Peter Rosegger

Jakob der Letzte


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Waldstuber schwieg, ging aber mit über den Rücken gelegten Armen rasch die enge Stube auf und ab, einmal das eine, einmal das andere Kind mit den Füßen von sich stoßend.

      „Himmelgottverflucht!“ stieß er plötzlich hervor und begann ein schauderhaftes Schelten und Wettern gegen die Bauernabtrenner und besonders gegen den Steuerboten, der manches scharfe Wort schon gewohnt, verblüfft stillschwieg und zuhörte.

      „Kann ich dafür?“ sagte er endlich. „Glaubt Ihr, es ist mir ein Vergnügen, zu den Nestern im Gebirg herumzuklettern und Grobheiten einzustecken? Ich habe Kinder daheim, wie Ihr, aber schaut sie einmal an, ob sie so gesund und vollwangig sind, wie die Euren. Wir vom Amt sind dieselben armen Teufel, wie Ihr, oder ärmer! ärmer! Die Boshaften von uns haben wenigstens den Trost, daß sie andere ums Geld bringen können.“

      „Höllvermaledeite Zustände das!“ schrie der Waldstuber, und sein Haar sträubte sich auf, und seine Wangen waren erdfahl, „ich hab’ das Geld nicht. Ich muß Mehl kaufen, daß wir was zu essen haben, den Kindern Gewand kaufen, den Arzt bezahlen, das Steueramt soll warten. – Ich laß bitten!“ setzte er kleinlaut bei.

      Der Bote schüttelte die Achseln. „Nichts zu machen“, sagte er, „der Kloiber-Franz in Sandeben hat auch so geredet, just so, ist gestern vergantet worden.“

      Der Bauer schlug zum Boten gewendet die Hände zusammen und rief: „Seid Ihr denn nicht auch Menschen?“

      „Wieso?“ fragte der Steuerbote. „Wir sind Staatsbeamte.“

      „Und der Staat?“

      „– ist kein Mensch.“

      „Der Teufel hol’s!“ schrie der Bauer.

      In diesem Augenblicke trat der Waldmeister Ladislaus ein, um zu sehen, worüber denn hier so scharf gestritten würde. Als er die Sache begriff, und er begriff sie bald, sagte er lächelnd zum Waldstuber: „Du mußt heute andächtig zu deinem Schutzengel gebetet haben.“

      „Warum das wieder?“ fuhr der Bauer, der sich gehöhnt glaubte, drein.

      „Weil er dir einen Retter schickt zu rechter Zeit“, sagte der Waldmeister, und hielt ihm seine Brieftasche hin: „Da drinnen sind deine fünfhundert Gulden.“

      Der Bauer trat erschrocken einen Schritt zurück und starrte auf die Ledertasche, die der Waldmeister vor ihn hinhielt. „Nimm’s nur“, sagte er freundlich, „nimm’s, es gehört dein. Der Kampelherr schickt dir’s für dein Haus und Grund.“

      „In Gottesnamen!“ sagte der Waldstuber und nahm das Geld.

      Da war er fremd im Hause seiner Väter.

       DER GULDEISNER FÄLLT

      Unten an der Sandach, wenn man gegen Sandeben hinausging, das letzte Haus hieß der Steppenhof. Es war der stattlichsten eines in Altenmoos. Es hatte ein großes Gehöfte, das aber zum Teile leer stand. An der glatten Wand des Hauses, deren Zimmerbäume nicht mit Äxten behauen, sondern mit der Brettersäge geschnitten worden, waren große längliche Fenster mit hellen Glastafeln, blau angestrichenen Balken und Fensterkränzen. Es hatte große Stuben, wovon eine sogar mit Eschenholz ausgetäfelt, braun, und mit roten Falzrändern bemalt war. An der äußeren Seite der Tür stand oben als schlauer Herbergsspruch: „Herr, bleib’ bei uns, denn es will Abend werden!“; an der inneren Seite, gerade über dem Weihbrunngefäß, war zu lesen: „Heute zahlen, borgen morgen“, worunter allerdings ein Gast mit Kreide die Verbesserungen angebracht hatte: „Heute borgen, zahlen morgen.“

      Der Steppenhof war nämlich ein Wirtshaus. Er hatte ja ursprünglich, wie jedes andere Haus zu Altenmoos, seine Felder, Wiesen und Waldbestände gehabt, aber weil er gar so nahe am Wege stand und so bequem am Wasser, so war allmählich ein Wirtshaus daraus geworden. Da mußte der Stepper bei den Gästen sitzen, oder in anderen Wirtshäusern zu Sandeben selbst Gast sein, damit die Wirte gelegentlich wieder bei ihm einkehren sollten. Und so ward vor lauter Wirt- und Gastsein der Bauernwirtschaft vergessen. Also gab’s im Steppenhause nun Apfelmost, Branntwein und sogar zwei Gattungen echten Traubenweines, wovon die eine Gattung „der Ordinari“, die andere „der Bessere“ genannt wurde. Jeden Gast, der Wein verlangte, fragte der Wirt: „Einen Besseren?“ und wenn das ja zumeist von den sparsamen Altenmoosern verneint wurde, so hatten diese sich alle Schuld selber beizumessen. Indes hatte selbst der „Ordinari“ keine weiteren Untugenden, als daß er eben ehrlich sauer war.

