wachsam und tieftönig. Trennt jene Fremden und ihn baulich nichts und klingt meine Bemerkung eher erfreut als besorgt, dann begrüßt er sie und gemeindet sie geradezu herzlich in unsere kleine Familie ein. Nicht jeder Betroffene ist darüber glücklich und meistens versuche ich zu verhindern, dass Hoover sein volles Leute-Eingemeindungsprogramm spontan entfaltet.
Es besteht daraus, begeistert und oft mit Anlauf oder mit eindrucksvollem Abtritt an den Personen hochzuspringen, um sie gleich zur Begrüßung seiner dauerhaften Zuneigung zu versichern und als Beweis dafür im Gesicht anzuschlabbern, bei wiederholtem Wiedersehen, positiven Erinnerungen oder ganz besonderer Liebe auch feinmotorisch sehr geschickt am nächst erreichbaren Ohr zu knabbern.
Vorlieben im Detail, ob eher links oder rechts, habe ich dabei bisher nicht beobachten können. Und zugeben muss ich leider, dass selbst im Freundeskreis nicht jeder glücklich oder auch nur ausreichend standfest ist, wenn einem ein 33 Kilo schwerer Retriever in einem Anflug entfesselter Herzlichkeit in die kaum jemals rechtzeitig ausgebreiteten Arme springt. Mit anderen Worten: Es geht alles sehr schnell und fällt meist sehr intensiv aus.
Entsprechend vorsichtig bin ich mit der »Leute!«-Bemerkung geworden und entsprechend hellseherisch versuche ich zu erahnen, wer womöglich gleich um irgendeine Ecke biegen könnte, und ob es nicht doch sinnvoller sein würde, Hoover deshalb kurz zu halten oder gar zusätzlich zur Leine in der linken die rechte Hand mäßigend auf seinen Rücken zu legen oder vor die Brust zu halten und langgezogen, möglichst sonor und irgendwie meditativ »Waaarte« zu sagen. Wir sind da inzwischen ganz gut eingespielt und die meisten Begegnungen laufen im Wesentlichen so ab, wie ich mir das vorstelle.
Falls doch mal etwas schief geht und jemand entsetzt schaut, nachdem Hoover unverhofft an ihm hochgesprungen ist und einen Hundskuss ins Gesicht gedrückt hat, versuche ich die Situation so einzufangen, indem ich mich an Hoover wende und sage: »Na, das ist ja ein Ding, diese Leute hast Du ja auf Anhieb superlieb, das müssen ganz besondere Leute sein!« Zugleich gewinne ich damit seine Aufmerksamkeit und ausreichend Sekunden, um ihn wieder unter Kontrolle zu bringen. Bei den Betroffenen wandelt sich der Gesichtsausdruck meist schnell von blankem Entsetzen zu gewissem Stolz, derart auserwählt zu sein und offenbar eine sehr positive Ausstrahlung auf Hunde zu haben. Jedenfalls auf diesen. Und ein Lächeln stellt sich dann auch recht bald ein. Die Alternative ist, die Leute direkt anzusprechen und die alten Hundebesitzer-Lügen »Der tut nix« und »Das hat er noch nie gemacht« ein wenig abgewandelt zum Einsatz kommen zu lassen: »Der mag Dich auf Anhieb total, hat Dich sofort lieb sogar! Das macht er nur ganz, ganz selten! Wow!« Meistens kommen wir damit durch.
Bei einem Blechdenkmal im Hotelpark aber, denke ich kurz, kann nicht viel schiefgehen. Und so früh am Montagmorgen nicht weit von der französisch-spanischen Grenze mit allerlei Pyrenäengipfeln am Horizont kann auch noch keiner im Garten unterwegs sein, der sich an Schwung und Lebensfreude eines extrovertierten jungen Hundes stört. So weit die kurze, knappe Reflexion. Und so rutscht mir der Hinweis »Guck mal, da sind ja Leute« heraus, als ich ein in irgendwelches Metall gegossenes hageres Männlein mit angedeuteter Latzhose und Helm sehe, das dort erstarrt auf einem Sockel in den Rasen eingelassen ist.
Ich habe nicht geahnt, was das bei Hoover entfesselt. Schneller als ich reagieren kann, bringt er dem schmächtigen Metall-Herren seine Zuneigung entgegen, röppelt die lange Laufleine ab und steht nach einem Fünf-Meter-Spurt aufrecht an der erschreckend realistisch geratenen Skulptur, um ihr ein, zwei herzliche Begrüßungsschlabberer ins kühle Gesicht zu kleben.
Die Silhouette muss er selbst ohne jede Gestik, ohne Mimik und ohne Körperwärme erkannt haben. Und weil er durch Menschen noch nie etwas Übles erlebt hat und wir uns ja im Großen gesehen sowieso alle dieselbe Welt zur selben Zeit teilen und das im Kleinen auch für das Rasenstück neben dem Hotel im Rousillon hier in der südfranzösischen Provinz gilt, fällt jene Begegnung sehr herzlich aus. Wenn auch gänzlich einseitig.
