigt aus und stellt sich an. Der Laden scheint gut zu laufen, es gibt eine Schlange. Wie damals im Osten, denkt sie. Doch in diesem Moment entdeckt sie der Mann, der gerade Tomaten, Salat und Rotkraut auf das saftige Fleisch in ein Fladenbrot stopft. Er läßt alles fallen, rennt aus der Bude.

      Die anstehenden Kunden kriegen vor Schreck die Münder nicht mehr zu.

      Er fasst Katharina bei den Händen, sie zu umarmen wagt er nicht. „Frau, Frau …“

      Die Türken kriegen wohl auch Alzheimer, denkt Katharina. Sie drückt ihn fest an sich. Er riecht gut – nach Zwiebeln, Knoblauch und altmodischem Rasierwasser. Sie flüstert ihm was ins Ohr. Er stürzt zurück in seine Bude.

      Katharina bekommt gerade noch mit, wie Paul langsam aber entschlossen, die Autotür öffnen will. Sie drückt auf die Fernbedienung. Paul nickt mehrmals und versucht eine versöhnliche Entschuldigungsgeste.

      Da nähert sich das Geräusch eines Sondersignals. Katharina entsichert schnell die Türen und steigt in ihr Auto, startet den Motor. Ein Krankenwagen fährt lautstark an ihnen vorbei. Katharina atmet auf, da klopft es an ihre Scheibe. Sie sieht die Plastiktüte, darin zwei Alu-Päckchen, lässt das Fenster herunter und greift nach ihrer Tasche. Der Dönerbudenchef ist schneller. „Geht aufs Haus!“

      Er wirft ihr einen Handkuss zu und ist schon wieder weg. Katharina reicht die Tüte an Paul weiter. Der schaut auf die lachenden Kunden und den winkenden Dönermann.

      Er betrachtet die windschiefe Bude. „Haus… Na ja.“

      Zum erstem Mal an diesem Tag vergisst Paul seinen Plan und schaut Katharina an. Mit seinem unwiderstehlichen Lächeln fragt er: „Zu dir – oder zu mir?“

      Gisbert ist inzwischen auf dem Weg in die Provinz. Er ärgert sich morsch, dass der Tank leer war – wer weiß, was ihm für eine Story entgangen ist. Da können die mit ihrer Krimiserie nur abstinken. Die Wirklichkeit ist eben viel spannender als das Fernsehen. Er hört seinen Bruder geradezu: „Mein Engel würde sagen: sag ich doch!“

      Also, gut – oder nicht gut: Verpasst ist verpasst. Wahrscheinlich würde er morgen in der Zeitung eine Notiz über diesen Vorfall an der Tankstelle lesen.

      Er muß sich auf den Verkehr konzentrieren. Das ist eine nützliche Ablenkung …

      Gisbert nimmt sich vor, seinen Bruder in Zukunft wirklich häufiger zu sehen.

      In den letzten Jahren hatte er sich etwas zurückgezogen, weil der Mann in einer ewig bedrückten Stimmung war. Anscheinend ist dieses Tief jetzt endlich einigermaßen überwunden.

      Sein Bruder, der Engelbert heißt, hat von Kindheit an unter diesem Namen gelitten. Was mochte in ihren Eltern vorgegangen sein, als sie den Söhnen die Namen Engelbert und Gisbert gaben? Lebenslänglich! Während Gisbert mit seinem Namen nie Probleme hatte, empfand der große Bruder seinen als eine Art Strafe. Wieso ein Neugeborener, der angeblich ein Wunschkind war, bestraft wurde, verstand er viele Jahre nicht. Um Gebrülle und Zoff zu entgehen, wurde er „Berti“ genannt. Aber das funktionierte nur, solange er klein war und sich nicht wehren konnte. Irgendwann jedoch sah er die Sesamstraße. Fortan wollte er nur Bert heißen, so wurde er auch eingeschult. Schwierigkeiten gab es nur, als ein Personalausweis fällig wurde. Aber den brauchte er ja niemandem zu zeigen.

      Nur ein einziges Mal nützte ihm sein richtiger Name. Nach der Berufsschule hatte er schon seinen Platz in der Küche des Fischrestaurants der Eltern gefunden, da kam der Einberufungsbescheid. „Zur Fahne“, wie das damals hieß, wollte er auf keinen Fall. Er rannte also zum Wehrkreiskommando und zog eine Show ab.

      „Wo ist hier das Wehr – und wo ist der Kreis?“

      Aber die Genossen winkten milde ab. Keine Chance, diese Mätzchen kannten sie wahrscheinlich zur Genüge.

      „Gut“, sagte Bert, „dann will ich zur Flugabwehr – ich muss meine Brüder und Schwestern schützen!“

      Still legte er seinen Personalausweis auf den Tisch.

      „Ich heiße nämlich gar nicht Bert, sondern Engelbert!“ Das war natürlich bekannt – schließlich hatten die ihre Unterlagen aus behördlichen und demzufolge verlässlichen Kreisen. „Ich heiße nicht nur so – ich bin ein Engel!“

      Nie hat jemand erfahren, was er dann dort veranstaltet hat. Auf jeden Fall aber wurde er ausgemustert. Er war eben ein schlauer Fuchs und blieb Bert. Doch seither war der Engel aus seinem Namen sein zweites Ich. Das grenzte in manchen Situationen schon fast an eine Persönlichkeitsspaltung. Denn er hatte seine Meinung – und sein Engel oft eine andere. Und damit lebte er nicht schlecht. Gisbert schmunzelte. Berts Engel würde jetzt sagen: „Ich brauche heute eine Thüringer Rostbratwurst!“ Und die wird er sich auch genehmigen, bevor er wieder an seinen Dienst im Sender geht.

      Die Döner duften – selbst durch die Alufolie. Katharina hat endlich einen Parkplatz vor ihrem Haus gefunden. Hinter einem klapprigen Fiat Panda, der so blöd quer steht, dass sie Mühe hat, sich einzureihen. Sie steigt aus. Paul macht keine Anstalten, ihr zu folgen. Sie setzt sich wieder neben ihn.

      „Du solltest vielleicht wirklich mal eine Therapie machen! Vor fünf Minuten hast du mich noch gefragt …“

      Er