Paula Grogger

Das Grimmingtor


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seine arme Seele.

      Am Abend vor Fronleichnam, als bereits die Straßen und Höfe gekehrt und die schmächtigen Birken vor den Häusern eingesteckt waren, als der Bäckenhansei auf seinem Waldhorn viel andächtig das »Tantum ergo« übte, sah sie ihn zum letzten Male. Er stand hinter der Rosenstaude des heiligen Nepomuk, hatte die Händ um einen Zaunpfahl gepreßt und war so bleich und stumm wie ein Martyrer in Todespein. Nicht ein Atemhub entrann seinen Lippen.

      Die junge Frau bemerkte solches Leid gar wohl. Lange fing ihr der Schwamm kein Feuer; als sie mit dem Zündstein anschlug, so bebte sie in Unruh. Denn es geschieht, daß der Mensch, wechselnden Stimmungen unterworfen, manchmal die Leidenschaft und Begier eines andern voll Abscheu von sich stößt, manchmal aber zufolge der eigenen Sehnsucht begreift.

      Schier versonnen tat sie die aufgerafften Schürzenzipf voneinander, und ein Schopf bunter Feldblumen fiel raschelnd auf die Betbank. Die alten Buschen, die schon seit etlichen Tagen mit einem leisen, traurigen Geruch hierselbst welkten, streute sie in den Bach. Und aus den Krügen, Hönigtiegeln und geschliffenen Kaffeebechern wusch sie den grünen Pflanzenschleim.

      Wie Frau Constantia das zweitemal von der Uferstiege zurück gegen die Holzfigur des verschwiegenen Beichtvaters kam, den der böhmische Wenzel ertränkt hat, lag hierorts ein unbeschreiblich schönes Gesträuß blutroten Almrausches. Sogleich erriet sie, wer es gebracht hatte, und meinte kindlich, er wäre, vom lieben Gott erleuchtet, seiner sündhaften Liebe Herr geworden.

      Weit gefehlt! Er hatte sich etwas Unheimliches in den Kopf gesetzt. Aber sie wußte es nicht, trat zu ihm und sprach ihn zum erstenmal seit Lichtmeß freundschaftlich an.

      »Jager, geh heim!« sagte sie. »Morgen ist Feiertag. Da tragen sie das hochwürdigste Sakrament fürbei. Drum muß ich anheut den Patron zieren mit Buketten und Kranzgewind.«

      Er rührte sich nicht.

      Und Frau Constantia verrichtete ihre Arbeit weiter. Sie legte zart die blassen Sumpfvergißmeinnicht in einen Zinnteller und drückte nassen Moorsand auf die Stengel. Sie wässerte die violetten Glocken, die weißen Maßliebchen und die blauen Schwertlilien ein. Und nachdem sie damit fertig geworden war, zog sie ein Knäuel Leinengarn aus dem Kittelsack, schnitt Rosmarin, Flieder, Buchs und derlei Gezweig im Garten und band beim Schein der Kerzen einen runden Kranz. Ab und zu jedoch spähte sie neugierig nach dem Jager. Es war schon sehr dusend. Kaum ein Schatten hob sich vom Rasen ab. Die Sterne hingen draußen in der Sommernacht. Gleich verwehten Funken taumelten Johanniskäfer ins hohe Gras. Die Straße war leer. Narzissen, Almrausch und Rose dufteten. Und aus dem zerbrochenen Dachfenster des Bäckenhansei rann wie eine Himmelswelle das Tantum ergo.

      Da fühlte Constantia Stralzin sich tief im Herzen erbaut. Die Schönheit der lieben Welt mit ihren Sternen, Blüten und Tierlein überrieselte sie. Die sanfte Musik glich einem Wiegenlied. So stand sie eine Weil in lauterer Seligkeit, mit der starken, schweigenden Lust der Erde verwebt, und konnte niemandem feind sein, auch dem armen, verrückten Jager nicht. Und sie sprach gegen den Rosenstock:

      »Wia lau der Abend ist …«

      Der Bursch gab keine Antwort.

      Da machte sie einen Schritt auf ihn zu, bog die Dornranke beiseite und sagte scheu:

      »So liabla … wia alles blühet …«

      »Mir ist nichts liabla, seit mir der Stralz ins Gäu ist kömmen«, trutzte er verbissen.

      Sein Elend machte sie verzagt. Beinahe schuldbewußt, konnte sie sich ihres Glückes plötzlich nicht mehr freuen.

      »Uns is halt nit aufgesetzt gewesen«, tröstete sie ihn bekümmert.

      Er legte sich solche Rede anders zurecht und lachte heiß.

