Heinz Scholz

Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990


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bei den Abgängern nach der 8. Klasse ein vorgegebenes Limit von Oberschulzulassungen nicht überschreiten. Und der Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder sollte, wenn ich mich recht erinnere, etwa 60 % betragen. Dafür gab es kein Gesetz, lediglich verbindliche Direktiven für Lehrer und Schulleitung. Die Anträge der Eltern mussten zunächst dem „Pädagogischen Rat“ (Lehrerkollegium) vorgelegt werden. Wir Lehrer sondierten und prüften, welche Anträge der Kategorie „Arbeiterkind“ zugeordnet werden können. Dabei bemühten wir uns, wenn angebracht, beruflich bzw. sozial nicht eindeutig zu definierende Elternhäuser unter die Rubrik „Arbeiterfamilie“ einzuordnen.

      In manchen Fällen wurden Zustimmungen der Schule von der „Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises“ (Schulamt) zurückgewiesen. Dann erinnere ich mich eines Falles, wo wir Lehrer an der Schule einen Schüler mit „bürgerlicher Herkunft“ auf Grund seines Leistungsdurchschnitts von 2,3 und nachlässiger Lernhaltung abgelehnt hatten, der dann aber, nachdem die gewichtigen Eltern vor dem Schulrat starken Protest eingelegt hatten, gegen unsere Entscheidung doch noch zur Oberschule zugelassen worden war.

      In diesen ersten Jahren meiner Löfflerschulzeit hatten wir Jahr für Jahr die gleiche schwere Aufgabe, möglichst gerecht zu entscheiden, wer es verdiente, eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen. Erst später, im Laufe der 60er Jahre wurde das verordnete Kriterium „Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder“ einem zweiten ähnlichen politischen Kriterium etwa gleichgestellt.

      Die „Parteiliche Haltung“ und die „Gesellschaftliche Arbeit“ einer Schülerin oder eines Schülers sollten zunehmend als ebenso wichtige Kriterien für die charakterliche Beurteilung „herangezogen“ werden. Mit den Jahren wurde das Maß des „parteilichen“ Auftretens bzw. der „klassenbewussten“ Einstellung und der „gesellschaftlichen Arbeit“ an erste Stelle gesetzt.

      „Parteiliches, klassenbewusstes Verhalten“ war abzulesen an erkennbaren politischen Überzeugungen und offenen politischen Bekenntnissen. Es war auch beweisbar durch Mitgliedschaft und „aktive“ Mitarbeit in einer politischen Organisation (Junge Pioniere/​FDJ) und Teilnahme an der Jugendweihe. Gesellschaftliche Arbeit leistete ein/​e Schüler/​in zum Beispiel, wenn er/​sie im Verband der Jungen Pioniere oder in der FDJ eine leitende Funktion ausübte und an Arbeitseinsätzen, Altstoffsammlungen, politischen Aktionen und schulischen Veranstaltungen aktiv mitwirkte.

      Etwa mit Ende der 50er Jahre wurden wir Deutschlehrer angewiesen, den Aufbau und die Gestaltung eines Deutsch-Aufsatzes in den oberen Klassen so zu lehren und zu üben, dass der Schüler in seiner schriftlichen Darlegung oder bei Abschluss seiner Erörterung seine „parteiliche Meinung“ – in Beziehung zum Thema – schriftlich zum Ausdruck bringen sollte! Man erwartete damit keine ehrliche subjektive Wertung bzw. Meinungsäußerung, sondern meinte eine im Sinne der SED-Ideologie formulierte „parteiliche“ Stellungnahme. Das verführte den Schüler oft zu verkrampfter Heuchelei, weil er wusste, seine „Parteilichkeit“ könne ihm zu einer besseren Zensur verhelfen. Zum anderen vermochte der Lehrer auch, wenn er es für angebracht hielt, einen schwachen Aufsatz, der mit so einem „parteilichen“ Anhängsel endete, aufzuwerten.

      Besonders im Fach Staatsbürgerkunde, aber auch in anderen ideologierelevanten Fächern achteten hospitierende Inspektoren oder Fachberater auf mündliche „parteiliche“ Aussagen der Schüler. An solchen „parteilichen“ und „klassenbewussten“ Stellungnahmen der Schüler wurde von versessenen Schulfunktionären oftmals die pädagogische Leistung des Fachlehrers gemessen! Wo sich Lehrer und Schüler gut kannten und verstanden, lernten Schüler mit der Zeit, wenn es darauf ankam, z. B. bei mündlichen Prüfungen, auf den Putz zu hauen und ihre Parteilichkeit vorzuspielen. Ich mochte solch ein Theater nicht.

      Wenn man unter „gesellschaftlicher Arbeit“ gemeinnützigen Einsatz und engagiertes Mittun in der Gemeinschaft versteht oder eine positive soziale Einstellung, so wäre dagegen nichts einzuwenden.

