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Geheimakte Luther


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„Gott sei‘s gedankt, wir sind in Wittenberg.“

      Etwas langsamer und mit vielen Schaukelbewegungen fuhr das Fahrzeug über das holprige Pflaster und stand endlich vor dem behäbigen, dreistöckigen Haus des Kaufmanns Schwertfeger. Die Fenster waren weit geöffnet, um eine kühle Brise hereinzulassen.

      Er quälte sich aus der Kutsche. Sein Diener reichte ihm die Hand. Die ersten Schritte machte der Gesandte noch unsicher, rieb sein Hinterteil und die Beule am Kopf und klopfte ans Tor. Über der Tür ging ein kleiner Holzladen auf, ein gerötetes Frauengesicht schaute aus dem weißen Leinengebinde wie aus einem Gemälde und blickte fragend den Mann an.

      „Gott zum Gruß. Ich bin … äh … Magister Bolemius und werde erwartet.“

      „Heut wird keiner erwartet!“, sagte die Magd. „Die Herrschaft ist auch gar nicht da.“

      „Aber ich hab Boten geschickt, die schon vor drei Tagen hätten da sein sollen.“

      „Wir haben keine Boten gesehen. Es ist nur der Hauslehrer Overbeck da, aber der steckt in der Holzwanne und singt. Also, gehabt Euch wohl und …“

      „Nun, eben dem Overbeck gilt ja mein Besuch!“

      „Was? Dem Conrad?“ Die Magd lachte.

      Der angebliche Magister Bolemius richtete sich zu seiner vollen Größe auf, setzte sein Birett zurecht und rief: „Ich bin es nicht gewohnt, so behandelt zu werden. Melde dem singenden Overbeck, dass der Gesandte des allergnädigsten Bischofs von Rom vor der Tür steht und erwartet, empfangen zu werden. Wenn nicht, wird es deinem Herrn Schwertfeger teuer zu stehen kommen und dem Overbeck erst recht.“

      Der kleine Holzladen schloss sich. Schritte entfernten sich, die nach ein paar Augenblicken zurückkehrten, ein Riegel wurde zur Seite gezogen, und das große Tor öffnete sich zu einem gepflasterten Innenhof.

      Der Gesandte trat würdevoll herein, nickte der Magd hoheitsvoll zu und stieß mit einem nur spärlich bekleideten Mann zusammen, der eben aus einem Raum stolperte, aus dem Wasserdampf quoll.

      „Entschuldigt den seltsamen Empfang, Meister Bolemius“, stieß Overbeck hervor. „Wir hatten erst morgen mit Euch gerechnet. Setzt Euch derweil in das Zimmer. Ich komme nach. Agnes wird uns etwas Bier und eine Brotzeit hinstellen.“

      Die Magd stemmte die Arme in die Hüften und holte gerade Luft, um eine gepfefferte Bemerkung herauszulassen, aber Overbeck kam ihr zuvor und sagte: „Er ist ein päpstlicher Gesandter, Agnes, dein Herr würde ihm auch etwas anbieten.“

      Der Gast wandte sich zu seinem Diener und sagte: „Fahr zu unserem Quartier, bereite alles vor, und hole mich zum Sonnenuntergang ab.“ Dann folgte er der Magd, die ihm stumm die Treppe nach oben wies und ihn in ein Zimmer führte, das wohl das Esszimmer der Kaufmannsfamilie war, denn ein breiter Holztisch nahm fast den ganzen Raum ein. Von der Decke hing ein Holzrahmen, auf dem halb heruntergebrannte Kerzen mit schwarzen Dochten steckten.

      Ungefähr nach zehn Vaterunser erschien Overbeck in roten Beinlingen, deren Naht an einer Stelle aufgeplatzt war, und in einem dunkelblauen Oberteil, in der Mitte gegürtet. Unter dem Arm trug er mehrere Holztafeln und ein paar Blätter, die er vorsichtig auf den Tisch legte.

      Sein Besucher saß vor einem Krug Bier neben einer geöffneten Ledermappe, die Pergamente enthielt. Die weißen Handschuhe hatte er ausgezogen, und man sah einen breiten Siegelring an dem Zeigefinger der rechten Hand. Neben den Handschuhen stand ein Tintenfass. Magister Bolemius war gerade dabei, die Feder mit einem Messer zu spitzen.

      Nach dem üblichen Höflichkeitsaustausch sagte der Gesandte: „Nun, Overbeck, ich hoffe, du hast wenigstens Material für mich, auch wenn ich früher gekommen bin als erwartet. Ich habe noch ein paar Besuche vor mir, also beeilen wir uns.“

      Overbeck giff zu dem anderen gefüllten Krug, setzte ihn an und tat einen herzhaften Zug. Er fühlte sich in der unverhofften Rolle, einen so vornehmen Gast zu empfangen, ganz wohl.

