Liselotte Welskopf-Henrich

Nacht über der Prärie


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nun hierbehält, und wir machen Hochzeit? Auf Sie würde der Vater hören.«

      »Nein, Harold, ich rede nicht mit ihm. Ich bin nicht dafür, dass ein Indianermädchen ein Jahr vor dem Abschluss von der Schule abgeht. Queenies Name ist bis zu mir gedrungen, weil sie eine sehr gute Schülerin und eine begabte junge Künstlerin ist. Wir können stolz auf sie sein. Sie soll ein Vorbild für die anderen Indianermädchen werden.«

      »Es kommt ja immer darauf an, worin man Vorbild ist.«

      »Traust du ihr so wenig?«

      »Den jungen Burschen traue ich nicht … überhaupt … hat sie sich auch einmal …« Harold brach ab und spuckte aus.

      »Gespuckt wird hier nicht, Harold Booth. Das kannst du auf deiner Ranch machen, aber nicht hier auf dem Gericht.«

      »Entschuldigung«, murmelte der Bursche. »Ich meine aber, es wird für mich selbst jetzt Zeit zu heiraten. Ich bin fünfundzwanzig. Es kommt ja nicht nur auf das Mädchen an und was die will. Ich kann auch andre haben. Aber die Arbeit auf der Ranch wird zuviel für uns, und der Vater drängt.«

      »Das ist deine Sache, Harold Booth. Wollt ihr euch nicht jemanden zur Hilfe nehmen? Viele suchen Arbeit.«

      »Fremde Hände können wir nicht bezahlen; das trägt die Ranch auf dem schlechten Boden hier nicht. Die Familie muss arbeiten. Aber das ist meine Sache, Chief Crazy Eagle, Sie haben recht.«

      Harold sprach wieder ruhig und zuversichtlich. »Queenie kommt heim, dann wird man sehen, und es wird sich alles regeln. Sie kann mich hören, den Vater hören und nachdenken. – Ich danke, Chief Crazy Eagle.«

      »Guten Tag, Harold.«

      Als Harold Booth das Zimmer verlassen hatte, ließ sich der blinde Richter das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen.

      »Runzelmann«, fragte er schließlich, »rechnet Harold immer so nüchtern?«

      »Er hat noch nie gerechnet, Ed. Seine Mutter hat etwas Geld mit in die Ehe gebracht; die Booths haben eine große Ranch gepachtet. Harold ist der Jüngste und der Liebling der Eltern. Er war einer der besten Schüler, die Lehrer mochten ihn gut leiden, und er ist ein fröhlicher Cowboy und ein ansehnlicher Bursche geworden. Er ist daran gewöhnt, dass ihm nichts im Leben schiefgeht. Die Mädchen haben ihn gern.«

      »Queenie ist schon lange seine Liebe?«

      »Man sagt es.«

      »Was hat er unter seiner Weste gesucht?«

      »Er trägt ein Medaillon an einem silbernen Kettchen. Vielleicht ihr Bild.«

      »Was gefällt dir denn nicht an ihm?«

      »Ich weiß nicht. Aber was er gesagt hat und wie er es gesagt hat, das passt nicht zu ihm. Ich glaube, dass ihm das jemand anders eingegeben hat.«

      »Wer?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Vermutest du etwas?«

      »Ja. Aber das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht beweisen kann.«

      Die Klimaanlagen waren in Betrieb, und es herrschte in den Räumen der Kunstschule jene gemäßigte, immer gleichbleibende Kühle, an deren Unnatürlichkeit Queenie sich erst hatte gewöhnen müssen.

      Sie war erwacht, aber draußen war es noch dunkel. Der Brunnen, auf den sie vom Bett aus schauen konnte, war abgestellt. In den Bäumen rauschte der Nachtwind. Queenie hörte es, obgleich die Fenster geschlossen bleiben mussten. Sie hatte die Augen offen, und ihre Gedanken spielten zwischen Traum und klarem Bewusstsein.

      Am vergangenen Abend hatte die Abschlussklasse das bestandene Examen gefeiert. Die Schüler und Schülerinnen der elften Klasse waren dabeigewesen. In Queenies Erinnerung zogen die Vorgänge noch einmal vorüber. Im kommenden Sommer wollte sie selbst unter denjenigen sein, die das Examen bestanden hatten und die Schule verließen. Dann würde auch sie den weiten Talar und die Kappe mit den vier Ecken tragen, die an das alte Zauberzeichen der vier Weltecken erinnerte.

