Helge Sobik

Vier Pfoten und drei Koffer


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nenne – da oben an der Lübecker Bucht, wo die Sonne im tiefsten Winter so gegen kurz vor halb neun Uhr morgens aufgeht und um Viertel vor vier am Nachmittag wieder verschwunden ist. Falls sie sich denn überhaupt zeigt und irgendein kräftiger Sturm die November-, die Dezember-, die Januar- und die Februar-Wolkenberge weggeschoben hat.

      Viel weiter im Süden, das jedenfalls ist der Plan, haben wir morgens eine halbe und abends über zwei Stunden mehr Tageslicht. Wie beglückend, wie inspirierend. Und wo ich als Journalist schreibe, ist eigentlich egal. Hauptsache ich habe Telefon, ich habe Internet. Und am allerwichtigsten: Ich habe meinen Hund mit dabei. Aber das ist eine lange Geschichte.

       Der Unruhebeobachter

      Bis zur Abfahrt sind es noch zwei Tage. An einem Wintersonntag soll es losgehen, gleich früh morgens über leere Autobahnen erst Richtung Eifel, dann durch Luxemburg und weit nach Frankreich hinein bis zum ersten geplanten Boxenstopp über Nacht – und dann weiter an die Costa Blanca, wo uns ein Ferienhaus erwartet. Ich habe Hoover zwar davon erzählt, und interessiert geschaut hat er auch, aber ebenso gut hätte ich ihm wahrscheinlich aus der Autobiografie von Disneys Pluto oder Kater Karlos gesammelten Schriften vorlesen können.

      Was ihm an der Story am besten gefiel: dass ich mich mit ihm beschäftigt habe. Dass es irgendwie spannend klang. Dass ich alles mit Gesten untermalt habe, die auch bedeuten könnten, dass wir gleich im Garten Ballwerfen gehen würden. Er hat Worte erkannt, die er perfekt einordnen kann, sogar ganze Sätze, die er versteht. »Aber Du kommst doch mit« ist so einer davon. Dann ist er immer begeistert und hüpft wie ein Flummi durchs Zimmer, tritt sich mit allen Vieren gleichzeitig ab und schafft damit inzwischen mit Leichtigkeit einen halben Meter Flughöhe aus dem Stand. Immer und immer wieder in dichter Folge nacheinander. So springt er erst zur Leine, die meistens auf dem Küchentisch liegt, dann zur Garderobe, wo meine Waldspaziergangs-und-sonstwohin-mit-Hund-wegfahr-Jacke hängt, anschließend zur Haustür. Und von dort aus schaut er mich aus erwartungsfrohen Augen an.

      Irgendwie scheint sein Verständnis mancher Aussage nicht nur an einzelnen Vokabeln zu hängen, sondern auch andere Zusammensetzungen erschließt er sich. Für jemanden, der nie gelernt hat, was konjugieren und deklinieren ist, klingen »kommen« und »kommst Du« ganz schön verschieden.

      Zugleich ist seine Reaktion auf die Worte »kommen« und »mitkommen« völlig unterschiedlich. »Kommen« ist gehorchen, ist herbeieilen müssen. »Mitkommen« ist eine größere gemeinsame Aktion außerhalb des Hauses, auf die er sich freut.

      Insofern: Er mag manches von dem verstanden haben, was ich ihm erzählt habe, ohne aber wirklich zu wissen, um was es geht oder den Zeithorizont zu kennen. Auch nicht, wenn ich »noch zweimal groß schlafen« sagen würde.

      Was er übrigens auch versteht und in seinen komplett unterschiedlichen Reaktionen darauf eindeutig unterscheidet: »Wollen wir los?«, »Gleich kommen Leute!«, »Da ist ja auch ein Hund!«, »Wollen wir Futter fertig machen?«, »Wollen wir spielen?«. Besonders niedlich ist es, wenn ich sage: »Einer muss den Hund nehmen«. Dann holt er die Leine und läuft im Schritttempo wie ein Dressurpferd – als ob er stolz darauf ist, Verantwortung übertragen zu bekommen und sich selber am wichtigen Herrschaftsinstrument Leine halten zu dürfen.

      Seit Tagen beobachtet er mich ganz genau, ist anhänglicher, neugieriger, reagiert sofort auf Veränderungen. Er merkt ganz genau, dass da etwas im Busch ist. Weil vorgestern einmal kurz der Reiserucksack im Spiel war, in den bei größeren Touren die Vorräte kommen. Weil die schwarze Laptoptasche seit zwei Tagen im Flur an der Wand lehnt. Weil ein Karton mit Arbeitsunterlagen in der Küche steht, die mitreisen sollen. Denn die Winterflucht ist kein Urlaub, sie ist ein Wechsel des Arbeitsortes. Ein wunderbarer Wechsel sogar.

      Wahrscheinlich spürt er auch meine gewisse innere Unruhe, denn normalerweise breche ich die Zelte auch nicht mal eben für so lange ab. Es ist ein Versuch. Für uns beide. Mal schauen, wie er gelingen wird.

