äußeres Bild, nämlich durch politische Sichtwerbung, beweisen bzw. vorzeigen. Das bedeutete für Schulleitung und Lehrer permanent, Transparente und immer wieder Transparente zu bauen: möglichst großflächig, lang, breit und hoch, mit aktuellen politischen Losungen als Imperative und Verpflichtungen, an den Fassaden des Schulgebäudes gut sichtbar aufgehängt und sicher befestigt. Das war in zu- und abnehmender Wellenbewegung, je nach Intensität und Wechsel der politischen Kampagnen, eine Kraft zehrende Arbeit, die die Lehrer zusätzlich zu leisten hatten. Schon die Beschaffung des nötigen Materials war problematisch. Langwierig dann das Schriftmalen auf rotem, blauem oder weißem Tuch im Leistenrahmen, nachmittags, meist unter Anleitung der Zeichenlehrer und unter Hilfe älterer Schüler. Und zuletzt das schwierige Aufhängen und das gegen den Wind sichere Befestigen an der Fassadenwand durch uns Lehrer. Unser Zeichenlehrer, Kollege W., hatte einen Hauptteil dieser Arbeit zu leisten. Das ging so weit, dass er vom Unterricht freigestellt werden musste, damit vor einer bevorstehenden „Volkswahl“ schnell noch die nötigen aktuellen Transparente an die Hauswand kamen. Ich erinnere mich, wie er auch große Wandbilder für die Außenfront und für die Aula gemalt hat, mitunter Kopien zeitgenössischer Künstler. Für seine Monumentalbilder bevorzugte er Figuren oder Motive von Max Lingner. Eines der größeren Wandbilder – ich sehe es noch deutlich vor mir – zeigte in einer vergrößerten Kopie, wie die Bürger von Calais einen im Hafen ausgeladenen amerikanischen Panzer mit vereinten Kräften über den Kai ins Wasser stürzen – das als Zeichen eines aktiven Friedenskampfes gegen die „Kriegspläne des amerikanischen Imperialismus“.
Mühe bereitete uns die Auswahl der Losungen für die Transparente. Wir versuchten unsachliche Parolen zu vermeiden und vorgegebene penetrante oder pathetische Formulierungen abzuwandeln in vertretbare Fassungen. Wir als Schule wollten nicht die plumpen Phrasen agitatorisch hinausschreien! Waren wir doch eher darauf bedacht, von innen heraus ein seriöses Gesicht zu wahren. Von Seiten der SED-Kreisleitung kontrollierte und bewertete man die propagandistische Fassadengestaltung! Ein einziges Transparent allein an der Vorderfront unseres Schulgebäudes „verlor“ sich und genügte nicht. Meist sahen wir uns gezwungen, drei aufzuhängen, um zu beweisen, dass unsere Schule auf dem Posten war.
Diese obligate, belastende Transparentitis, wie wir es nannten, wurde in den 70er und 80er Jahren nach und nach nicht mehr so genau genommen. Sie setzte sich jedoch unvermindert fort bei der Gestaltung und Ausschmückung unserer Marschkolonnen am 1. Mai und bei anderen öffentlichen Vorbeimärschen bzw. Pflichtdemonstrationen. Hier blieb es dabei, durch möglichst zahlreiche und aktuell „passende“ tragbare Spruchbänder, Tafeln, Fahnen und Fähnchen das politische Gesicht der Schule nach außen hin unter Beweis zu stellen.
Wir wissen: Die geforderten „Trag- und Winkelemente“, so in der Partei-Sprache benannt, blieben ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen SED-Paraden bis 1989.
Partei und Schule
Ich rede hier, wenn ich von Schule spreche, immer noch von materiellen Bedingungen und politischen Begleiterscheinungen. Wäre es nicht angebracht, zuerst über Unterricht, Lehrtätigkeit und Erziehung zu schreiben? Aber da zögere ich. Über dieses Hauptgeschäft zu reden, das schiebe ich vorerst noch vor mir her. Ich denke, ohne die staatlich vorgeschriebenen und politisch oktroyierten Rahmenbedingungen zu beschreiben, kann man die schwierige Arbeit eines Lehrers im ersten Jahrzehnt der DDR nicht verstehen. Von politischer Einflussnahme auf die Schule war bei dem bereits Gesagten schon die Rede. Nun scheint mir nötig, davon ausführlicher zu berichten, wie die Staatspartei, die SED, und deren Parteiapparat bzw. Funktionäre auf Erziehung, Bildung und Unterricht in unserer Schule eingewirkt haben.