Ich rufe so etwas wie »Hey« und »Halt« und »Hierher, zurück«, um die Lage möglichst ebenso schnell wieder unter Kontrolle zu bekommen, wie sie einen Moment vorher eskaliert ist. Hoover unterdessen lässt seinerseits von dem nicht sonderlich empathischen Herrn ab, bei dem es sich laut gestanzter Blechplakette am keine zehn Zentimeter hohen Sockel um das Ehrenmal für die am Bau der Autobahn beteiligten Arbeiter handeln soll. Ich muss lachen. Nicht über das seltsame Denkmal, das von der Größe her eher wie ein Mahnmal gegen Kinderarbeit wirkt, sondern über meine Arglosigkeit. Über mein Tier. Über die Situation an sich. Und ich bin froh, dass gerade niemand zu sehen ist. Und uns hoffentlich umgekehrt auch niemand gesehen hat. Und ganz besonders darüber, dass sich das Männlein als standfest erwiesen hat, offenbar gut auf seinem Sockel festgedübelt ist.
Wir fahren besser weiter. Noch gut 650 Kilometer sind es bis zum herbeigesehnten Ferienhaus im unmittelbaren Hinterland der Costa Blanca. Mit Hund auf der Rückbank, fürs Erste wieder lang ausgestreckt und im Winterschlafmodus, den er in der Sekunde nach Betreten des Fahrzeugs angeknipst hat.
Terrain markieren – endlich angekommen
Wahrscheinlich strahle ich kurz vorm Ziel plötzlich diese Mischung aus Vorfreude und gewisser Anspannung aus, irgendwelche erweckenden Schwingungen. Jedenfalls sitzt Hoover ungefähr anderthalb Kilometer vorm Ziel plötzlich aufrecht auf der Rückbank und scannt in größter Aufmerksamkeit mit Blicken die gesamte Umgebung. Seine Nasenflügel vibrieren, als würde er filtern und analysieren, was da durchs inzwischen halb offene Fahrerfenster hereinströmt, und irgendein inneres Labor würde binnen Sekunden den Rosmarin-Anteil und das Orangenblüten-Duftvolumen ans Hirn durchgeben und zu dieser Erkenntnis verdichten: Es riecht hier gänzlich anders als zuhause.
Und es sieht auch ganz anders aus: in die eine Richtung Orangenplantagen ohne ein Hügelchen dazwischen bis zum drei Kilometer Luftlinie entfernten Mittelmeer, in die andere Richtung bis zu 800 Meter hohe Berge mit Pinien, mit Kiefern, in den tieferen Lagen mit Mandelbäumchen.
Auch die Temperatur ist im Hinterland der Costa Blanca gut 36 Stunden nach dem Aufbruch im steif gefrorenen Norddeutschland mit angenehmen 22 Grad und Sonnenschein ganz anders. Ein kleiner Sommer mitten im Winter.
Dass die Temperatur hier unter den Gefrierpunkt rutscht, kommt im Grunde nicht vor. Dass sie im Januar und Februar auf über 30 Grad steigt, auch nicht. Aber dazwischen ist alles drin. Es gibt Tage, da wird es kaum wärmer als acht Grad, und es ist nebelig. Und es gibt welche, da ist es 25 Grad warm. Die schöne Begrüßung jedenfalls ist eine nette Geste der Natur.
Irgendwo hier am Berg zwei Straßen und drei Haarnadelkurven weiter klebt das Ferienhaus am Hang, viel tiefer als die ein paar entscheidende Grad kühleren Gipfel, aber hoch über den Orangenbäumchen. Und mit bestem Blick aufs Mittelmeer, das sich als dunkelblaues Band den Horizont unter dem hellblauen Himmel entlangspannt.
Als endlich die Handbremse angezogen und der Motor ausgestellt ist, endlich die hintere Autotür aufgeht und schließlich auch noch das Haltegeschirr vom Hund gepellt und aus der Befestigung des Sicherheitsgurtes losgeklickt ist, gibt es für Hoover kein Halten mehr: Im Zickzack rast er die schmale Sackgasse am Hang entlang, 50 Meter runter, 100 Meter bergauf bis zur nächsten Kurve und dem übernächsten Nachbarhaus, hebt mal an einem Stück Granit, mal an einem Rosmarinstrauch das Bein, gleitet mit der Nase nur Millimeter über dem Boden entlang, um alle Gerüche der neuen Umgebung auf einmal aufzusaugen – und herauszufinden, ob hier wohl auch Hunde sein mögen.
Ich erkundige mich sicherheitshalber bei ihm: »Und sind hier auch Hunde?« Das letzte Wort kennt er. Er dreht sich dann einmal um die eigene Achse und schaut in alle Richtungen, ob er irgendwo einen Artgenossen entdeckt. Zu sehen ist gerade keiner, und nur aus der Ferne bellt der Wachhund des Orangenbauers irgendetwas auf Spanisch aus der Plantage ganz unten im Tal. Die Berge der Umgebung spielen mit dem Geräusch fangen, pritschen es noch ein paar Mal hin und her. Hoover horcht. Er springt an mir hoch. Und versucht am Ohr zu knabbern. Was das diesmal wahrscheinlich heißen soll? Vermutlich so viel wie »Hurra, endlich da« und außerdem »Ist das schön hier! Wir zwei in den Ferien! Das alles werden wir gemeinsam erkunden! Und ganz viele Hunde kennen lernen!« Aber als Erstes schließen wir das schwarze Gitter-Rolltor zur Einfahrt auf, inspizieren das weiß gestrichene Ferienhaus am Hang und