       Der Ball im Koffer oder: Bloß nicht vergessen werden

      Das Blödeste an einer großen Reise ist immer die Gefahr im Vorfeld, dass der Mensch beim Packen, spätestens aber bei der Abfahrt seinen Hund vergessen könnte. Einfach so. Und dann wäre es geschehen. Findet Hoover. Fürchtet Hoover! Deshalb hat er sich für den entscheidenden Moment eine Zwei-Stufen-Taktik zurechtgelegt.

      Es beginnt damit, dass er sein wichtigstes Spielzeug zusammensucht, dafür das Wohnzimmer durchkämmt, unters Bett im Schlafzimmer schaut und schließlich auch seinen Korb mit dem überhängenden Polsterwulst filzt, als wollte er sich erst einen aktuellen Überblick über sein Hab und Gut verschaffen und dann entscheiden, was davon auf alle Fälle mit muss.

      Als Erstes schleppt er diesmal ein verdrehtes Zerr-Tau mit zwei Knoten an, drückt es mir erst ins Gesicht und rempelt es mir schließlich gegen die Schulter, während ich bereits auf dem Fußboden knie und Hemden in den aufgeklappten Koffer stapele: so weit eine übliche Spiel-Aufforderung. Als ich aber nach dem bunten Tau greifen will, dreht er sich weg, macht anderthalb Schritte nach vorne – um es auf die Hemden in den Koffer fallen zu lassen und sofort wieder aus dem Zimmer zu laufen. Was er damit sagen will? Wahrscheinlich dies: »Wenn Du hier heimlich vor Dich hin packst und Deine Sachen irgendwohin mitkommen, müssen meine auch mit. Weil ich auch mitfahren werde! Wohin auch immer!« Das ist Teil eins seiner Strategie.

      Ich bin verdutzt und muss grinsen. Und während ich noch da sitze, ist Hoover wieder zurück, um nun auch seinen neongelben Tennisball in den Koffer plumpsen zu lassen. Damit ganz klar ist, was er meint: Ohne Hund zu verreisen, geht nicht. Und auch sonst läuft es vom Volumen her offenbar wieder auf das inzwischen übliche Bild hinaus – zwei Koffer für seine Sachen, einer für meine …

      Ganz sicher werde ich ihn nicht vergessen! Er soll mit. Von vornherein war das geplant. Nur ahnt er noch nicht, dass er dafür diesmal ganz schön lange still sitzen muss. Und ich auch: Schließlich wollen wir in Spanien überwintern, mit ein oder zwei Zwischenübernachtungen von Norddeutschland aus gut 2300 Kilometer bis an die Costa Blanca fahren und fast drei Monate bleiben. Hoovers Zuhause während der Fahrt gen Süden wird die Rückbank des Autos sein. Eine U-förmige Abdeckung ist bereits an den Kopfstützen sowohl der Vordersitze wie auch der Rückbank befestigt und wird dafür sorgen, dass er unterwegs nicht in den Fußraum rutschen, sich gleichwohl aber auf der Bank einigermaßen bewegen kann. Und ein Hundesicherheitsgurt mit Brustgeschirr liegt auch bereit. Sogar wie er da am besten hineinsteigt, hat er schon gelernt und hebt, wenn er das Geschütz mit den vielen dicken Schnüren sieht, bereits erst die linke und kurz darauf die rechte Pfote.

      Nachdem nun aber erst mal das Spielzeug im Koffer ist, greift Stufe zwei seines Ich-muss-auf-jeden-Fall-mit-Plans: Er liegt im Weg, wo er nur kann. In der Türfüllung. Erst der des Schlafzimmers, dann des Wohnzimmers, später der Küche. Wo auch immer ich gerade bin – er sieht seine Rolle darin, eine lebende Stolperfalle zu sein. Denn, so dürfte die Hunde-Logik sein, wer angemessen häufig über seinen zweieinhalbjährigen schwarzen Flat Coated Retriever stürzt, wird zwar irgendwann womöglich ärgerlich, aber der Vierbeiner kann ihm im entscheidenden Moment unmöglich aus dem Sinn geraten.

      Neben Hoover lagert derweil immer sein Lieblingsspielzeug aus der Welpenzeit, das von Stolperposition zu Stolperposition mitgeschleppt und stets aufs Neue zwischen den Pfoten drapiert wird. Mit Sicherheit soll es morgen ins Hundshandgepäck: der violette Plüsch-Tintenfisch mit vier Tentakel-Armen. Genau genommen ist es bereits das Nachfolgemodell des ursprünglichen Plüschkraken. Der war um zwei Drittel kleiner, auf dem Etikett als Welpenspielzeug ausgewiesen und bekam nach und nach alle vier Tentakeln sehr freundschaftlich abgekaut oder ausgerissen. Heimlich verschwand der verbliebene Kautschuk-Leib irgendwann in der Kiste der Reliquien aus der Hundekindheit, die vor lauter anhaftender Erinnerungen zu schade für den Mülleimer sind, und wurde durch das zwei Nummern größere Modell ersetzt. Das sieht genauso aus, roch nur ungewohnt neu, sodass es anfangs gewisse Akzeptanzprobleme gab. Es hat sogar heute noch alle vom Hersteller vorgesehenen Tentakeln. Für immer? Dafür kann