Ich war seit März 1950 Kandidat der SED, wurde 1952 (am Ende der Kandidatenzeit) nach entsprechender Überprüfung als Mitglied in die SED aufgenommen und dann so fest und endgültig eingebunden, dass mein berufliches Leben als Lehrer künftighin nicht mehr zu trennen war von meiner Bindung an die Partei. Einige Geschehnisse und persönliche Erlebnisse aus meinem Parteileben, besonders in den harten Zeiten der 50er Jahre, haben sich in mir so fest eingeprägt, dass ich sie bis heute nicht vergessen kann. Manche Belege oder auch Notizen von einst habe ich mir aufgehoben, immer in dem Gedanken: Halte das fest, das glaubt dir sonst später niemand. Als Mitglied der SED verstand ich mich zwar bis zu einem gewissen Grade als sozialistisch denkender Mensch, kam aber nicht los von einem zehrenden Misstrauen gegenüber „meiner“ Partei. Manche meiner Erfahrungen, z. B. bei meinem „Parteieintritt“ in der Pädagogischen Fachschule, standen im Widerspruch zu meinen gewonnenen politischen Anschauungen. Ich hatte mich in den Nachkriegsjahren mit Hitler, mit der Nazi-Diktatur und mit dem II. Weltkrieg auseinandergesetzt, zunächst autodidaktisch und anschließend vor allem durch meine Studien während meiner Ausbildung zum Geschichtslehrer. Damit hatte ich fürs erste die selbst miterlebte NS-Gewaltherrschaft – so weit möglich – verarbeitet. Doch wie sich das „neue antifaschistisch-demokratische“ System“ in der Praxis dann darstellte, vor allem wie die SED als sozialistische Arbeiterpartei absolut und erbarmungslos herrschte und seit 1952 den revolutionären Übergang zum Sozialismus mit Gewalt diktierte und auch innerhalb der Partei Zwang ausübte und Unterwerfung verlangte – damit kam ich nicht zurecht. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber gutwilligen Menschen wurde mit der Notwendigkeit eines Klassenkampfes und mit dem Dogma von der „Diktatur des Proletariats“ begründet! So einer Diktatur begegnete ich, der ich eine Diktatur schon hinter mir hatte, mit großer Skepsis.
Warum dann, so kann berechtigt gefragt werden, bist du in die SED eingetreten? Eine ausführliche Antwort darauf habe ich an anderer Stelle schon gegeben. Hier nur noch einmal kurz gefasst: Es war mein opportunistisches Zugeständnis gegen Ende meiner Studienzeit, nachdem mir Dozenten nach zwei „Aussprachen“ mahnend vorgehalten hatten: „Wer sich politisch nicht klar bekennt und entscheidet, der kann auch nicht Lehrer werden in der Schule der DDR!“ Das war – sechs Wochen vor dem Examen – für mich wie eine Erpressung!
Wenn diese SED-Partei in jener Zeit mit ihren Mitgliedern, mit ihren Genossen, politisch überzeugend, auch im gewissen Sinne kameradschaftlich und vor allem tolerant und verständnisvoll umgegangen wäre, wenn sie ihre demokratische Verpflichtung hoch- und eingehalten hätte, dann wäre ich ihr wahrscheinlich bereitwillig gefolgt. Doch wenn ich als Genosse der Partei immer wieder zu spüren bekomme, dass Klassenkampf und Diktatur des Proletariats für mich nichts anderes bedeutet als der von oben nach unten hierarchisch weiter getretene Druck und Zwang, zu denken und zu tun, was eine Parteiführung oben befiehlt und was sie zur einzigen Wahrheit erklärt, dann fühlte ich mich eher als Sklave dieser Partei und nicht als ihr Genosse und politischer Gefährte. Und gewissenlose Karrieristen oder fanatische Eiferer auf allen Stufen des Machtapparates mischten bereitwillig mit – als Befehlsempfänger nach oben und als mittelgroße und kleine Tyrannen mit dem rohen Stiefel der Macht nach unten. Selbständig denkende Genossen, die sich kritisch äußerten, wurden zur Raison gebracht oder als „sozialdemokratische Abweichler“ oder „Klassenfeinde“ verunglimpft und beiseite geräumt. Wer die von der Partei „wissenschaftlich erarbeitete“ und verkündete „Wahrheit“ nicht billigen wollte, der war entweder dumm oder ein politischer Feind. Wer gegen Machtmissbrauch aufbegehrte oder verfassungsrechtliche demokratische Rechte oder gar persönliche Meinungsfreiheit einforderte, dem drohte, als „unverbesserlicher Nazi entlarvt“ zu werden. Diese Partei erzeugte Angst, nicht nur nach draußen hin, sondern vielfach auch bei ihren eigenen Genossen innerhalb der Partei.
In der Gewissheit solcher Parteimacht im Rücken, sahen sich manche Genossen der SED-Parteigruppe in der Schule mitunter auch verführt, auf unterster Ebene ein bisschen Macht mit auszuüben. Meinen ersten Schock erhielt ich, nachdem ich in einer der ersten Versammlungen der SED-Gruppe an der Schule (bei etwa 10 – 12 Mitgliedern von 28 Lehrern) miterlebt hatte, wie zwei Genossinnen in politisch-intriganter Weise über zwei parteilose „bürgerliche“ Kolleginnen herzogen, die ich bereits als anständige Menschen und tüchtige, erfolgreiche Lehrerinnen kennen und schätzen gelernt hatte.
Doch die meisten Genossen/innen strebten gemeinsam mit der Schulleitung danach, die von oben vorgegebenen politischen Weisungen im Interesse vernünftiger Regelungen entweder formal auszuführen oder möglichst human vertretbar abzuwandeln. Der Genosse Schulleiter und sein Stellvertreter wollten möglichst ohne große politische Aktionen