      „Oh ja, Magister Bolemius“, grinste der Hauslehrer und zeigte seine Zahnlücken, „Material hab ich gesammelt. Hab doch den Dr. Lutter des Öfteren gesehen und gesprochen, wie er an der gemeinen Tafel seine Weisheiten allen kundgetan hat. Auch wenn wir Tischmusik machten, bekommt man ja das eine oder andere mit. Hab auch alles fein säuberlich danach notieret.“

      Overbeck griff nach seinen Holztafeln, auf die er mit Kreide Notizen gemacht hatte.

      „Was haltet Ihr davon?“, begann er und las: „Die musica sei den teufeln zuwider und unerträglich, verschaffe sie doch ruhe und ein fröhliches gemüthe.“

      „Hm“, knurrte Bolemius, der schon die Feder ergriffen hatte und sie nun sinken ließ, „das scheint mir noch keine üble Rede zu sein. Man könnte ihr sogar zustimmen.“

      „Oder hier, was er zur Messe sagt, das war erst vor ein paar Monaten, im vergangenen Jahr.“ Er drehte eine Holztafel herum: „Es mus beide, text und noten, sowie accent, weise und geberde bei der hl. Messe aus rechter muttersprach und stimme kommen, sonst ist alles ein nachahmen wie die affen thun.“

      Der Gesandte hieb auf den Tisch, dass das Tintenfass gefährlich schwankte. „Eine Unverschämtheit, die lateinische Liturgia als ein Affenwerk zu bezeichnen!“ Er wischte die Federspäne zur Seite, tunkte die Feder ein und sagte: „Noch einmal von vorne!“

      „Es mus beide …“, diktierte Overbeck dem päpstlichen Gesandten in die Feder.

      Als das Zitat schwarz auf weiß auf dem Pergament stand, sagte Overbeck: „Der Lutter fängt auch an, selber geistliche Lieder zur Laute zu singen, die er gar nicht so übel schlägt, und er fordert, man solle sie in der Messe singen.“

      „So? In der Messe? Aber nach welchen Melodien?“

      „Nun, nach Melodien, die das gemeine Volk zu singen pflegt: Gassenhauer und andere Stücke. Hört nur selbst, ich will euch eins vortragen.“

      Overbeck stand auf, griff nach der Laute, die an der Wand hing, stimmte die Saiten, nahm ein Notenblatt und sagte: „Das Liedchen hat er erst vor ein paar Wochen ersonnen und großen Beifall bei Tisch erhalten. Hört nur zu!“ Er räusperte sich, trank noch einen Schluck Bier und fing an: „Ein feste burg ist uhunser gott, ein gute weer und waffen. Er hilft uns frey aus ahaller not, die uns itzt hat betroffen. Der alt böse feint, mit ernst er‘s itzt meint, groß macht und viel list, sein grausam rüstung ist, auf erd ist nicht seinsgleichen.“

      Magister Bolemius hatte aufmerksam zugehört und starrte unentschlossen auf das Pergament. Schließlich brummte er: „Nun, nun, das Lied ist roh und feist, aber die Melodie schlägt anders ins Gemüth als die gregorianischen Gesänge. Das muss ich schon sagen, und das könnt gefährlich werden, wenn‘s überhandnimmt.“

      „Ja“, nickte Overbeck, „er will es sogar in der Messe die Leut singen lassen! Stellt Euch vor, wenn das Schule macht, dann legt man nachher das Kyrie, das Gloria, das Agnus Dei und die anderen Stücke beiseite, und aus der Kirche klingen die ungehobelten Lieder von der Gasse. Ich hab ja nichts dagegen, wenn man die Liedchen beim Essen singt, aber …“

      „Grauenhaft“, stöhnte der Gesandte. „Die Kirche wird zum Wirtshaus. Und die Anbetung Gottes verfault auf dem Altar!“ Er trank einen Schluck und sagte: „Hast du dafür einen Ausspruch, den man als öffentliche Anklage vorbringen könnte?“

      „Oh ja, den hab ich!“ Overbeck nahm wieder seine Holztafeln, sah sie durch und fand die richtige: „Ah, hier ist es, passt auf!“ Er las: „Ihr müsset die gassenhauer, reiter- und bergliedlein christlich, moraliter und sittlich verändern, damit die bösen, ärgerlichen weisen, die unnützen und schandbaren liedlein auf den gassen, feldern und häusern und anderswo mit der zeit abgehen möchten, wenn man christliche, gute, nützliche texte und worte darunter haben könnte.“

      Der Gesandte schrieb die Worte nieder, dass die Feder nur so über das Pergament kratzte. Als er fertig war, stand Overbeck auf und sagte: „Hab schon des Öfteren gesehen, wie Bettler und fahrende Leut bei dem Lutter eingegangen sind und haben ihm ihre Lieder