      »Stanzi, es ist nie zu spat. Brauchst nur mit mir gehen. Oh, das wär mir das Schönst.«

      »Um Gottes willen, sei still, du Lotter«, stieß sie hart heraus, aber nimmer so herrisch wie sonst.

      Ein Knecht stapfte vom Stall gegen die Brücke. Es war indes über beiden die Nacht vergossen. Sie hielten den Hauch an und mieden jegliches Wort. Endlich sagte der Jager zitternd: »Warum hast mich hiaz verleugnet? … Warum tust so heimlich? … Hättest ihm angeschafft, daß er mich hintan jagt von deinem Gartel wie einen fremden Hund!«

      »Glaubst, ich fürcht mich?« entgegnete sie unsicher.

      »Was verschonst mich alsdann?« höhnte er unterdrückt und, nicht mehr fühlend, was er tat, langte er in den Rosendorn, riß, rupfte und fetzte daran, bis Constantia Stralzin ihm endlich die zermalmten Zweige wegnahm und sagte:

      »Schind dich nit aso!«

      Da war’s um ihn geschehen. Er schlug die Arme um ihren Leib und küßte sie. Und sie erduldete es ohne Abwehr. Empfing seine Lieb wie einen Föhnsturm und wie ein Feuer. Und erlosch darin. Niemand weiß, wie lange sie stund, an sein Herz geschmieget, und wie oft sie ihm ihren warmen Mund geschenkt hat. Rose, Narzisse und Almrausch dufteten fein und schwer. Die Fünklein flogen. Die Kerze brannte zuckend herab. Und der hölzerne Beichtvater verweilte auf seinem Blumenaltar, schloß die Lippen schmal zusammen und schaute nicht durch das Fensterchen.

      Frau Constantia konnte wie im Traume sich nicht finden noch fassen. Manchmal hob sie ein wenig die Lider. Und wußte nur, daß sie eine solche Stunde niemals erlebt hatte, denn ihr Eheliebster war anders geartet. Schließlich sagte sie müde:

      »Laß mich gehen.«

      Er gab nicht nach, drückte ihren Kopf sachte an seine rauhe Lodenjoppe und fragte:

      »Weißt es jetzund, wie gern ich dich hab?«

      Wiederum hörten sie jemands Gang …

      Er hatte die Stirn auf ihrem goldwelligen Haar. Und kosete sie. Bald nachdem der Schritt verklungen, wispelte er heiser:

      »Ich bin hinter dem Stralzen dreingepirscht … Das Maul voll Schaum und den Finger auf dem Büchsenhahn … Aber die Kugel hat gefehlt, und die Pratzen ist bockstarr geworden, die wöllt an seine Gurgel fahren. So viel unsinnig ist mein Haß.«

      »Jager …«, mahnte sie leise und flehentlich.

      Er gab nicht nach.

      »Stanzi, aber hiaz bist mir sicher. Und mit seinem kalten Einaug soll er nachgluren, wann ich dich in meiner silbernen Kutschen auf Gstatt führ. Die Liab gerat auch so … ohne Pfaff und Segen.«

      »Jager!«

      Doch er hielt sie fest.

      »Morgen auf die Nacht kauf ich das Schloß.«

      »Mein Gott …«, stöhnte sie.

      »Und am Samstag klopf ich. Machst mir auf?«

      »Na!«

      »Noch alleweil nit …?« fragte er mit einem verrückten Lacher.

      »O du … weil ich dich hab gebusselt und gehalst … bin ich gewiß, du wirst noch mein eigen.«

      In der Finsternis irgendwo … rief Andreas Stralz ihren Namen. Da wimmerte sie:

      »Jager, laß mich gehen, sonst schrei ich.«

      »Geh nur«, sagte er zähe. »Anheut magst mir wohl entrinnen.«

      Dann packte er sie nochmal mit seiner ganzen Kraft. »Ich hab es geschwuren, und kostet’s mich Leben und Seligkeit«, redete er mit knirschendem Gebiß, »ich hab es geschwuren, dein erstes Kind gehört mein!«

      »Nit!« keuchte sie auf und taumelte aus seinen Armen nach dem Hofe.

      Er aber tat, wozu seine unheimliche Begier ihn lockte. Er bestieg noch in der geweihten Nacht von St. Martin aus den Grimming.

      Und drei Burschen, welche das Abenteuer lockte, gaben ihm das Geleit … Im Lärchenwald schrie am lichten Morgen dreimal der Kauz. Und solches war absonderlich. Im Föhrenwald lief ihnen ein Gamskitzlein voraus, das hatte einen Blattschuß und brach doch nicht zusammen. Als jedoch vom Tal, unsäglich fern und fein, der Klang der großen Glocke heraufwehte,