      »Unsere Vorfahren«, hatte der Sprecher der Klasse gesagt, »sahen den Mond und die Sonne, das Wasser und die Erde. Von ihnen lernten sie ihre Geheimnisse und ihre Kunst. Wir haben Lehrer. Wir haben gelernt. Wir werden weiterlernen. Wenn wir aber vergessen sollten, dass wir Indianer sind, so wird unsere Kunst leer werden, unsere Hände werden fahrig sein, unsere Augen trüb. Darum vergesst eure Väter und Mütter nicht, und nicht den Mond noch den Wind, nicht die Erde und nicht die Quellen. Ihr müsst wissen, woher ihr eure Kraft zieht. Ich habe gesprochen.«

      Draußen rauschte es in den Wipfeln. Es war drückend heiß, selbst in der Nacht, und Wirbelstürme standen bevor.

      Bis Mitternacht war Unruhe gewesen. Die Schüler und Schülerinnen hatten getanzt. Die Verwandten und Freunde, die zu der Abschlussfeier gekommen waren, hatten geplaudert. Hin und wieder hatte ein kleines Kind geweint, ehe es einschlief. Die Familien brachten alles mit, Kind und Kegel; wer sollte sich daheim auch ihrer annehmen, und auf die Mutter wollte keiner der Schüler an diesem Festtag verzichten. Aber jetzt, kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, war es still rings um die großen Anlagen und die Gebäude der Kunstschule. Die meisten Gäste hatten mit ihren Wagen oder mit dem Bus die kleine Stadt im Süden schon wieder verlassen. Queenie träumte mit offenen Augen.

      Sie hatte am Abend zwei Entscheidungen gefällt, und beide erschienen ihr richtig, je mehr sie darüber nachdachte. Sie verkaufte das Bild nicht. Dieses Bild verkaufte sie nicht. Der Mann, der es hatte haben wollen, war ein Interessent. Aber ein Mann der Geheimnisse war er nicht. Sie konnte ihm das Bild nicht geben. Nie.

      Mochte er zufrieden sein mit dem Gemälde, auf dem der Schild auf rotem Grund dem Betrachter in die Augen sprang. Er hatte es teuer bezahlt. Indianische Künstler waren in Ausdruck und Technik ungewöhnlich früh reif. Wahrscheinlich hegte der Käufer auch die Hoffnung, sich mit dem hohen Preis für das erste ein moralisches Anrecht auf das zweite Bild zu erwerben.

      Nein. Tashina hatte gesprochen.

      Vielleicht hätte Queenie nachgegeben. Aber dieses zweite Bild hatte nicht Queenie gemalt, die den weißen Männern und Frauen von der Schönheit altindianischer Kunst neu erzählen wollte. Dieses zweite Bild war das Bild Tashinas, die in Queenie verborgen war und von der die Lehrer nichts wussten. »Ich befehle meinem Gesicht, eine Maske zu werden. Meine Gefühle sind verwundbar. Sie müssen bedeckt bleiben …« Dieser Zweizeiler war gedruckt, aber Queenie hatte nie gestanden, dass er aus ihren Gedanken geboren war. Sie hatte ihn auf einen Zettel mit Druckbuchstaben aufgeklebt, und diesen Zettel hatte sie Conny finden lassen. Conny glaubte zu wissen, was er zu tun habe. Er hatte sich bereit gefunden, ein solches Gedicht auf seinen Namen zu nehmen, obgleich die Lehrer nun Geheimnisse in seinem vordergründigen Empfinden vermuteten, zu denen er nie Zugang hatte. Queenie lächelte.

      Waren Männer dumm?

      Waren Künstler eitel?

      Das Bild mit den offenen Händen verkaufte sie nicht. Der Lehrer meinte, dass es eine Studie sei, eine Skizze. Sie hatte dazu genickt und hatte nicht nur den Schleier ihres Schweigens über diese Hände gebreitet. Sie hatte den Geheimnisschleier geknüpft, der nach den Mythen, in denen sie erzogen war, alles schützte und barg, was mit dem Heiligen Geheimnis in Berührung stand. Der Lehrer hatte seine Überraschung gezeigt. »Originell«– sie hörte seine Stimme noch –, »höchst eigenartig, die Verbindung von zwei ganz verschiedenen Techniken: Öl … und Stoff.«

      Schleier über die offenen Hände. Tashina wollte ihre Hand offen hinhalten. Aber das sollten nur die sehen, die es verstehen konnten.

      Für das Gemälde mit dem Schild hatte sie soviel Geld erhalten, dass ihr fast schwindelte. Soviel Geld auf einmal sahen Vater und Mutter und die Geschwister für ihre harte Arbeit nie. Sie freute sich darauf, ihnen die Hand zu öffnen. Aber das würde nur die einfache Bewegung dieser einfachen Hand sein, die sie zuerst gemalt hatte. Die anderen Hände hatten anderes und noch viel mehr zu geben. Die anderen Hände waren größer. Diese, die das Geld