      Auch Eierspeise und Kaffee konnte man haben beim Steppenwirt, und an Sonn- und Feiertagen Hammel-, Hasen- oder gar Schweinsbraten. Einer oder der andere der guten Altenmooser saß immer in der Wirtsstube, trank, rauchte oder „duselte“. Wenn’s zu Hause Verdruß gegeben, war es hier höllisch fein zu sitzen. Und wenn zu Hause alles gut ging, sah mancher nicht ein, warum er sich nicht ein „Seidel gunnen“ solle. War ein vorteilhafter Viehhandel abgeschlossen, so saß sich’s wie angegossen am Ahorntisch, und hatte einer Holz oder Hafer verkauft, so war gewiß die trockengeredete Kehle anfeuchtungsbedürftig. Auch gab es in Altenmoos Quartallumpen; das waren solche, die monatelang brav zu Hause blieben und arbeiteten, wenn sie endlich aber einmal ins Wirtshaus kamen, dann hockten sie tagelang darin fest, schliefen den einen Rausch auf der Ofenbank aus und tranken den anderen am Tische, bis ihr Geld, ihre Sackuhr und manchmal auch ihr Rock vertan war. Dann kehrten sie heim und war ihnen wieder wohl auf ein Vierteljahr.

      An den Sonntagen nachmittags waren die drei Tische der Gaststube stets voller Leute. Der Stepper hatte seine weiße Schürze umgebunden, sein grünes Samtkäppchen auf die Kopfglatze gestülpt und sein Gesicht zu einer behaglichen Gemütlichkeit auseinandergezogen – da war der Wirt fertig. War er bei Humor, so brachte er allerlei Sprüchlein und Schalkheiten vor, mit denen er bisweilen andere, öfter aber sich selbst verspottete. So sagte er: „Nachbar! Hautschlechter Mensch! Für dich ist das frisch Wasser viel zu gut, du mußt heute Steppenwirts Wein trinken, damit du deine Sünden abbüßest.“ Oder: „Nein, Brüderl, gesoffen wird nicht, aber trinken, so viel du magst.“ Oder: „Müller, Schneider und Wirte werden nicht gehenkt, sonst ginge das Gewerbe leer aus.“ Oder: „Geh’, gunn dir ein Stündel Rast bei mir, besser nicht arbeiten, als müßig gehen.“

      Wenn einer seinen Rock auszog, so eilte der Stepper dienstfertig herbei und sagte: „Laß mich dazu. Das Leutausziehen können wir Wirte am besten.“

      „Der Dreisam kommt, ein braver Mann, Christenheit ausgenommen!“ Mit diesen Worten grüßte er an unserem Sonntage den Genannten, der heute langsam, wie unentschlossen in die Stube trottete. „Was magst, Dreisam?“

      „Heut’ fragst du mich umsonst, Wirt“, sagte der Eingetretene. „Heut’ soll mir deine Alte ein feistes Pfannkoch machen, und Pfeffer drauf.“ Dann setzte er sich an den Tisch, hob mit der umgekehrten flachen Hand seinen Bart von der Brust weg, weil er unterhalb desselben aus der Brusttasche sein Pfeifenzeug hervorsuchen mußte.

      „Pfannkoch und Pfeffer drauf?“ fragte der Wirt.

      „Heut’ brauchen wir Durst“, sagte der Dreisam.

      „Das ist brav, das ist brav“, schmunzelte der Wirt, „Durst ist der flinkste Kellner.“

      „Geht dein Besserer wohl nicht etwan auf die Neige?“

      „Ich will die drei größten Altenmooser Stockfische damit ersäufen, was ich noch im Keller hab’“, antwortete der Stepper.

      „Alsdann werden wir halt eins trinken“, sagte der Dreisam und schlug Tabaksfeuer.

      „Sakerment noch einmal!“ knurrte am anderen Tisch ein Holzknecht, „Durst braucht der heut’! Geld gibt’s jetzt in Altenmoos, als ob die Guldenhäuteln auf den Haselstauden täten wachsen. Sonst ist uns alleweil der Durst zu stark und das Geld zu schwach worden. Heutzutag’ geht’s verkehrt.“

      „Eh’ wahr auch“, stimmte der alte Luschelpeterl bei, der an der Ofenbank saß. Auch er war heute ins Wirtshaus gegangen. „Bring’ mir ein Stamperl Branntwein“, hatte er vorhin zum Wirt gesagt, „aber Geld hab’ ich keins.“

      „Tut