      Aber allein durch die penetrante Forderung, „gesellschaftliche Arbeit“ unter Beweis zu stellen, erstarrte der Gesichtspunkt Gemeinnutz zu einer formalen ideologischen Floskel. So suchte und sammelte der Lehrer in bestimmten Fällen alle möglichen „gesellschaftlichen Arbeiten“ eines Schülers zusammen, um dem geforderten Kriterium nachzukommen, vor allem aber, um dem Schüler auch unter diesem Gesichtspunkt möglichst Positives ins Zeugnis schreiben zu können.

      Der eigentliche moralische Wert gemeinnützigen Verhaltens trat, weil mehr oder weniger erzwungen, in den Hintergrund und hatte im Rahmen der Erziehung einen geringeren Effekt.

      So waren „parteiliches Verhalten“ nicht das Recht oder die Aufforderung zu freier subjektiver Meinungsäußerung und die geforderte „gesellschaftliche Arbeit“ nicht im eigentlichen Sinne nur gemeinnützige Tätigkeit, sondern beide Kriterien waren ausgeartet zu wirksamen Mitteln des Zwanges und zur Anpassung. Und wenn beispielsweise ein Mädchen oder ein Junge „nur ein bürgerliches Kind war“, dann sah es sich leicht verführt, sich durch berechnendes „parteiliches“ Auftreten, durch eine betuliche „gesellschaftliche Arbeit“ und durch vorgezeigte Aktivitäten als „Junger Pionier“ so verdient zu machen, dass es bei Schulabschluss eine gute Beurteilung bekam und vom erstrebten Besuch der weiterführenden Oberschule nicht ausgeschlossen wurde. – Der verlangte Beweis von Parteilichkeit verführte zur Heuchelei. Und Heuchelei war und blieb ein negatives Symptom der Schule in der DDR.

      Für mich war es als Lehrer unter damaligen Bedingungen wie auch zu allen Zeiten stets die schwerste Aufgabe, eine ehrliche und gerechte, die geistige und psychische Entwicklung des Jugendlichen berücksichtigende Persönlichkeitsbeurteilung schriftlich zu formulieren

      Als ich 1950 in der Schule als Lehrer begann, war vorwiegend von antifaschistischer, demokratischer, humanistischer Erziehung die Rede, gemäß dem Gesetz zur Schulreform von 1946. Als Hauptpostulat galt noch „die Erziehung“ … der Kinder und Jugendlichen „zu selbständig denkenden, verantwortungsbewusst handelnden Menschen … “

      Bereits 1952 folgten auf Wendungen wie „Erziehung zum Frieden“ oder „ … im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts“ weiterführend die geforderte „Liebe zur Arbeiterklasse“ und der Auftrag „zur sozialistischen Erziehung“; und wir Lehrer mussten nun schon – im Hinblick auf Künftiges – in Konferenzen die „kommunistische Erziehung“ nach sowjetischem Vorbild diskutieren und „lernen“.

      Auf dem I. Pioniertreffen 1952 in Dresden, wo dem „Verband der Jungen Pioniere“ der Name „Ernst Thälmann“ verliehen wurde, ist das allgemeine Erziehungsziel so formuliert worden: „Erziehung der Kinder im Geiste des Friedens, der Völkerfreundschaft und des Sozialismus zu bewussten Staatsbürgern der DDR“.

      Wer die Schule der DDR durchlaufen hat, wird sich erinnern an politische Programme und Parolen des Verbandes der „Jungen Pioniere“, an „Stufenprogramme“, an die „Gesetze der Jungen Pioniere“, an Blaues Halstuch, Pioniergruß und entsprechende Rituale beim Appell der „Pionierfreundschaft“ in der Schule.

      Was ich sagen will: Wenn anfangs dieser Pionier-Verband als Kinderorganisation noch eine nebensächliche Rolle gespielt hatte, so wurde ihm ab 1952 von Seiten der Partei und der Schulbehörden ein ganz wichtiger Platz im Schulleben eingeräumt.

      Schule – Elternhaus – Pionierorganisation, diese drei wurden jetzt in dieser Reihe als die wichtigsten Erziehungsträger genannt. Der Kinder- und Jugendverband der „Jungen Pioniere“, nun dem Elternhaus und der Schule als Erziehungsträger nahezu gleichgestellt, war somit erheblich aufgewertet worden, und er sollte künftighin maßgebend die staatsbürgerliche Erziehung der 6 – 14jährigen unterstützen.

      In der Folge kamen hauptamtliche Pionierleiter an die Schulen. Lehrer wurden verpflichtet und mussten es als Teil ihrer beruflichen oder „gesellschaftlichen Arbeit“ betrachten, die „Pionierarbeit tatkräftig zu unterstützen“ … Es lief darauf hinaus, dass wir